Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
25. August 1857, München
Theuerste Eltern!
Weil es vielleicht nach Ihrem Wunsche ist, so schicke ich hiebei meine Rechnungsablage. Hr. Prof. Maier, welcher Anfangs dieses Monats nach Schachen (am Bodensee) verreiste, schrieb mir noch an dem nämlichen Tag, und schickte mir den Rest meiner Kasse. Ich konnte nicht mehr Abschied von ihm nehmen, weil er zu schnell verreiste, mir jedoch versicherte, bis 1. September zurück zu kommen. Ich habe demnach im Ganzen durch Hr. Maier bezogen 149fl 36+r. In diesen hundertneunundvierzig Gulden ist das Oratorienvereinsgehalt mit eingerechnet. An Perstenfeld hatte ich während 10 Monat bezahlt 240f1. -
Meine Schüler sind alle aufs Land bis auf zwei, und das sind gerade jene, zu denen ich am unliebsten hingehe. Riehl's sind nach Starnberg, Oldenbourg nach Genf, und Halm's nach Lausanne, und zwar alle mit Familie, also auch mit meinen Schülern. Bei diesen verreisten Schülern hab' ich etwa noch 10fl zu gut, welche ich natürlich erst im Verlauf der weitern Stunden nach ihrer Rückkehr bekomme. Nun, da ich diesen Monat nur sehr wenig Geld verdienen konnte, so beträgt meine jetzige Baarschaft etwa 21 - 22fl, während ich am 1.September allein für Perstenfeld's wieder 24fl vorausgaben soll. Demnach bin ich gezwungen, Sie Theuerster Vater! um Geld zu ersuchen, indem der 1te September immer näher rückt. Im Herbst und Winter werde ich jedoch mehr Geld verdienen können, weil in dieser Zeit eher Stunden zu bekommen sind, als im Sommer, wo die haute volée München's abwesend ist.
Da ich im Monat August weniger mit Stundengeben geplagt war, konnte ich desto mehr componiren. Ich habe nun eine neue grosse Sinfonie "fertig" gemacht und habe Aussicht, selbige im Winter zur Aufführung zu bringen. Nun habe ich schon angefangen, Stimmen zu schreiben und schreiben zu lassen, was sehr hoch kommt. Desshalb könnte mir der Peter (der "Riech" [1]) die Stimmen schreiben lassen, wie er es bei meiner Fiesko= Ouverture gethan hat. (Hr. Schafhäutl habe ich diese Sinfonie gezeigt, Maler und Lachner noch nicht, weil beide nicht hier sind). Auch habe ich eine grosse Klavier=Sonate fertig, deren ersten Satz ich schon früher bei Dürk und Kaulbach mit Beifall gespielt habe. Diese Sonate suche ich jetzt bei einemVerleger anzubringen. "Jephtas Opfer" arbeite ich gegenwärtig um.
Bei der grossen Juli=Hitze ist fast ganz München ausgewandert. Im August waren 12 Tage Regen mit ziemlicher Kälte, und nun ist es wieder sehr heiss. Dem Toni lass ich danken für seinen Brief, welchen ich Anfangs September beantworte. Weil ich nun in die Ludwigskirche muss, beeile ich mich den Brief zu schliessen. Was macht die Mutter? Ist Mali gesund und von Lichtensteig zurückgekommen?
Ich hoffe, dass Sie, Theuerster Vater! sich immer wohl befinden, sowie auch meine lieben Geschwister. Ich bin immer kerngesund und thätig, und spiele auch mehr Klavier, als sonst, weil ich jetzt mehr Zeit habe.
Doch nun leben Sie wohl, Bester Vater! bleiben Sie immer gesund und behalten Sie immer im Andenken
Ihren dankbaren Sohn
Jos. Rheinberger
München, den 25ten August (1857)
[Folgende Bemerkung von Rheinbergers Vater findet sich am Schluss des Briefes:]
Beantwortet am 28.Aug. mit 48f1 Beilage.
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[1] (der "Riech") = der Reiche