Johann Mayer aus Wien versucht seinen Freund Rheinberger über das Debakel in der Wiener Presse hinwegzutrösten, indem er Hintergrundinformationen liefert.


Brief Johann Mayer an J. G. Rheinberger
23. Februar 1968, Wien


Mein lieber Kurt!
Du: wirst es recht unartig von mir halten, dass ich so spät erst Dein geschätztes Schreiben beantworte. Ich wollte jedenfalls Hanslick's Beurtheilung [1] Deines Werkes abwarten, um sie Dir mitsenden zu können. Der gute Mann scheint aber stark im Carneval zu machen und lait noch immer nichts hören.
Recht beunruhigt hast Du mich mit der Nachricht, dass Deine liebe Lebensgenossin bettlägerig ist; ich will recht bald wieder erfahren, dass sie ganz gesund und von ihrem schmerzhaf ten Halsübel befreit ist. Bitte, grüsse sie von mir auf das herzlichste.
Du magst wohl recht haben, dass ich über die Art und Weise, wie unsere hohen Herren der Kritik Deinen Wallenstein beurtheilen, sittlich entrüstet war. Nach meiner Ansicht kann so ein oberflächliches, von geringem Ernst zeugendes Aburtheilen gar keinen Anspruch auf Kritik machen, da es weder die Vorzüge noch die Mängel (welche diesen Weisen immer zuerst in die Augen springen, und ohne denen sie nicht das Beste finden) eingehend bespricht. übrigens leuchtet bei Schelle nur zu deutlich die Freundschaft zu Volkmann durch. -
Sorge Dich nicht darüber, ich habe alles Vertrauen auf die Zukunft, und wenn Du dann wieder herkommst, dann ists gewiss anders. -
Ein Freund von mir, der unlängst in einem Jean Becker Quartett neben zwei Philharmonikern gesessen, erzählte mir, dass sich dieselben, nachdem sie ein längeres Gespräch über die jüngsten Concerte führten, sich auch über Deinen Wallenstein unterhielten, und es ganz ungerecht fanden, dass dem Werke nicht seine volle Würdigung zu Theil wurde. - Sie meinten, man hätte auch Publicum zu den Proben zulassen sollen, um ihm das Verstehen zu erleichtern. Ich hatte schon gehofft, als Dein lieber Brief anlangte, auch schon die Ouverture zu bekommen, und muss mich jetzt mit dem 'gelegentlich' vertrösten lassen.
Das Quartett Jean Becker macht brillante Geschäfte; das erste Mal hatten sie einen nur halben Saal; gestern gaben sie ihr 3. Concert, und da war kein leeres Plätzchen zu finden. Die Klangwirkungen ihrer Instrumente und das zusammengeschulte Spiel dieser Vier ist einzig, besonders die choralartigen Stellen glaubt man wie ein Instrument zu hören. Gestern versetzten sie uns mit der Haydn'schen Serenade in Entzücken; der gute, alte Herr hätte mitgeklatscht, wenn er dabei gewesen wäre. Dagegen sage ich aber doch, dass Helmesberger, besonders die letzten Beethoven'schen Quartette, kräftiger und mit tieferern Verständniss spielt; würde er nicht manchmal sich in kleinlichen Koketterien gefallen, er könnte der erste Quartettspieler sein.

Nun grüsse ich Dich auf das Beste und hoffe, dass Deine gute Frau recht bald von ihren Schmerzen wieder enthoben werde oder besser schon sei.
Moritz gibt mir die herzlichsten Empfehlungen auf, und auch von meiner Mutter soll ich Grüsse beischliessen.-
Lass bald wieder was hören!
Dein Dir treu ergebener J. Mayer
Wien, 23.2.1968. [sic]

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[1] ... Hanslick's Beurtheilung = Eduard Hanslick (1825 - 1904), Jurist, später bekannter Musikkritiker und Universitätsprofessor in Wien.