Josef G. Rheinberger erzählt von seinem gewöhnlichen Tagesablauf.


Brief Josef G. Rheinberger an seinen Bruder Anton
4. Februar 1858, München

Lieber Toni!

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Ich lebe hier sehr einförmig; ich will Dir zurn Beispiel nur den heutigen Tag anführen: um 1/2 8 Uhr erst aufgestanden (weil ich gestern erst um 12 Uhr heimgekommen) "z'Morga gessa", dann Klavier gespielt, dann um 1/2 9 Uhr in die, eine 1/2 Stund entfernte, Augustenstrasse gegangen, dort zweien Fratzen von 9 - 11 Uhr Klavierstund gegeben, dann in die Karlsstrasse, und dort einem 9 jährigen Rangen von 1/2 12 bis 1/2 1 Uhr Klavierstund gegeben, dann heim zum Mittag= essen, dann eine gute Cigarre angezündet und componirt, dann in die Ottostrasse und von 2 - 3 Uhr einem Fratzen Stund gegeben (wobei die gnädige Frau Mama um Nachsicht bat, weil das Fräulein Töchterchen sich nicht ganz wohl fühle) dann in die Ludwigsstrasse zur Gräfin Luxburg, wo mit noch zwei Gräfinnen von 1/2 4 - 1/2 6 Uhr musizirt wurde (wobei ich natürlich Alles, was die hohen Damen sangen "magnifique, superbe, delicieux und ravissant" fand) dann gehe ich in's Kaffeehaus, lese Zeitungen (auch die Gartenlaube, auf die sich David abonnirt,) gehe um 7 Uhr heim, esse zu Nacht, schreibe an diesem Briefe und muss um 8 Uhr wieder in solch ein musikalisches Haus wo ich zu einem musikalischen "Thee" eingeladen bin. Dort wird wieder musicirt, - der Frau vom Hause bringt man neucomponirte Lieder mit, welche sie der geladenen Gesellschaft vorsingt, um 10 Uhr wird "soupirt", dann wieder musicirt, um 12 Uhr geht man heim, dann schlafe ich; und so geht es im Winter fast täglich fort. Übrigens habe ich diese Abendeinladungen nicht ungern. Ich komme nur in vorzügliche Häuser, und man hat mich da sehr gern. Das ist langweilig. Doch was soll ich Dir sonst schreiben? Etwa, dass heuer ein herrlicher Winter ist, oder vom Zopfabschneider, von dem Du in der Allg: Z: gelesenhaben wirst. Dieser Zopfabschneider ist, wie es sich herausstellte, zur Kaiserin von Östreich gerade so nah verwandt, wie ich zu unserem Lisi! Unglaublich, aber wahr!!

Nun muss ich für heute schliessen, weil ich, wie gesagt, eingeladen bin....

München den 4.2.58.

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