Brief Josef G. Rheinberger an seine Eltern
1. Juli 1857, München
Theuerste Eltern!
Obwohl ich mich sehr gefreut hätte, Sie heuer wiederinVaduz zu sehen, so thut es rnir leid, nicht kommen zu können. Ich habe mit Hr. Prof. Maier darüber gesprochen. Erstens würde ich alle meine Stunden verlieren, zweitens würde es doch auch so viel kosten, hin und herzureisen, als ein Monat Aufenthalt dahier. Drittens kann ich auch wegen der St. Ludwigskirche nicht fort. Sie sehen demnach, meine Theuersten Eltern! dass ich über diesen Sommer nicht so leicht nach Vaduz kommen kann, als sonst. Ich hoffe aber, dass Sie nichtsdestoweniger oft in Gedanken bei mir sind, als wie ich bei Ihnen. Dass Hr. Wolfinger von Vaduz kommt, freut mich sehr, obschon er mich abzuholen vermeint.
Schüler habe ich gegenwärtig drei (zwei Schülerinnen von 8 u. 10 Jahren) und einen Schüler ( Sohn des Directors der Staatsbibliothek). Diesen zusammen habe ich 7 Stunden wöchentlich zu geben. Diese sind verschieden bezahlt. Von diesen 7 Stunden sind 5 à zu 24+r, und 2 à zu 40+r bezahlt. Mein Würzburger Harmonieschüler ist in die Vakanz dorthin abgereist. Von nächster Woche bekomme ich wieder 2 Schüler, Söhne eines Grosshändlers, mit welchem ich eben in Unterhandlung bin. Letzten Monat (Juni) habe ich mir Geld zusammengespart zu Kleidern, und kaufte mir eine graue Hose
zu 7fl 48+r
ein Gilet = 3f1 30+r
einen Seidenhut (Cylinder) = 3fl -
und ein Halstuch zu = - 48+r
Summa 15 fl 6+r
Zu einem neuen schwarzen Rock, den ich nun brauchte, hat's nicht mehr gereicht. -
Im Juni babe ich ein Requiem angefangen, und arbeite jetzt schon am Benedictus. Wenn man solche Sachen nur immer gleich zur Aufführung bringen könnte, dann würde ich mehr Kirchen= Musik componiren.
Der Toni schreibt mir, dass das Mali so schlecht aussehe; es wird doch hoffentlich nicht krank sein? Auch Peter sei nicht gesund? Ich erfreue mich, Gott sei Dank gesagt, einer ungetrübten, festen Gesundheit. Und so will ich nun fleissig arbeiten, damit ich bei der nächsten Concertsaison mit neuen Werken gerüstet bin.
Sollte ich Sie also, Theuerste, Beste Aeltern! diesen Herbst nicht sehen, so hoffe ich doch, dass mich häufigere Briefe dafür ein wenig entschädigen werden. Die liebe Mutter soll desswegen mir nicht zürnen, dass es mir heuer mein Beruf erschwert, in ihre Arme zu eilen, und dass ich sie immer kindlich liebe, weiss sie ja auch.
Und nun, Theuerster Vater! indem ich darüber Ihre Entscheidung erwarte, verbleibe ich Ihr dankbarer und dankschuldiger Sohn Jos. Rheinberger
München, den 1.7.57.
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