Freundschafts- und Defensiv-Allianz-Tractat zwischen dem König von Preußen Friedrich Wilhelm III. und dem Kaiser von Oesterreich Franz II.,[1]
geschl. zu Töplitz den 9. September 1813.
Im Namen der allerheiligsten und untheilbaren Dreieinigkeit!
Seine Majestät der König von Preußen und Seine Majestät der Kaiser von Oesterreich, König von Ungarn und Böhmen, von gleichem Wunsche beseelt, den Leiden Europa’s ein Ziel zu setzen und dessen künftige Ruhe durch die Wiederherstellung eines billigen Gleichgewichts der Mächte zu sichern, haben Sich entschlossen, den Krieg, in welchem Sie für diesen heilsamen Zweck begriffen sind, mit den gesammten Streitkräften, welche die Vorsehung Ihrer Macht verliehen hat, fortzusetzen. Da Sie zugleich die Wirkungen eines so wohlthätigen Einverständnisses auf die Zeit hinaus erstrecken wollen, wo, nach vollkommen erreichtem Zwecke des gegenwärtigen Krieges, Ihr wechselseitiges Interesse die Aufrechterhaltung der durch den glücklichen Erfolg desselben herbeigeführten Ordnung der Dinge dringend erheischen wird: so haben zur Festsetzung der Artikel eines Freundschafts- und Defensiv-Allianz-Tractats, Bevollmächtigte, mit Ihren Instructionen versehen, ernannt, und zwar:
Seine Majestät der König von Preußen, den Herrn Carl August Freiherrn von Hardenberg, Ihren Staatskanzler etc.:
Se. Maj. der Kaiser von Oesterreich, König von Ungarn und Böhmen, den Herrn Clemens Wenzel Lothar, Grafen von Metternich-Winneburg-Ochsenhausen, w. Geheimen Rath, Staats- u. Conferenz-Minister etc. –
welche nach Auswechslung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten, über folgende Artikel übereingekommen sind:
Art. I.
Es soll Freundschaft, aufrichtige und beständige Eintracht zwischen Sr. Maj. dem Könige von Preußen und Sr. Maj. dem Kaiser von Oesterreich, König von Ungarn und Böhmen, Ihren Erben und Nachfolgern Statt finden. Die hohen contrahirenden Theile werden daher die größte Aufmerksamkeit darauf wenden, daß wechselseitig Freundschaft und Einverständniß unter Ihnen erhalten und Alles vermieden werde, was die Eintracht und das gute Einvernehmen stören könnte, welche glücklicher Weise zwischen Ihnen bestehen.
Art. II.
Se. Majestät der Kaiser von Oesterreich garantiren Sr. Maj. dem Könige von Preußen den Besitz aller Ihrer Staaten, Provinzen und Domainen. Se. Majestät der König von Preußen garantiren dagegen Sr. Majestät dem Kaiser von Oesterreich den Besitz der Staaten, Provinzen und Domainen, welche der Krone Sr. Kaiserl. Apostolischen Majestät angehören.
Art. III.
In Folge dieser wechselseitigen Garantie werden die hohen contrahirenden Theile in beständiger Uebereinstimmung an denjenigen Maaßregeln arbeiten, die Ihnen zur Aufrechterhaltung des Friedens in Europa am zweckmäßigstens scheinen, und im Falle, daß die Staaten der einen oder der andern Macht mit einem Einfall bedroht seyn sollte, sich auf das wirksamste dagegen verwenden.
Art. IV.
Da jedoch diese gegenseitig versprochene Verwendung nicht den gewünschten Erfolg haben könnte; so verpflichten Sich Ihre Majestäten von diesem Augenblicke an, Sich im Falle, wenn eine oder die andere von Ihnen angegriffen werden sollte, wechselseitig mit einem Corps von Sechszigtausend Mann zu unterstützen.
Art. V.
Diese Armee soll aus Fünfzigtausend Mann Infanterie und Zehntausend Mann Cavallerie bestehen, und mit einem Corps Feldartillerie, mit Munition und sämmtlichen übrigen Bedürfnissen, alles nach Verhältniß der oben stipulirten Truppenzahl, versehen seyn. - Die Auxiliar-Armee soll spätestens in zwei Monaten nach geschehener Aufforderung an den Gränzen der angegriffenen oder mit einem Einfalle in ihre Besitzungen bedrohten Macht eingetroffen seyn.
Art. VI.
Die Auxiliar-Armee steht unter dem unmittelbaren Commando des Oberbefehlshabers der requirirenden Macht; sie soll von ihrem eigenen General angeführt und bei allen Militair-Operationen nach den Kriegsregeln verwendet werden. Der Sold der Auxiliar-Armee wird von der requitirten Macht bestritten; die Rationen und Portionen von Lebensmitteln, Fourage usw., so wie auch die Quartiere, werden, sobald die Auxiliar-Armee ihre Gränzen überschritten, von der requirirenden Macht, und zwar nach demselben Maaßstabe geleistet, nach dem sie ihre eigenen Truppen im Felde und in den Quartieren unterhält oder unterhalten wird.
Art. VII.
Die militairische Ordnung und Oekonomie bei der innern Verwaltung dieser Truppen hängen einzig und allein von ihrem eigenen Chef ab. Sie können nicht getrennt werden. Die den Feinden abgenommenen Siegeszeichen und Beute gehören den Truppen, welche sie erobert haben.
Art. VIII.
In dem Falle, daß die stipulirte Hülfe für denjenigen der hohen contrahirenden Theile, welcher angegriffen werden sollte, nicht hinreichend seyn würde, behalten Sich Se. Maj. der König von Preußen und Se. Maj. der Kaiser von Oesterreich vor, Sich nach Erforderniß der Umstände ohne Zeitverlust über die Leistung einer beträchtlicheren Hülfe gegenseitig einzuverstehen.
Art. IX.
Die hohen contrahirenden Theile versprechen Sich gegenseitig, daß Sie in dem Falle, wenn einer von beiden zur Ergreifung der Waffen genöthigt worden seyn sollte, ohne Ihren Alliirten weder Frieden noch Waffenstillstand schließen wollen, damit dieser nicht aus Haß wegen der geleisteten Hülfe angegriffen werden könne.
Art. X.
Die Botschafter und Gesandten der hohen contrahirenden Theile an den auswärtigen Höfen sollen Befehl erhalten, sich durch gegenseitige Verwendung zu unterstützen und bei allen Gelegenheiten, die das Interesse ihrer Herren betreffen, in vollkommenem Einverständnisse zu handeln.
Art. XI.
Da die hohen contrahirenden Theile bei Abschließung dieses rein defensiven Freundschafts- und Allianz-Tractats keinen andern Zweck haben, als Sich gegenseitig Ihre Besitzungen zu garantiren und, so weit es von Ihnen abhängt, die allgemeine Ruhe zu sichern;[2] so wollen Sie dadurch den früheren und besonderen gleichfalls defensiven Verpflichtungen, welche Sie mit Ihren respectiven Alliirten eingegangen sind, nicht nur allein nicht im mindesten Abbruch thun, sondern Sie behalten Sich noch wechselseitig die Freiheit vor, selbst künftighin andere Tractate mit den Mächten abzuschließen, welche, weit entfernt durch ihre Verbindung dem gegenwärtigen Tractate irgend einen Nachtheil zu bringen oder ein Hinderniß in den Weg zu legen, demselben nur noch mehr Kraft und Wirksamkeit geben können. Sie versprechen jedoch, keine dem gegenwärtigen Tractate zuwiderlaufende Verbindlichkeiten einzugehen, und wollen vielmehr, in gemeinschaftlichem Einverständnisse, andere Höfe dazu einladen und zulassen, welche dieselben Gesinnungen hegen.
Art. XII.
Gegenwärtiger Tractat soll von Sr. Maj. dem Könige von Preußen und Sr. Kaiserl. Apostolischen Majestät ratificirt und die Ratificationen desselben binnen 14 Tagen, vom Tage der Unterzeichnung an gerechnet, oder früher, wenn es seyn kann, ausgewechselt werden.
Zur Beglaubigung haben Wir endesunterschriebene Bevollmächtigte, kraft Unserer Vollmachten, gegenwärtigen Freundschafts- und Defensiv-Allianz-Tractat unterzeichnet und demselben Unser Insiegel beidrucken lassen.
So geschehen zu Töplitz, den 9. Sept. im Jahre Eintausend Achthundert und Dreizehn.
(L. S.) C. A. Frhr. v. Hardenberg.
(L. S.) Cl. W. L. Gf. v. Metternich-Winneb.-Ochsenh.[3]