Brief von Carl Riedel an Jos. Rheinberger
Leipzig, den 2. Februar 1871
Sehr geehrter Herr Professor!
Ihr schönes Werk (für welches ich das günstigste Vorurtheil hege) mir anzusehen, habe ich in der That noch keine Minute Zeit gefunden. Es wird mir eine hohe Freude sein, mich mit demselben bekannt zu machen, obgleich ich eine Stelle dafür in einem Conzerte bis jetzt noch nicht zu finden weiss,zumal in diesem Jahr 71, wo ich bereits nach allseitiger Erwägung verfügt habe. Eine ganze Anzahl Partituren, Hillers Tedeum, Deprosses Salbung Davids, Danowichs Friedenspsalm, Kiels Requiem, Brahms Requiem sind mir theils von den Componisten, theils von deren Freunden vor- und nahegelegt worden. Wie Sie indessen ganz richtig bemerken, sind leider so viele äussere Umstände zu berücksichtigen, dass ich bei nur wenigen Conzerten mit Orchester mir die Freude versagen mus, so manches uns interessante u. selbst ans Herz gewachsene Werk vor die Öffentlichkeit zu bringen. Seien Sie aber überzeugt, dass ich jede passende Gelegenheit benutzen werde, Ihrer schönen Composition gebührend Eingang zu verschaffen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr sehr ergebener C/ arl/ Riedel.
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