Brief Jos. Rheinberger an die Eltern
München, 3.5.53
Theuerste Eltern!
Ihren Brief mit dem Gelde erhielt ich am 19.d.M., weil wir aber am Samstag, den 30. in die neue Wohnung zogen (Müllerstr. Nr. 35/3), war es mir unmöglich, eher zu schreiben. -
Hr. Grundbuchführer meine höfliche Empfehlung und freue mich ungemein, ihm eine kleine Gefälligkeit dadurch erweisen zu können, dass ich die Statuten des Institutes beilege. - Die Sonate, welche ich früher erwähnt, ist nun als mein op. I [1] fertig geworden. Nun habe ich eine Ouvertüre für's ganze Orchester in der Arbeit, welche bis in 2 Monat fertig werden muss.
Über das Conservatorium hätte ich diesmal sehr viel zu schreiben, aber weil die Zeit mich drängt, genüge es, dass gestern der 4. Zahltag im Conservatorium war. Die Oper 'Sacontola' des nämlichen Baron v. Perfall, bei welchem ich war, habe ich gehört und kann nur soviel davon sagen, dass sie einzelne gute Arien hat, aber im Ganzen ist zu wenig Einheit. Die Ouvertüre ist nicht schlecht gearbeitet, aber nicht für's Publikum geschrieben. Auch hörte ich in diesem Monate den 'Prophet' von Meyerbeer; diese Musik ist pompös, aber entbehrt grösstentheils einer harmonischen Grundlage und hascht zu sehr nach Effekt.
Nach hiesigen Zeitungen war kürzlich ein Erdbeben in Chur, Ragaz und Thusis, ich möchte gerne mehreres wissen. -
Wenn Toni so gefällig ist, mir ein wunderschönes Notenbuch zu machen, so soll er Quer-Format 12 L. nehmen.
Ich erzählte Hr. Prof. Herzog von dem besten Organisten Europas und er sagte, wenn er in 4 Wochen die 'Passacaglia' von Bach einstudire, so wolle er ihm glauben. Dieses Orgelstück werde ich auf der feldkircher Orgel spielen, wenn das Pedal 2 Oktaven hat, was ich sehr gerne wissen möchte. Jedenfalls wäre es ein grosser Fehler. -
Das Neueste, was es hier gibt, ist, dass - ich mir meine Stiefel vorschuhen liess, was 2 fl 42+er kostete. - Es freute mich sehr zu vernehmen, dass Sie sich wohl befinden und dass Sie sich freuen auf die baldige Ankunft
Ihres dankschuldigen Sohnes
Joseph Rheinberger
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[1] op.I = Rh. beginnt hier die Zählung seiner Jugendwerke (mit römischen Ziffern), die er später annulliert.