Brief Franz von Holstein an Josef G. Rheinberger
Leipzig, den 4.4.1867
Lieber verehrter Freund!
Eben stehe ich vom Klavier auf, wo ich mit grösster Freude Ihre anmuthigen Stücke zum ersten Male durchgespieit habe, und eile nun, Ihnen so schnell als möglich für die Zusendung und Dedikation derselben zu danken, welch letztere mich ebenso ehrt als erfreut. Dass wir uns als Künstler und Menschen verstanden - dass denke ich, haben wir wohl Beide auch nach so kurzer Bekanntschaft herausgefühlt. Ihre Widmung [1] soll mir als Wahrzeichen geiten, dass dieselbe nicht abgeschlossen, dass es uns beschieden sei, uns öfter zu sehn, und in der Kunst wie im Leben mit einander zu verkehren. Wenn bei Ihrer Symphonie mich die Frische und Ursprünglichkeit von vornherein interessirte, mit der Sie Ihr Bestes geben, und es mit so vollendeter künstlerischer Sicherheit zu gestalten wussten, so haben mir Ihre Klavierstücke ganz denselben Eindruck gemacht in den von Ihnen gewählten Grenzen einer knapperen Form. Sie wissen wohl aus Erfahrung, der erste Eindruck ist nicht immer der bleibende. Vorerst hat aber die Barkarole [2] vor Allem mein Herz gefangen, weshalb freilich der ernste Tanz mit seinem interessanten Alternativo nicht weniger fesselte. Dass die Stücke auch für einen Klavierstümper, wie ich leider geworden bin, u. auch wohl bleiben werde, nicht zu schwer sind, macht sie mir ausserdem noch besonders angenehm. Und somit nun nochmals besten Dank! - Von mir ist gerade nichts im Druck, das ich Ihnen dediciren könnte - aber - 'der Adler sei Ihnen nicht geschenkt! wie es im Freischütz heisst. Um mich aber doch in etwas zu revangiren, erlaube ich mir, Ihnen ein paar Hefte Compositionen von mir zu übersenden, darunter auch die Variationen und Lieder, welche Ihnen nicht zu missfallen schienen. Am ersten April hatte ich eine Wiederholung der Aufführung von Stücken aus meiner Oper veranstaltet, und zwar, um mannigfach ausgesprochenen Wünschen zu genügen - vor einem eingeladenen Kreise, in welchem die Elite des hiesigen musikalischen Publikums vertreten war. Frau Frege hat sich mir zu Liebe entschlossen die Mezzosopranpartie (Helge) zu übernehmen, meine Frau sang die Vally, Herr Schild den Ellio ganz vortrefflich, auch der Bass war sehr lebendig und charakteristisch und die übrigen Parthien wenigstens genügend besetzt. Die Chöre klangen recht hübsch, nur das Orchester liess trotz David bei der ersten Geige, wegen nicht genügender Proben an Präcision u. Discretion zu wünschen Ubrig. Der Eindruck, den das Ganze zu machen schien, war für mich ein recht erfreulicher, und wenn ich von den mir entgegen geworfenen schönen Redensarten als Mann von einiger Lebenserfahrung auch ein gut Theil absubtrahiere, so bleibt doch soviel, um damit zufrieden und zum Weiterarbeiten ermuthigt zu sein.
Der Schritt in die Öffentlichkeit freilich ist ja erst das Entscheidende, und dem gehe ich ja nun bald entgegen. Da ich nicht weiss, ob ich Ihnen schon ein Exemplar des von mir verfassten Textes gab, erlaube Ich mir ein solches beizulegen. Ich werde in Sachen meiner Oper wohl manchen Weg nächsten Sommer zu machen haben, u. deshalb schwerlich an eine Vergnügungsreise nach Ober-Bayern denken können, was mir doppelt leid thut, da es mich sehr freuen würde, Sie in München aufzusuchen. Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben! Und ich denke, auch Sie kommen einmal wieder nach Leipzig.
Mit der Aufnahme Ihres Wallenstein haben Sie ja allen Grund zufrieden zu sein. Ich habe das Pub likum einer Novität gegenüber lange nicht so warm gesehen - ihr Werk hat im Allgemeinen sehr gefallen , das dürfen Sie mir aufs Wort glauben. Hoffentlich haben einzelne Ausstellungen einer hohen Kritik und die abgeschmackten Auslassungen des Signalisten Bernsdorf Sie nicht geärgert. Der ist durch seine gehässige Weise hier durchaus in Misskredit gekommen. Warum hat Dante nicht einen Höllenkreis erfunden, in welchem böswillige Kritiker durch das ununterbrochene Anhören ihrer Compositionsünden gefoltert werden? Das wäre für den Esel Po. gerade die rechte, und wahrlich keine zu gelinde Strafe! -
übrigens hat München nicht nachgelassen, uns liebenswürdige Gäste zu schicken. Frl. Stehl kam und sang u. siegte. Heute Abend hoffe ich bei Keil's ihre Bekanntschaft zu machen. Auch sie wird natürlich von der Kritik mehr als billig bemängelt. Nicht als ob ich sie für eine vollendete Sängerin hielte, aber die Frische ihres Organs u. ihrer Auffassung, die Produktivität in ihrem ganzen Gestalten, alles das trägt doch die Spuren eines bedeutenden und ursprünglichen Talents an sich. Da ist nichts forcirt, alles so liebenswürdig natürlich und warm! Ganz im Gegensatz dazu steht die Wiener Primadonna Frl. Bettelheim, die im letzten Concert sang, mit ihrer wunderbar mächtigen Stimme und ihrem selbstbewussten und karrikirten Vortrag, in dem, wenigstens scheinbar, wohl Leidenschaft und Feuer, aber doch keine Spur von Wärme liegt. Das Publikum jubelte der phänomenalen Stimme zu, mir aber ward es kalt bis in's Herz hinein; vielleicht der Sängerin selbst, wäre es im Saale nicht gar so heiss gewesen, denn sie hatte ihre Reize nicht verhüllt und es fehlte wenig, so hätte man das Herz klopfen sehen und ohne Hülle.
Aber ich habe für einen Musiker schon einen ganz unschicklich langen Brief geschrieben. Lassen Sie sich also nur noch sagen, da es Hauptmann [3] in so weit besser geht, dass er mit Unterstützung wieder die Treppen steigen kann, u. bei den warmen Frühlingstagen einige Male ausgefahren ist.
Meine Frau und Schwester lassen sich Ihnen bestens empfehlen.
Hoffentlich höre ich einmal wieder von Ihnen, Sie würden dadurch recht sehr erfreuen Ihnen aufrichtig ergebenen
Franz von Holstein.
Leipzig, Auerstrasse 24.
Eben habe ich mir von Fritsch Ihre andern Klaviersachen geholt, um mich recht daran zu freuen. Herr Fr. will die Güte haben, meine opuscula Ihnen nächste Woche mitzuschikken, deshalb sende ich den Brief immer voraus.
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