Hedwig von Holstein berichtet Fanny über die Leipziger Erstaufführung des "Haideschacht"


Hedwig von Holstein berichtet über die Leipziger Erstaufführung des "Haideschacht":


Liebe, liebe Freundin!

den 4. Februar 70.

Victoria! Alles ist gut, Gott sei tausend Mal gedankt! - Wer wird aber auch mitten im Winter galoschenlos sein? - Ich hätte Lust, Sie recht auszuzanken, wenn ich es nicht auch so gemacht hätte & die Masern davon getragen, wenn dies möglich ist. Sie Arme, nicht mit nach Mannheim zu dürfen! Ich bedaure Sie herzlich. Bei mir schwankte es auch ein paar Tage, ob ich wohl in's Theater dürfe, & es war mir bis zum Morgen der Aufführung hundeschlecht, was aber niemand wusste, & dazu wohnte Frau Krebs-Michalesi aus Dresden (Helge) bei uns und verliess mich keinen Augenblick, & dazu hatten wir nach der 1. Aufführung Souper von 18 Personen bei uns & tags drauf nach der 2. ein Souper von 25 im Hotel, mit dem Theater-Personal. Alles überwand die Freude. Ach, wenn ich Ihnen alles erzählen wollte, wess das Herz voll ist, es wiirde ein dickes Buch.

Mein armes Herzblatt wurde wieder bis zur Generalprobe mit Unglauben an sein Werk gequält & oft mit Füssen getreten. Er jammerte mich sehr, wenn ich dachte, wie er den Offizier & den Adjutanten des Herzogs, der nur zu befehlen gewohnt war, hinter sich hatte, und wie er nun als Märtyrer der Kunst dulden und leiden musste. Der Capellmeister Schmidt, selbst Operncomponist, wollte sein Werk abermals nicht aufkommen lassen & hatte ihm vor 2 Jahren die Partitur zurückgeschickt, mit dem Bedeuten, er könne ihm in keinem Fall zur Aufführung dieser Oper helfen.

Nun war S/chmidt/ gezwungen, sie einzustdiren. Zwar hielt F/ranz/ die Clavierproben, aber die Theaterproben fielen S/schmidt/ zu, denn es ware unter hiesigen Verhältnissen sehr unpolitisch gewesen, wenn Franz selbst dirigirt hatte. Die Sänger waren bald auf Franzens Seite & sangen mit solcher Lust, dass sie Front machten gegen S/chmidt/, als dieser versuchte bis zur letzten Probe Alles, um das Gelingen zu gefährden & machte Kabalen mit der Sängerin Boirêe (die von heute an die Helge singt), gegen die Frau Krebs, deren wundervolles Spiel diese gefährliche Parthie sicher stellte. Bis in die Nacht vor der Aufführung flogen die Depeschen zwischen Dresden und hier, & ich dankte Gott, als wir die Retterin früh 1/2 7 Uhr unter unserm Dach hatten. Die Wirkung des Werkes war ganz wie in Dresden, Niemand glaubte daran bis zur 2. Theaterprobe, wo das Dramatische sich kundthat. Nach der Generalprobe zweifelte niemand mehr am Siege. Dagegen hatten Franz & ich während des 1. Actes bei der Auffuhrung die Empfindung, als sei die Oper bereits durchgefallen, weil S/chmidt/ so langsame Tempis nahm, dass kein Sänger Athem hatte & dass wir dachten, dieser Act, mit den leichten duftigen Mädchenchören, die wir im raschesten Tempo gesungen, würde nie zu Ende kommen. Er hatte auch wenig Applaus, aber die Frische des 2. Actes & die Steigerung bis zum Finale wirkte unwiderstehlich. Ein schallendes Rufen "Holstein' brachte mich wieder zum Leben, die Sänger zerrten ihn vor, & er verbeugte sich, dass ihm alle Haare ins Gesicht fielen. Nun kam der 3. Act, gegen den alle Theoretiker (ich meine die dramatischen, nicht die musikalischen) so sehr gewüthet hatten, und in diesem Act wurde jede Nummer beklatscht, und die unheimliche Stimmung des Ganzen wunderbar vom Publikum verstanden. Alle 3 Nummern, die Schmidt hatte streichen wollen, und die Franz durch eine Jury von officiellen Theaterleuten gerettet hatte, gefielen mehr als alles andre. Die Chöre gingen frisch & klangen vortrefflich, & die Krebs spielte wundervoll. Gespannteste Aufmerksamkeit und gute Stimmung des Publicums bis zu Ende, & abermaliger Hervorruf meines Geliebten.
Die 2. Aufführung hatte Sonntags-Publikum, vor dem uns Angst war. Schmidt hatte sich aber in's Unvermeidliche ergeben, nahm das 2. Mal richtige Tempi, die Actschlüsse wurden ebenfalls mit Herausrufen des Componisten ausgezeichnet & wir gingen viel getroster zu Hause wie das erste Mal.

Und nun diese unbegreiflich guten Recensionen! Alle einstimmiges Lob! Sogar der teuflische Bernsdorf in den Signalen, der keine neuere Musik gelten lässt, sagt auch noch, dass Holstein "in guten Verhältnissen"!! Das ist sehr geschmacklos, aber ich bin kindisch genug, mich über das gedruckte Lob zu freuen! - Nun aber basta.

Das Hübscheste bei Allem ist doch, dass unsere Theaterzettel zusammen gelegen haben auf Ihrem Bett, & dass heute, am 4. Februar, die Raben & der Haideschacht zusammen gegeben werden. Heute ist unsre 3. & Ihre 5. Vorstellung. -

Ihr Mann ist schauerlich fleissig. Der Meinige hat nur eine Sonate inzwischen gemacht & ein paar Lieder. Spornen Sie den Ihrigen ja nicht, halten Sie ihn zurück! Meiner ist ganz elend & blass, ich füttere ihn mühsam mit rohen Eiern wieder auf! -
Ach bitte merken Sie sich nur die Geschichte von Schmidt! Was gäb' ich drum, zuzuhören, wenn Sie sie Scarlatti erzählen mit Ihrem Humor, den keine Frau so gehabt hat!

Ade, mein Mann grüsst nicht sondern bläut der Boirêe eben noch die Helge ein für heute Abend. Wo soll ich denn nun hindenken heute Abend, an die Raben oder an den Schacht? Dieses freundschaftliche Zusammengehen finde ich zu reizend!

Also auf heute Abend im Theater

Ihre Hedwig v. Holstein.

Grüsse an Sahr, bitte, gelegentlich.

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