Brief von Hedwig von Holstein an Franziska Rheinberger
Carlsbad, den 27. July 70.
Geliebte Freundin!
Längst hätte ich Ihnen danken sollen, dass Sie meinen Franz wieder so freundlich aufgenommen, Sie seien Beide so 'herzlich' gewesen, sagte er! Anfangs wartete ich auf einen Brief von Ihnen, well Sie es meinem Mann gesagt, dass Sie schreiben würden, jetzt aber wissen Sie nicht mehr, wohin adressiren, & so sage ich Ihnen denn, da wir in Carlsbad sind, trotz allem Kriege, & trotz der schweren Sorgen, die er auferlegt. Mein Mann brauchte die Kur zu nöthig, & für mich ist die Entfernung von der Heimath körperlich auch ein Heilmittel, & jetzt hätte mir doppelt & dreifache Arbeit bevorgestanden, der ich freilich nicht gern entlaufen bin - eins der grössten Lazarethe soll wieder in L/eipzig/ errichtet werden.
Wo sind Sie? Haben Sie sich auch nicht abhalten lassen & sind in Kreuth? Uns ist es hier sehr wunderlich zu Muthe. Wir stehen mit unsern warmen Herzen, mit unsrer Begeisterung allein & ausserhalb, wir fühlen uns wie Entlaufene, die das Recht an der Heimath aufgegeben haben, weil wir ihre Noth nicht theilen. Doch sind das ja alles nur Nebenempfindungen.
Die Grösse der Zeit trägt über alles hinweg & jedes Einzelschicksal verschwindet. Ich weiss nicht, wie Sie empfinden, aber von uns Norddeutschen werden Sie es begreiflich finden, da wir schwelgen & Gott danken für das Gefühl der Einigkeit Deutschlands, dieses lang ersehnte Ziel, das mir früher immer nur im Märchenlande zu liegen schien, ist wirklich erreicht! Diese Opferfreudigkeit! Dieses Herzudrängen zum Heldentode! Unsre Sachsen haben gebeten, in der Avant-garde sein zu dürfen, brüderlich ist der Wunsch bewilligt worden. Die grossen Summen, die von jenseits des Oceans zu uns kommen, diese Freiwilligen in den unterjochten Ländern, die Studenten von Göttingen, von Kiel, die alle ihr Schwert ziehen! -
Aber die armen Süddeutschen, wie dauern sie mich. Sie fühlen sich als Deutsche & sie thun, was die Ehre gebietet, aber die Antipathie gegen Preussen ist doch kaum möglich zu besiegen, & gerade für ihre Besieger von 1866 müssen sie Land & Leben opfern! Wie ist die Stimmung in München? Ich lese zwar die Zeitungen mit Leidenschaft, denn was kann man andres thun, wenn man nicht die Hände faltet, aber es ist doch noch anders, wenn man an Ort & Stelle die Stimmung mitempfindet. Bitte geliebte Freundin, schreiben Sie mir bald hierher, in solcher Zeit hängt man mit besonderer Wärme aneinander & möchte sich aussprechen. -
Die Meinigen sind auf neutralem Boden in Aussee, und unsre Helene auf einem Rittergut bei ihrer Tante im Braunschweigischen. Wer weiss, wann & wie wir uns wiedersehen. Wohin wir selbst nach beendigter Kur gehen, davon sprechen wir garnicht.
Ich habe geradezu Gewissensbisse, dass wir hier so ruhig & sicher leben & nur den Geldbeutel öffnen für die allgemeine Noth. Was thun Sie? Wenn wir nur jetzt beieinander wären, Sie & ich!
Gott befohlen
Ihre H/edwig/ v/on/ Holstein!
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