Rezension verfasst von A. Maczewski über "Die sieben Raben" aus dem "Musikalischen Wochenblatt"


ANHANG DIE SIEBEN RABEN Oper in 3 Acten von F.Bonn.

Musik von Jos. Rheinberger. Leipzig E.W.Fritzsch

/Rezension des Werkes in: Musikalisches Wochenblatt 1.Jg.,Nr.11, vom 11.März 1870, S.164/169/ Besprochen von A. Maczewski.

Die Oper, oder besser, um den ästhetischen Standpunct der neueren Bestrebungen in dieser Gattung sofort genauer zu bezeichnen - das musikalische Drama übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf unsere zeitgenössischen Componisten aus, trotz der nur zu oft vergeblichen mühevollen Arbeit, trotz den meistens trüben Aussichten, bis zur scenischen Darstellung hindurchzudringen, trotz dem Risico einer gleichgültigen oder gar ablehnenden Haltung des Publikums bei einer ersten und - wie oft! - einzigen Aufführung, trotz endlich der noch im Hintergrunde nachschleichenden kritischen Abschlachtung. Wie der Schmetterling, von dem Licht und der Wärme der Flamme angezogen, diese in immer dichteren Kreisen umschwirrt, um endlich, dem verführerischen Reiz zum Opfer fallend, sich die Flügel zu versengen, so auch dünkt sich das musikalisch-schaffende Streben unserer gegenwärtigen Künstler für nicht recht voll und bewährt, so lange es sich nicht dieser Feuertaufe eines operistischen Versuches unterzogen hat. Mit der uns vorliegenden Oper hat auch Rheinberger, der in neuester Zeit sich einen geachteten Namen unter den jüngeren Componisten erworben hat, in dieser Richtung seinen freiwilligen Tribut beigesteuert.

Den Inhalt der Dichtung bildet das als bekannt vorauszusetzende Volksmärchen von den sieben Raben in jener Lesart, welche durch Schwind's meisterhafte Zeichnungen seit der grossen Kunstausstellung in München dem gebildeten Volksbewusstsein besonders nahe gerückt ist; wir glauben mit der Vermuthung nicht fehlzuschiessen, dass auch die voliegende Doppel-Arbeit eines Dichters und eines Componisten eben daher ihre erste Anregung empfangen habe. Aber die Poesie des Kohlenstiftes ist nicht immer dieselbe, wie die der dramatischen Gattung. Wir halten es für ästhetisch bedenklich, ja in vielen Fällen für verfehlt, das Mährchen, welches sich so hübsch illustriren lässt, auch in die dramatische Form umzugiessen. Mährchen und Drama sind in stofflicher Anlage wie in stilistischer Haltung so verschieden, dass die eine Gattung sich nicht ohne Verletzung des eigenen Wesens in die andere umformen lässt. Das Mährchen ist das Kind unter den poetischen Gattungen; unbekümmert um logische Folgerichtigkeit, um ethische und psychologische Wahrheit äussert sich hier die von Anregung zu Anregung schweifende Phantasie - ähnlich wie in der Arabeske - im freien ungebundnen Spiel einer selbstherrlichen Thätigkeit; in naiver, traumartiger Verknüpfung wird Wirkliches und Wunderbares, Natürliches und Uebernatürliches ohne innere Nöthigung und ohne den Zusammenhang einer Entwickelung durch einander gemischt; reale Thatsachen und ideale, unmögliche Willkührlichkeiten gehen friedlich Hand in Hand und ergänzen sich zu einer selbstgeschaffenen Welt anmuthiger Gesetzlosigkeit. Das Mährchen will nicht verstanden, nicht ausgelegt, sondern ohne Kritik in unmittelbarer Anschauung erfasst werden und darum wendet es sich mit seiner bunt wechselnden Farbenpracht auch zunächst an die kindliche Phantasie. Ganz anders das Drama, der Mann der poetischen Gattungen. Hier handelt es sich um ethische Tendenzen und reale Möglichkeiten. Die Wahrheit der subjectiven Empfindungen, die Folgerichtigkeit des persönlichen Wollens und Handelns, der logische Zusammenhang der Thatsachen und die ursächliche Entwickelung derselben aus jenen als den treibenden inneren Kräften: das sind die Factoren, mit welchen der dramatische Dichter zu rechnen hat. So wenig hierbei das Wunderbare und Uebernatürliche ganz ausgeschlossen sein soll, so bedarf es doch der Begründung in den innern wie äusseren Thatsachen, sonst bleibt dasselbe willkürliche Zauberei, welche, weil sie die Logik des Empfindens und Handelns aufhebt und als thatsächliche Inconsequenz erscheint, undramatisch ist. Die scenische Darstellung im Drama verdichtet jede Thatsache eines Gedankens, einer Empfindung oder einer äusseren Begebenheit zu einer bestimmten menschlich erscheinenden Persönlichkeit; aber diese Verkörperung widerspricht in ihrer Folgenothwendigkeit der luftigen, in der Willkühr der Phantasie sich genügsam schaukelnden Märchenwelt. Dass dieselbe mannichfache Anknüpfungspuncte für eine musikalische Behandlung darbietet, soll durchaus nicht geläugnet werden; nur scheint uns die hier entwickelte Beschaffenheit des Mährchens nicht auf die gemischte dramatisch-musikalische Form, sondern vielmehr auf jene reinere hinzuweisen, welche Schumann in seinem "Paradies", in der "Pilgerfahrt der Rose" und nach ihm Perfall in seinem "Dornröschen" zur Anwendung gebracht haben. 

Diese allgemeinen Bedenken gegen die Tendenz, das Mährchen zu dramatisiren, finden in dem vorliegenden Fall ihre volle Bestätigung. In dem Bestreben, die mährchenhaft phantastischen Begebenheiten zu einer dramatisch motivirten Handlung zuzustutzen, hat der Verfasser die duftige Welt des Wunders, welche stoffliche Bedingung dieser Gattung ist, zerstört ohne anderseits dafür die innere Fülle psychologischer Wahrheit und die Logik der realen Thatsachen als Ersatz zu bieten. Wir haben hier eine nach der gewöhnlichen Opernschablone zugeschnittene mittelalterliche Geschichte von der Liebe eines jungen Herzogs zu einem unbekannten Mädchen, das er im Wald gefunden und das er heirathen will; sehr begreifliche, ja verständige Familien-Interessen veranlassen den Oheim des Verliebten, sich dieser bedenklichen Verbindung zu widersetzen. Das auffallende Gebahren der Schönen, welche Nachts heimlich zu spinnen und den Besuch von Raben zu empfangen pflegt, dabei aber jede Erklärung ihrerseits hartnäckig verweigert, giebt dem Oheim die erwünschte Veranlassung, das Mädchen der Zauberkünste zu beschuldigen und ihre Verurtheilung zum Scheiterhaufen herbeizuführen. So weit bewegt sich Alles auf dem thatsächlichen Boden einer ziemlich gewöhnlichen mittelalterlichen Geschichte. Daneben läuft nun aber - unvermittelt und ohne ersichtlichen inneren Zusammenhang die mehrmalige Erscheinung der Fee, welche dem Publikum erklärt, das Stillschweigen sei die Bedingung der Erlösung der zu Raben verwandelten Brüder, hierauf zur Beruhigung verspricht, die aufopferungswillige Tugendheldin zu beschützen und zu belohnen und welche dann auch wirklich im geeigneten Moment dies Versprechen erfüllt.

Diese rein äusserliche Einführung des Wunderbaren widerspricht ebenso sehr dem Drama wie dem Mährchen; wir sehen hier nur eine stofflich unvermittelte übernatürliche Erscheinung, welche durch ihren den Begebenheiten zum Theil vorauseilenden Commentar sowohl das psychologische Interesse an der Heldin als auch die Spannung in Bezug auf die weitere Entwicklung aufhebt und schliesslich nur den erkältenden Eindruck eines zaubernden Deus ex machina ausübt. Wir können aber nicht übersehen, dass, wie hier das Wunderbare den scenisch sich entwickelnden Ereignissen nicht als etwas innerlich-wesentliches zu Eigen ist, sondern nur äusserlich nebenher läuft, die schliessliche Verkündigung der Unschuld der Heldin durch die Fee von der mittelalterlichen Anschauung nicht nur nicht als Rechtfertigung, sondern vielmehr als eine augenfällige Bestätigung der wider das Mädchen erhobenen Beschuldigung einer ketzerischen Verbindung mit Zaubermächten angesehen werden müsste. Wenn trotzdem Elsbeth als Tugendheldin und fürstliche Braut gekrönt und besungen wird, so liegt hier eben nur die unbegreifliche, weil psychologisch unbegründete Wirkung einer Zauberei vor.

Im Allgemeinen erfreulicher gestaltet sich die Ausbeute unserer kritischen Expedition auf das musikalische Gebiet der Oper. Rheinberger gehört zwar nicht - nach den bisher von Ihm veröffentlichten Werken - zu jenen wenigen auserwählten Genien, welche die vielseitigen Strahlen der zeitgenössischen Entwickelung in dem Brennpuncte ihrer individuellen Begabung zusammenfassen; er gehört vielmehr zu der grösseren Zahl jener Naturen, welche, um das angefangene Bud festzuhalten, an der Peripherie der Entwickelungsbahn kreisend sich von den Strahlen auf ihrem Durchgange zu jenen Brennpuncten erwärmen lassen. Rheinberger ist in erster Linie der gründliche, in allen Zweigen der musikalischen contrapunctischen wie stilistischen Technik vortrefflich bewanderte Musiker, aus jedem Takte spricht jene Zuverlässigkeit des künstlerischen Könnens, welche nur das Ergebniss eines gründlichen Studiums ist, jene Fertigkeit der Arbeit, welche beweist, dass der Künstler den Zwang der Schulregel zur wahren Freiheit des eigenen Wollens und Empfindens erhoben hat. Wir legen hierauf ein grosses Gewicht gegenüber jener himmelstürmenden Phalanx junger Kunstadepten, welche, ihre Begeisterung und ihren Enthusiasmus mit Kraft und Genie verwechselnd, von jeglicher Regel entbunden zu sein und jeder strengen und mühsamen Schulmässigkeit sich entschlagen zu dürfen glaubt. Damit ist denn schon hingewiesen, wo wir die Bedeutung der Oper zu suchen haben.

Die musikalische Seite, noch genauer die künstlerische Arbeit trägt allenthalben den Sieg über die dramatische davon. Rheinberger liebt es, den tüchtig geschulten Musiker hervortreten zu lassen und hat damit seinem Werke ein stark betontes specifisch musikalisches Gepräge aufgedrückt. Wir betonen diese Eigenschaft als einen Vorzug gegenüber der auf dem Gebiete der modernen Operncomposition stark hervortretenden Richtung, welche über dem Bestreben, die Situationen und Empfindungen im Einzelnen zu charakterisiren, den Gesichtspunct des allgemein-musikalischen mehr und mehr aus dem Auge verliert. (Als Beispiel solcher auf's Aeusserste durchgeführten Verzettelung der musikalischen Entwickelung in lauter charakteristische Einzelheiten führen wir hier das Werk eines Münchener Collegen Rheinbergers an, den Ruy-Blas von Max Zenger). Diese ersichtliche Neigung, das musikalische, im besonderen zumal das polyphone Element zur Geltung zu bringen, hat die gute Folge gehabt, dass nicht nur die vielen und ausgedehnten Chor- und Ensemble-Sätze eine musikalisch-fliessende Gesammthaltung aufweisen, sondern dass auch in den Stellen erzählenden und dialogisirenden Inhalts dieser musikalische Fluss nicht ins Stocken geräth; als weitere Folge hiervon müssen wir auch eine Menge einzelner hübscher oft überraschender Züge von harmonischen Verknüpfungen bezeichnen, welche als das natürliche Ergebniss einer gesetzmässigen Stimmführung da interessiren müssen, wo sich das Ohr vielleicht nicht sogleich für befriedigt erklären möchte.

Was nun aber diesen Vorzügen gegenüber der Rheinbergerschen Muse fehlt, das ist die Vertiefung in die Gemüths-Innerlichkeit, die Fähigkeit, den musikalischen Ausdruck aus dem inneren Quell der Empfindung zu schöpfen, die Gabe der eigentlichen dramatisch-musikalischen Personification. Während wir vielen treffenden Zügen von Charakteristik äusserer Situationen, namentlich in den recitirenden Verbindungs-Sätzen begegnen, lässt die melodische Erfindung da, wo es sich um den Ausdruck individueller persönlicher Innerlichkeit handelt, meistens nach. Maassgebend ist hier die Stimmbehandlung der Solo-Parthien. Der specifisch musikalische Sinn des Componisten sträubte sich zwar dagegen, die Singstimme von der musikalischen Grundlage im Orchester gänzlich abzulösen und nach einer neuen Theorie blos zum Organ der musikalisch vertieften Declamation zu machen; wir vermissen aber doch jene Energie einer stetigen und gleichartigen Melodiebildung, welche allein geeignet ist, eine bestimmte dramatische Persönlichkeit in festen, aufs Ganze gerichteten Zügen musikalisch zu charakterisiren. Die Vocal-Parthien bestehen meistens aus einzelnen kurzathmigen melodischen Motiven, welche gewöhnlich in tonartlichen Sequenzen weitergeführt werden, aus zerstreuten melismatischen Phrasen ohne fasslichen melodischen Kern, aus einzelnen charakteristisch zugespitzten Accenten - ein Gemisch, das freilich eine einheitliche musikalische Charakterzeichnung unmöglich macht. Wir verweisen hier vorläufig als Beispiel auf die Arie der Elsbeth im ersten Akt (S. 31 ff des Clavierauszuges).

Es ist ersichtlich, dass dieser Mangel in erster Linie bei den monologisirenden Parthieen der Oper zu Tage treten muss, weil die Schwäche der melodischen Erfindung sich hier nicht durch die Verwendung der Massen oder die Verwerthung einer kunstgerechten Polyphonie - wie bei Chor-und Ensemble-Sätzen - verdecken lässt. In der That ist die Melodik dieser Sätze nicht bedeutend, ja sie schlägt sogar häufig einen etwas banalen, sentimental-süsslichen Ton an, den wir an einem Salonliedchen wohl gelten lassen können, der aber den drastischeren Anforderungen an scenische Wirksamkeit nicht entsprechen dürfte. Beispielsweise verweisen wir hier auf die Begrüssungs-Strophe Elsbeth's (S. 60 des Clavier-Auszuges), auf das Gebet der Herzogin (S. 70,71), auf Roderichs Arie (S. 92 ff) dessen Gesang (S. 41 und wiederholt S. 144), Elsbeth's Abschiedsworte an Roderich (S. 167). Wir wollen nun den Gang der Oper im Einzelnen an der Hand des uns vorliegenden Clavierauszuges verfolgen. Eingeleitet wird die Oper durch eine breit ausgeführte Ouverture, hier Vorspiel genannt, welche, wie üblich, uns mit verschiedenen Haupt-Motiven der Oper bekannt macht; sie ist flott gearbeitet und wohl geeignet, manche Besonderheit in der musikalischen Ausdrucksweise des Componisten festzustellen. Da die Hauptmotive des Allegro con fuoco (D-moll sämmtlich der Arie der Elsbeth im Kerker im 3. Act, S. 131ff) entlehnt sind, so scheint die Ouverture weniger dazu bestimmt, in die allgemeine Stimmung des Werkes einzuführen, als nur die eine Situation vorweg zu schildern, was insofern auffällig erscheinen mag, als diese Situation durchaus keine massgebende Bedeutung für die dramatische Entwickelung beanspruchen kann.  

Die erste Scene führt uns auf die fürstliche Jagd. Ein frischer Jägerchor preist in üblicher Weise den Wald und die Jagd. Wir machen hier auf die hübsche Schlusswendung nach G-moll aufmerksam, weil der Verfasser für derartige stufenweise Dreiklangs- Harmonie-Folgen eine gewisse Vorliebe zu haben scheint.

[Hier folgen im Original Noten]

Der sich hieran knüpfende Dialog zwischen dem alten Jäger Hubert (Bass) und dem Chor, aus dem wir erfahren, dass der junge Prinz Roderich vermisst werde, ist hinsichtlich der musikalischen Behandlung massgebend für alle folgenden derartigen Parthieen; während Hubert sich meistens in deklamatorischen Phrasen, der Chor mehr in rhythmisch hervortretenden Harmonien, beide ohne bestimmten melodischen Kern ausdrücken, wickelt sich im Orchester in ununterbrochenem musikalischen Flusse eine Verarbeitung kleiner Motive theils melismatischer, theils blos harmonischer Natur ab, welche das musikalische Interesse nicht erkalten lässt. In einem balladenartig gehaltenen Allegretto (A-moll 2/4) spricht Hubert (mit steigender Angst) die Befürchtung aus, der Prinz könne sich in dem für nicht geheuer geltenden Walde verirrt haben. Unter den wiederholten Klängen des Chorliedes verlassen die Jäger den Schauplatz. Mit einer enharmonischen Verwechslung

[Beispiel] fis-ges

tritt nun die Heldin, Elsbeth (Sopran) auf; die dieselbe einführenden Uebergangs-Tacte sind sehr zart und duftig empfunden und versetzen uns durch den Gegensatz gegen die vorige Scene in eine erwartungsvolle Stimmung. Wir können leider nicht umhin auszusprechen, dass diese Erwartung nicht recht befriedigt wird; unter dem Drucke der Unvereinbarkeit des Mährchenstoffes mit der dramatischen Behandlung ist gerade die Parthie der Elsbeth in Bezug auf musikalischdramatische Charakteristik schwächlich ausgefallen. Gleich die erste Ariette, B-dur 2/4, welche die Sehnsucht nach der verlorenen Heimath ausspricht, zeigt eine auffällige schwankende Haltung; die erste Hälfte schlägt einen ungemein einfachen, vossksliedmä1igen Ton an, die zweite verliert sich in lauter zerstückelte melismatische Phrasen. Wir müssen hier beiläufig bemerken, dass dieses, Elsbeth dramatisch einführende Motiv der Klage und Sehnsucht nach ihrer Heimath keine weitere Bedeutung für die dramatische Persönlichkeit hat, trotzdem es noch mehrere Male in der Folge auftaucht, hat es doch nur eine episodische Bedeutung und verschwindet denn auch späterhin ganz und gar. Elsbeth entschlummert und nun erscheint die Fee (Alt), um ihren Commentar über Vergangenheit und Zukunft zu geben. Wir geben hier das Hauptmotiv im Auszuge,

[Hier folgen im Original Noten]

neben welchem sich noch die Formel:

[Hier folgen im Original Noten]

besonders bemerklich macht, durch welche der im Tempo fortgehende harmonisch modulatorische Fluss zu wiederholten Malen in die Haupttonart (Fis-dur) zurückgebogen wird; die ganze Parthie zeichnet sich durch hübsche Klangwirkung aus. Dann verschwindet die Fee, Elsbeth erwacht und ein kurzes an charakteristischen Zügen reiches Recitativ leitet in ein Spinnerlied (A-moll, Andantino 6/8) über, das in ziemlich eintöniger Weise den Mond mit seinem goldnen (?) Schein, die verbannten Brüder, das Alleinsein der Reihe nach behandelt. Endlich kommt in die Lange dieser melancholischen Betrachtungen etwas seelisches und musikalisches Leben, indem die Gedanken sich dem Geliebten zuwenden. Der musikalische Gehalt der nun folgenden Arie (S. 31 ff), auf die wir bereits in der allgemeinen Besprechung hingewiesen haben, würde jenem aus dem Liebesgefühl quellenden Aufschwung, welcher die Seele mit wechselnden, ja entgegengesetzten Empfindungen bestürmt, weit mehr entsprechen, wenn es der Vocalparthie gelungen wäre, sich durch einen kräftig wallenden melodischen Fluss auf die Höhe musikalisch dramatischer Charakteristik zu schwingen; sie kommt aber über kurze melodiöse Ansätze nicht hinaus, bewegt sich zumeist in declamatorischen Melismen und grellen Accenten (siehe z.B. S. 33. Tact 12 f.) und schwächt dadurch den Total-Eindruck ab; nur am Schluss bemächtigt sie sich (im Poco piu moderato S. 33) des melodischen Elementes und athmet dann auch sogleich mehr seelische Wärme.

Nun tritt der junge Prinz Roderich (Tenor), der Geliebte des unbekannten Waldmädchens auf. Das Liebesduett zwischen beiden zeichnet sich zwar gegen die vorige No. durch eine so zu sagen persönliche melodische Zeichnung aus trotz der etwas italienisirend banalen Haltung des Haupt-Themas - doch reicht auch hier grade für den Höhepunkt der Situation, da wo Roderich die Geliebte beschwört, den Wald zu verlassen, ihm zu folgen und ihm ganz und allein anzugehören - die Kraft und Tiefe der dramatischen Erfindung nicht aus; mit aller Gluth seiner Empfindung bringt es Roderich am entscheidenden Gipfelpunkte bei den Worten: "zu deinen Füssen sieh mich knieend flehen". (Andantino E-dur 9/8 S. 41.) nur zu einem süsslichen aber empfindungsarmen Gesange, der nur zu bald das melodische Fahrwasser ganz verlässt; indem zugleich die Vocalparthie in die tiefere Lage der kleinen Octave hinabsteigt, wird auch in klanglicher Hinsicht das Bedenken hervorgerufen, dass wohl selten eine Tenor-Stimme in dieser Lage noch denjenigen sinnlich bestechenden Schmelz besitzen dürfte, welchen die Situation unbedingt erheischt. Indess, Elsbeth scheint anders zu fühlen: nach kurzem Schwanken lässt sie sich überreden und eine abgekürzte Wiederholung des Anfanges (F-dur, Agitato C ) schliesst die Scene.

Eine Verwandlung führt uns nun auf das Fürstenschloss. Mathilde, die Herzogin und Mutter Roderich's (Sopran) und Graf Eckart, ihr Bruder (hoher Bass) treten auf. Das den Letzteren charakterisirende Motiv, welches bereits in der Ouverture beiläufig vorgekommen ist, setzen wir hierneben,

[Hier folgen im Original Noten]

indem wir auf die Familienähnlichkeit desselben mit der oben aus dem Jägerchor angeführten Dreiklangsfolge aufmerksam machen.

Wir erfahren, dass die Herzogin für ihren Sohn um die Hand der Tochter Eckart's geworben habe und dass dieser selbst gekommen sei, um seine freudige Zustimmung zu diesem Bunde auszusprechen; ein in der Erfindung nicht bedeutender, aber die stilfeste Hand des Componisten bekundender Chor, an welchem auch die beiden Solostimmen sich obligat betheiligen, besingt den Glanz des Fürstenhauses. Dann tritt Hubert, abermals in Bestürzung mit der Mittheilung auf, dass der Prinz sich muthmasslich verirrt und dass man seine Spur noch nicht aufgefunden habe. Ob es dichterischerseits nothwendig war, die Herzogin mit einer derartig nervenschwachen Constitution auszustatten, dass sie ob dieser Nachricht sogleich in Ohnmacht fallen musste, möchten wir bezweifeln, um so mehr, als Roderich unmittelbar darauf erscheint. Zu allgemeinem Entsetzen weigert er sich, die ihm zugedachte Braut anzunehmen, bekennt seine Liebe, führt die am Eingange zurückgelassene Elsbeth herein und stellt sie, die unbekannte Namenlose als seine Auserwählte vor. Diesen ganzen Finalsatz (Allegro con fuoco C S. 53 ff.) halten wir für die beste No. dieses Actes; er ist musikalisch flüssig, hat eine der Situation entsprechende aufgeregte Haltung und zeigt auch in den Motiven manchen glücklichen charakteristischen Zug; wir führen hier beispielsweise die Hauptmelodie Roderich's an, welche so etwas vom jugendlichen Enthusiasmus einer ersten Liebe athmet:

[Hier folgen im Original Noten]

Im Verlaufe dieses Finales treten besonders Eckart, welcher sofort als rücksichtsloser Gegner der Unbekannten sich zu erkennen giebt und der ihm secundirende Chor musikalisch heraus. Wir wollen hier die allgemeine Bemerkung einschalten, dass überhaupt die Figur des Grafen, welche in der Textbehandlung ganz und gar nach der üblichen Schablone des Opern-Intriganten mit obligater Rachearie zugeschnitten ist, von der Hand des Componisten am schärfsten und darum auch musikalisch hervortretendsten gezeichnet ist. Matt erscheint dagegen auch hier Elsbeth's Anrede an die Herzogin (S. 60) so wie ihre musikalische Betheiligung an dem Finale. Mit dem stark theatralisch aufgeputzten, emphatischen Ausrufe Roderich's: "Mutter, schau deine Tochter hier", worüber der Chor in ein nicht ungerechtfertigtes Erstaunen ausbricht, schliesst der Act.

Im zweiten Act machen wir zunächst unsere Bekanntschaft mit der Herzogin. In einem Andante non troppo (A-moll 2/4), durch welches als besonderer Zug ein tonartliches Schwanken zwischen A-moll und C-dur hindurchgeht, spricht sie ihre Unentschiedenheit aus: sie will das Herz des Sohnes nicht brechen, doch aber ist die räthselhafte Herkunft des Mädchens begreiflicher Weise ein Stein des Anstosses. Sie wendet sich darum an den Himmel mit der Bitte, ihr Klarheit und Einsicht zu verleihen. Dieses Andantino (A-dur 9/8) mit seiner ununterbrochenen Begleitungsfigur eines Cello- Solo nähert sich doch in bedenklicher Weise dem banalsüsslichen Salonliederton, ohne dabei durch den Reiz einer gefälligen Melodie zu entschädigen. Um das Geheimniss zu entschleiern, lässt sie nun Elsbeth kommen, das folgende recitativische Duo, wo Elsbeth trotz dem Drängen der Herzogin auf ihrer Weigerung, irgend eine Auskunft zu geben, beharrt, bietet hübsche einzelne Züge, namentlich in der Zeichnung der schüchternen Haltung Elsbeth's, ist aber nicht ganz so musikalisch fliessend gehalten, wie die früheren Sätze dieser Art. In einem kurzen Strophenliede spricht diese die Bitte aus, man möge sie nur wieder in den Wald ziehen lassen. Hier zeigt die melodische Anlage zwar mehr Fluss als bei den früheren liedmässigen Stücken Elsbeth's, allein wir vermissen doch durchaus jenen einschmeichelnden umstrickenden Zauber, welchem nach der dichterischen Intention die Herzogin nicht widerstehen zu können scheinen soll. Denn gerührt und plötzlich in ihrem Entschlusse umgestimmt, schliesst sie das schüchtern abwehrende Mädchen als ihre Tochter in die Arme. Diese plötzliche, physiologisch nicht begründete Umwandlung verleiht dem ganzen Vorgange eine nur episodische Bedeutung, welche einen wesentlichen Beitrag zur dramatischen Charakteristik der Herzogin zu liefern nicht im Stande ist. Wir wollen hier noch auf eine musikalisch interessante Stelle aufmerksam machen (Meno mosso S. 77. die Anfangstacte):

[Hier folgen im Original Noten] 0 wecke nicht die al-ten Träume

Diese eigenthümliche harmonische Folge hat zumal durch den zweiten Akkord D für das Ohr etwas entschieden Gesuchtes, Gezwungenes; aber als das natürliche Ergebniss einer ganz richtigen und im Einzelnen wohlklingenden Führung der Stimmen ist sie nicht blos theoretisch unangreifbar, sondern auch das Ohr gewöhnt sich, dieser Logik zu Liebe, gar bald an die Zumuthung.

Nachdem Elsbeth sich entfernt hat, theilt die Herzogin dem dazukommenden Eckart mit, dass sie gesonnen sei, das Mädchen als Schwiegertochter anzuerkennen; Eckart, welcher sich in seinen ehrgeizigen Familienplänen bedroht sieht, erhebt dagegen die Beschuldigung gegen Elsbeth, dass sie durch Hexerei und Zauberkunst den Prinzen bestrickt habe. Allein gelassen benutzt er die Gelegenheit, um endlich die unvermeidliche Rache-Arie loszulassen; scharf markirte Rhythmen und ein, so zu sagen, intermittirendes Erzittern in den Begleitungsharmonien kennzeichnen die Energie und Erregtheit

[Hier folgen im Original Noten]

eines lang verhaltenen Hasses. In dieser Stimmung kommt ihm die Mittheilung des wie gewöhnlich bestürzt sich gebärdenden Hubert zu Statten, dass er beobachtet, wie die Fremde Nachts heimlich ein gespenstig weisses Kleid spinne, um Mittemacht die Fenster öffne und Raben einlasse, welche ihr auf Kopf und Hände flatterten und zärtlich den Mund pickten. Wenngleich diese - gleichfalls balladenartig gehaltene Erzählung (Andantino B-moll 2/4) in der musikalischen Schilderung dieser Thatsachen manchen treffenden Zug enthält, so kommt doch die gemischte Stimmung des Entsetzens, des Zweifels, des Mitleidens in dem Erzähler nach unserer Ansicht zu wenig zum Vorschein.

In der folgenden Scene erscheint unter beginnendem Glockengeläute Roderich und legt uns redselig seine Bräutigamsgefühle in einem ausgedehnten Monologe dar. Auch diese Arie, (Con moto, B-dur 6/8 S. 92) deren Melodie wir der Hauptsache nach hier geben:

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können wir den Vorwurf einer an Trivialität streifenden allzugewöhnlichen Haltung, welche sie zur Zwillingsschwester des Gebetes Mathilden's im Anfang dieses Actes stempelt, nicht ersparen; dass die Mittelparthie eine etwas gewähltere Physiognomie zeigt kommt dem schwächlichen Total-Eindruck wenig zu Gute. Eine sehr energische Modulation leitet nach H-dur über, ein Mädchenchor führt die bräutlich geschmückte Elsbeth ein und hieran schliesst sich sodann ein kurzes Terzett (Moderato, Es-dur C S. 99) zwischen den beiden Liebenden, welche die Hauptmelodie in strenger canonischer Nachahmung durchführen und der Herzogin, welche theils an dieser Nachahmung sich betheiligt, theils auch als freie selbständige Stimme dazu tritt; kunstgerechte Formbehandlung, charakteristische Physiognomie der Melodie und Wohlklang im Zusammenwirken der verschlungenen Stimmen machen dieses Stückchen für uns zu dem gelungensten der ganzen Oper. Hier tritt die Begabung des Componisten ganz ungetrübt hervor. Eine Verwandlung führt uns nun in den Schlosshof mit der Kirche, wo Volksgruppen mit Vorbereitungen, zu den hochzeitlichen Festlichkeiten beschäftigt sind. Ein Chor der Armen preist die Wohlthätigkeit der Braut, dessen kräftig heitere Weise, so hübsch sie sich musikalisch anlässt, doch nicht recht in den Mund von Bettlern passt; hinzutretendes Landvolk stimmt sodann unter gleichzeitigem Tanz einen eigenen Gesang an, dessen gewissermassen bedächtige Haltung die rauschende Fröhlichkeit des vorigen Chores noch auffallender empfinden lässt. Nun tritt der Hochzeitszug auf unter den Klängen eines Marsches, welcher in der Mannichfaltigkeit der verwendeten Motive ein etwas buntscheckiges Ansehen hat; auch hier begegnen wir als initiativem Motiv wieder jener stufenweisen Dreiklangs-Folge

[Hier folgen im Original Noten]

deren wir schon mehrmals Erwähnung gethan haben. Sobald das Brautpaar vor der Kirche angelangt ist, wehren Eckart und Vehmrichter ihm den Eintritt, jener erhebt die Anklage auf Zauberei gegen Elsbeth, Hubert beschwört sie, Mathilde fällt abermals schleunigst in Ohnmacht, Roderich dringt vergebens in das Mädchen, sich zu vertheidigen, Elsbeth schweigt und unter den Aeusserungen des Entsetzens der Menge wird sie auf Eckart's Befehl gefesselt und in den Kerker abgeführt. Musikalisch ist diese aufgeregte Scene zerstückelter als irgend eine frühere, die Charakteristik haftet am Detail der Situations-Schilderung - so ist namentlich der Bericht Eckart's über die nächtliche Arbeit und den unheimlichen Verkehr mit den Raben viel schärfer charakterisirt, als der frühere Originalbericht Hubert's - aber zu einem eigentlichen Finalsatz in geschlossener Form kommt es nicht; nur ein ganz kurzer Allegro - Satz, Fis-moll 3/4 giebt dem Chor Gelegenheit, noch einige mitleidsvolle Weherufe auszustossen und bricht dann plötzlich und in überraschender Weise auf einem plagalischen Schlusse fis cis ab.

Im dritten Act befinden wir uns zunächst im Kerker bei Elsbeth. Eine längere sehr hübsche Instrumental-Einleitung, welche im Charakter an die Einleitungstakte beim ersten Auftreten der Heldin im ersten Act sich anschliesst, schildert den ruhigen, von lieblichen Traumgesichten erfüllten Schlaf der schuldlosen Seele. Elsbeth erwacht und giebt uns nun jene grosse Arie (Andante [Gebet] F-dur 2/4 und Vivo F-moll 2/2) zum Besten, deren Motive schon in der Ouverture verarbeitet worden sind. Das einleitende Gebet erscheint nun in seinem Haupt-Motiv unbedeutend:

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Ungleich höher steht der folgende lebhafte Satz: muthige Entschlossenheit, das Aeusserste zu dulden, die Angst des jungen Lebens vor dem Tode, dazwischen schmerzerfüllte Klagerufe nach dem verlorenen Geliebten entrollen das wechselvolle Bild einer von schmerzlichen Gefühlen durchwühlten Seele, auch die Voca1Parthie zeichnet sich hier durch das Hervortreten einer Melodik von eindringlicherer Charakteristik aus, als wir bisher in der musikalischen Gestaltung dieser Parthie wahrnehmen konnten. Auch hier begegnen wir wiederum jenen beliebten stufenweisen Dreiklangsfolgen und zwar in ausdrucksvoller Verwendung bei den Worten: "ach wie bin ich so verlassen" (S. 136):

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Nun verkünden die Richter ihr das Urtheil, wonach sie zum Feuertode verdammt sei; Roderich, hereinstürzend, macht noch einen Versuch, sie zur Preisgebung ihres Geheimnisses zu überreden, seinem leidenschaftlichen Drägen gegenüber fängt sie an zu schwanken, da im entscheidenden Augenblick erscheint wiederum, nur ihr sichtbar, die Fee und ermuntert sie auszuharren; mit einem verzweiflungsvollen Lebewohl reisst sie sich von Roderich los. Der Anfang des Duetts lässt sich in den einzelnen melismatischen Sätzen recht charakteristisch an; mit dem steigenden musikalischen Wärmegrade der Melodie aber verliert sich auch hier dieses Moment mehr und mehr. Die Hauptmelodie Roderich's wenigstens:

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will nach unserer Anschauung nicht recht in den Mund und in die Stimmung Jemandes passen, der die Geliebte dem Feuertode Preis gegeben sieht. Es ist wohl kein Zufall, dass diese Melodie notengetreu mit einem Motiv in dem eben erwähnten Armenchor (S. 106 im Sopran)

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übereinstimmt, wiewohl ein innerer Grund für die Wiedereinführung desselben hier uns nicht recht ersichtlich werden will. Das sich sodann anschliessende Andante (F-dur 9/8): "in holder Mainacht" (S. 144) ist die Wiederholung der bereits besprochenen Stelle aus dem Liebesduett des ersten Actes zu den Worten: " zu deinen Füssen".

In der folgenden Scene treffen in einer Halle des Schlosses die Haupt-Personen des Familiendramas noch ein Mal auf einander. Die ganze No. ist ein sehr gründlich gearbeitetes, durch mannichfache contrapunktische Verwendung der Motive interessantes Musikstück. Zuerst äussert Hubert dem seines Sieges gewissen Grafen gegenüber Reue über seine Denunciation. Die rücksichtslose Energie des gräflichen Egoismus äussert sich charakteristisch in weiten, den ganzen Stimmumfang durchmessenden Intervall-Sprüngen und in der Schärfe mannichfaltig wechselnder rhythmischer Motive, während der ängstliche, im Gemüth schwankende Hubert, im deutlichen Gegensatz hierzu sich meistens in anschmiegenden diatonischen Gängen ausdrückt. Später kommt dann Mathilde und zuletzt Roderich hinzu, der in seiner wilden Erregung zwar das Schwerdt gegen den Oheim zu erheben Miene macht, jedoch über einige grave Verbal-Injurien nicht hinausgeht. Der Auftritt mündet in ein Quartett (Larghetto andante, B-moll 3/4), welches für den Mangel durchgreifender Melodik in der polyphonen und klang-wirksamen Verschlingung der Stimmen einigen Ersatz bietet; am besten kommt in melodischer Beziehung noch Mathilde, als die Oberstimme weg, während in charakteristischer Beziehung auch hier wieder Eckart voransteht.

Mit dem Finale betreten wir nun den Richtplatz; der Holzstoss wird errichtet und dazu lässt das Volk seine Klage Über das grausige Schicksal der schönen und mildthätigen Unbekannten ertönen. In diesem ausgedehnten, je 3stimmigen Doppelchor der Männer und Frauen hat sich der Componist noch ein Mal der Lust zum Musiciren ganz rückhaltlos hingegeben; die schon mehrfach betonte Consequenz dieser specifisch musikalischen Richtung, dass ihr gegenüber das dramatische scenische Moment in den Hintergrund gedrängt wird, macht sich auch hier geltend: es passirt einem wohl beim Lesen dieser No, dass man - mit Ausnahme etwa bei der Stelle: "wären wir Männer" (S. 164) vergässe, einen scenisch intentionirten Chor vor sich zu haben; er muthet uns weit mehr oratorien- stellenweise sogar motettenartig an. Von hier ab bietet dann die Musik überhaupt nicht mehr besonders Interessantes. Unter monotonen marschartigen Klängen tritt der Zug mit der Verurtheilten auf. Eine etwas stockende Modulation von H-moll nach D-dur,

[Hier folgen im Original Noten]

die wir hier im Auszuge geben, leitet zu den Abschiedsworten Elsbeth's an Roderich (D-dur, poco animato 9/8) über, deren fast harmlos zu nennende wohlklingende Einfachheit der äussersten Spannung, welche die Situation hier erreicht hat, doch wohl nicht entsprechen dürfte; hier zeigt sich in empfindlicher Weise die Rückwirkung jenes Mangels an psychologischem Interesse für die Heldin auch auf den musikalischen Ausdruck, welcher die unausbleibliche Folge der nur äusserlichen Einführung des Wunders ist; indem Elsbeth auf die wiederholten Versprechungen der Fee bin auf eine übernatürliche Intervention zu ihren Gunsten mit Zuversicht zu rechnen berechtigt ist, wird die künstlerische Wahrheit der ganzen Situation - objectiv wie subjectiv in Frage gestellt.

Endlich wird Elsbeth an den Pfahl gebunden, der Holzstoss angezündet, da schlägt die erwartete sechste Stunde, die Fee erscheint, erklärt der versammelten Menge den Grund des beharrlichen Schweigen Elsbeth's, verkündet die dadurch bewirkte Erlösung der Brüder und ruft die zugleich Herbeieilenden auf, die factische Befreiung ihrer tugendreichen Schwester ins Werk zu setzen. Während nun Elsbeth die Brüder liebkost, Roderich in der Vorstellung einer wonnereichen Zukunft schwelgt und der Chor sein freudiges Erstaunen über diese Wendung der Dinge ausspricht erscheint noch Mathilde im Fürstenornat und spricht ihren mütterlichen und herzoglichen Segen über dem Paare und ein Schlussgesang von leicht fasslicher, ins Gehör fallender Melodik vereinigt die sämmtlichen Betheiligten mit Ausschluss des nicht gegenwärtigen Eckart zum Lobe des Wunders und der verkannten Heldin.

Werfen wir auf Grund dieser Skizze noch einen Rückblick auf das ganze Werk, so können wir unsere Gesammt-Anschauung über dasselbe dahin feststellen, dass zwar die grosse brennende Frage nach der wahren Beschaffenheit des dramatischen Stils, welcher in gleicher Weise den rein musikalischen Bedürfnissen wie den dramatisch-scenischen Anforderungen Rechnung zu tragen wisse, hier ihrer Lösung nicht näher gebracht ist,' dass aber die künstlerisch tüchtige Arbeit uns volle Anerkennung abnöthigt.

Schliesslich seien noch einige Druckfehler berichtigt. Seite 48, System 2, Takt 2 muss im Alt As stehen, S. 65 Takt 2 muss die erste Note der Triolenfigur wohl d und nicht des ( [Auflösungszeichen] statt [b] ) heissen und endlich fehlt S. 180 Takt 3 beim dritten Viertel im Bass-Akkorde das [Auflösungszeichen] vor G. (Berichtigung: Im 2. Notenbeispiele in No 12 d. Seite 182 muss vor die halbe Tactnote c ein [Doppelkreuz] stehen.)

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