Übereinkunft betreffend die Anwendung gleichartiger Bestimmungen für die Fischerei im Bodensee[1]
Abgeschlossen in Bregenz am 5. Juli 1893
Um die werthvollen Fischarten im Bodensee zu erhalten und zu vermehren, sind die Regierungen von Liechtenstein, Baden, Bayern, Österreich-Ungarn, der schweizerische Bundesrath und die Regierung von Württemberg übereingekommen, gleichartige Bestimmungen zu vereinbaren.
Zu diesem Zwecke haben:
die fürstlich Liechtensteinische Regierung
den fürstlichen Landesverweser Herrn Stellwag von Carion;
die grossherzoglich Badische Regierung
den Herrn Ministerialpräsidenten Buchenberger,
den Herrn geheimen Legationsrath Freiherrn von Marschall und
den Herrn Ministerialrath Dr. Reinhard;
die königlich bayrische Regierung
den Herrn Ministerialrath Ritter von Haag
den Herrn Bürgermeister von Lossow und
den Herrn Kämmerer Freiherrn Lochner von Hüttenbach;
die kaiserl. königl. Österreichische Regierung
den Herrn Sectonschef Ritter von Rinaldini und
den Herr Dr. Birnbaumer;
der Schweizerische Bundesrath
den Herrn Oberforstinspektor Coaz und
den Herrn Nationalrath Meister;
die königlich Württembergische Regierung
den Herrn Finanzrath Geyer,
den Herr Regierungsrath Maginot und
den Herr Professor Dr. Sieglin
zu Bevollmächtigten ernannt und es sind dieselben zusammengetreten und haben unter Vorbehalt der Genehmhaltung seitens der betheiligten Regierungen folgende Übereinkunft abgeschlossen.
Art. 1
Die in den Artikeln 2 bis einschliesslich 12 der gegenwärtigen Übereinkunft enthaltenen Bestimmungen gelten für den Bodensee (Obersee einschliesslich des Überlinger Sees) bis zur Konstanzer Rheinbrücke.
Art. 2
Fanggeräte jeder Art und Benennung dürfen nicht angewendet werden, wenn die Öffnungen (bei Maschen in nassem Zustande) in Höhe und Breite nicht wenigstens eine Weite von 3 cm haben.
Für Gangfische und Kropffelchen (Kilche) ist die Verwendung von Netzen von 23 mm Maschenweite zugelassen.
Zum Zwecke des Fanges von Futterfischen für die Fischzuchtanstalten sowie von Köderfischen, kann von der Aufsichtsbehörde unter den geeigneten Kontrollmassregeln der Gebrauch von Netzen mit geringerer Maschenweite gestattet werden; doch wird dadurch an den Bestimmungen über Mindestmasse (Art. 5) und Schonzeiten (Art. 6) der Fische nichts geändert. Die Erlaubnis ist schriftlich zu erteilen.
In dem Erlaubnisscheine sind jeweils die Arten der Fische, welche zu diesem Zwecke gefangen werden dürfen, die Zeit des Fanges und die Wasserstrecke, in welcher derselbe ausgeübt werden darf, zu bezeichnen, sowie etwaige andere zur Verhütung von Missbrauch erforderliche Bestimmungen zu treffen.
Der Fang von Laugelen (Lauben) kann in gleicher Weise durch die Aufsichtsbehörde gestattet werden, auch wenn solche als Speisefische zur Verwendung gelangen sollen. In diesem Falle sind jedoch nur Netze von wenigstens 14 mm Maschenweite zulässig.
Art. 3
Stellnetze dürfen nur in einer Entfernung von 20 m in jeder Richtung voneinander ausgesetzt werden.
Bei besonders steilen Halden kann durch die zuständige Aufsichtsbehörde von dieser Vorschrift Nachsicht erteilt werden.
Art. 4
Es ist verboten:
1. die Anwendung explodierender oder sonst schädlicher Stoffe (insbesondere von Dynamit, Sprengpatronen, giftigen Ködern) sowie von Mitteln zur Betäubung der Fische;
2. die Anwendung von Fischgabeln und Geeren (Harpunen), Schiesswaffen und anderen derartigen Fangmitteln, welche eine Verwundung der Fische herbeiführen können; der Gebrauch von Angeln - mit Ausschluss der Zockschnur (Juckschnur) - ist gestattet;
3. der Fang zur Nachtzeit (von einer Stunde nach Sonnenuntergang bis eine Stunde vor Sonnenaufgang) unter Anwendung menschlicher Tätigkeit.
Ausnahmen von diesen Verboten können nur im Falle eines nachgewiesenen besonderen Bedürfnisses durch die Aufsichtsbehörde zugelassen werden.
Art. 5
Werden untermässige Fische der nachbenannten Arten gefangen, so sind dieselben sofort in den See zurückzuversetzen.
Als untermässig gelten diese Fische, wenn sie von der Kopfspitze bis zum Schwanzende (Schwanzspitzen) gemessen nicht wenigstens folgende Längen haben:
Aal | 35 cm |
Zander (Schill) | 35 cm |
Hecht | 30 cm |
Seeforelle | 30 cm |
Äsche | 25 cm |
Saibling (Rötheli) | 25 cm |
Barbe | 25 cm |
Karpfen | 25 cm |
Weissfelchen (Sandfelchen) | 20 cm |
Blaufelchen | 20 cm |
Kropffelchen | 20 cm |
Grosse Maräne | 20 cm |
Amerikanische Maräne | 20 cm |
Schleie | 20 cm |
Art. 6
Für die nachbenannten Fischarten werden folgende Schonzeiten, während welcher dieselben nicht gefangen werden dürfen, festgesetzt:
1. vom 1. März bis 30. April für Äschen;
2. vom 1. April bis 31. Mai für Zander;
3. vom 1. Oktober bis 31. Dezember für Seeforellen;
4. vom 1. November bis 31. Dezember für Saiblinge;
5. vom 15. November bis 15. Dezember für Felchen (Weiss-, Blau, Kropffelchen und Maränen).
Werden beim erlaubten Fange Fische, welche der Schonzeit unterliegen, mitgefangen, so sind dieselben sofort in den See zurückzuversetzen.
Die Fischerei auf Seeforellen, Saiblinge und Felchen (Weiss-, Blau-, Kropffelchen und Maränen) kann auch während der Schonzeit (Abs. 1) betrieben werden, jedoch nur mit ausdrücklicher, stets widerruflicher Erlaubnis der zuständigen Behörde. Diese Erlaubnis ist zu ertheilen, wenn Sicherheit besteht, dass die Fortpflanzungselemente (Rogen und Milch) der gefangenen laichreifen Fische zu Zwecken der künstlichen Fischzucht Verwendung finden.
Wo letztere Voraussetzung vorliegt, kann in einzelnen Fällen auch hinsichtlich der anderen obenerwähnten Fischarten (Abs. 1) die Erlaubnis zum Fange während der Schonzeit durch die zuständige Behörde erteilt werden.
Der Fang der sogenannten Silber- oder Schweb- (unfruchtbaren) Forelle ist auch während der Schonzeit für Seeforellen ohne besondere Erlaubnis gestattet.
Art. 7
Es wird seitens der zuständigen Behörden Vorsorge getragen werden, dass während des Gangfischlaichs befruchtete Eier der gefangenen Gangfische an die Fischzuchtanstalten abgeliefert oder an geeigneten Stellen des Sees ausgesäet werden.
Art. 8
In der Zeit vom 15. April bis Ende Mai ist die Fischerei mit Zugnetzen verboten.
Die Fischerei mit schwebenden Netzen an den tiefen Stellen des Sees, bei welcher jede Berührung der Halden, der Reiser und der Wasserflora (Kräbs) vermieden wird, ferner die Fischerei mit Steh- (Stell-) Netzen und Böhren (Reusen), gleichviel wo diese zur Aufstellung gelangen, endlich die Angelfischerei einschliesslich der gewerbsmässig betriebenen bleibt auch während der obigen Zeit für alle einer Schonzeit nicht unterworfenen Fischarten gestattet.
Art. 9
Fische, deren Fang unter einem bestimmten Mass (Art. 5) oder deren Fang zu einer bestimmten Zeit (Art. 6) verboten ist, dürfen im ersten Falle nicht unter diesem Mass, im anderen Falle nicht während dieser Zeit - die ersten drei Tage ausgenommen - feilgeboten, verkauft oder versendet werden.
Unter den gleichen Voraussetzungen ist auch die Verabreichung solcher Fische in Wirtschaften untersagt.
Auf Felchen, zu deren Fang gemäss Artikel 6 Abs. 3, Erlaubnis erteilt worden ist, findet dieses Verbot keine Anwendung. Für andere Fische (Art. 6), insbesondere Seeforellen, insofern dieselben zu Zwecken der Fischzucht bestimmt oder verwendet worden sind, kann die Aufsichtsbehörde unter der geeigneten Controlle Erlaubnis zum Verkaufe und Versand erteilen.
Während der Schonzeit für Seeforellen unterliegt auch das Feilbieten, der Verkauf und der Versand der Silber- oder Schwebforellen geeigneter Controlle.
Art. 10
Von den Vorschriften über Maschenweite, Mindestmasse und Schonzeiten können von der Aufsichtsbehörde zu wissenschaftlichen Zwecken Ausnahmen bewilligt werden.1
Art. 11
Die jeweiligen besonderen Vorschriften der einzelnen Staaten hinsichtlich der nicht gewerbsmässig betriebenen Angelfischerei (Sportfischerei mittels Angelrute oder Handangel) werden durch gegenwärtige Übereinkunft nicht berührt.
Art. 12
Die vertragschliessenden Regierungen werden hinsichtlich der Wasserbauten sowie hinsichtlich des Verhältnisses der Fischerei zu anderen, insbesondere industriellen Wasserbenützungen, den Interessen der Fischerei nach Massgabe der eigenen Gesetze Rechnung tragen.
Art. 13
Die betheiligten Regierungen werden in den Zuflüssen des Bodensees, welche von der Seeforelle regelmässig zum Laichgeschäft aufgesucht werden, dieser Fischart mindestens den Schutz angedeihen lassen, welcher durch die vorstehenden Artikel dieser Übereinkunft für den See selbst festgesetzt ist. Auch werden dieselben hintanhalten, dass diese Zuflüsse durch ständige Fangvorrichtungen über die halbe Breite des Wasserlaufes hinaus für den Zug der Seeforelle abgesperrt werden.
Die grossherzoglich badische Regierung und der schweizerische Bundesrath werden für die Fischerei im Untersee keine weniger strengen Bestimmungen erlassen, als in der gegenwärtigen Übereinkunft für den übrigen Teil des Bodensees vorgesehen sind.
Art. 14
Jede Regierung bestellt einen oder mehrere Bevollmächtigte.
Diese Bevollmächtigten werden sich die von ihren Regierungen im Vollzug dieser Übereinkunft getroffenen Anordnungen gegenseitig mitteilen und von Zeit zu Zeit zusammenkommen, um über die zur Förderung der Fischerei zu ergreifenden Massregeln zu berathen.
Das Nähere über diese Thätigkeit der Bevollmächtigen ist in einer Geschäftsordnung festzustellen, welche dieselben bei ihrem ersten Zusammentritt zu entwerfen und der Genehmigung ihrer Regierung zu unterbreiten haben.
Art. 15
Diese Übereinkunft tritt mit ihrer Genehmhaltung seitens der beteiligten Regierungen in Kraft und bleibt von diesem Tage an 10 Jahre lang in Wirksamkeit. Nach Ablauf von 10 Jahren, vom Tage des Austausches der Genehmhaltungs-Erklärungen an gerechnet, soll es jedem der vertragschliessenden Theile freistehen, jederzeit mit einjähriger Kündigungsfrist von der Vereinbarung zurückzutreten.
Art. 16
Die Auswechslung der Genehmhaltungs-Erklärungen soll thunlichst bald bewirkt werden.
Dessen zur Urkunde haben die Bevollmächtigten gegenwärtige Übereinkunft in sechsfacher Ausfertigung vollzogen.
Geschehen zu Bregenz, am 5. Juli 1893.
Stellwag
Marschall
Reinhard
Haag
Lossow
Jo Lochner
Rinaldini
Dr. Max Birnbaumer
Coaz
Dr. Meister
Geyer
Maginot
Sieglin
Schlussprotokoll
Bei Unterzeichnung der Übereinkunft betreffend die Anwendung gleichartiger Bestimmungen für die Fischerei im Bodensee haben die Bevollmächtigten für dienlich und erforderlich erachtet, folgende Erklärungen und Erläuterungen in dem gegenwärtigen Schlussprotokoll niederzulegen.
I.
Es steht den betheiligten Regierungen frei die Verfügung zu treffen, dass bei der Kontrolle der Geflechte und Netze eine Abweichung von einem Zehntheil bei einzelnen Maschen nicht zu beanstanden sei (Art. 2 der Übereinkunft).
II.
Es wird festgestellt, dass bei Angabe von Fristen sowohl der erste als der letztgenannte Tag als eingeschlossen zu gelten haben (Art. 6, Ziff. 1 bis 5 und Art. 8 der Übereinkunft).
III.
Die betheiligten Regierungen werden ihre Bevollmächtigten (Art. 14 der Übereinkunft) beauftragen, wegen gleichartiger Kontrollzeichen (Art. 9 der Übereinkunft) das Weitere zu vereinbaren.
IV.
Es wird als wünschenswert erachtet, dass die betheiligten Regierungen verbieten, in den Bodensee und seine Zuflüsse neue Fischarten ohne vorgängige Anzeige und behördliche Bewilligung einzusetzen. Die Bewilligung soll nur nach einer entsprechenden Prüfung und Abwägung der voraussichtlichen Vortheile des beabsichtigten Einsatzes und nur auf Grund eines diesbezüglichen Einverständnisses aller an dieser Übereinkunft betheiligten Regierungen, beziehungsweise ihrer Bevollmächtigten (Art. 14 der Übereinkunft) ertheilt werden.
V.
Es wird als wünschenswert erklärt, dass in der der Genehmigung der Regierungen vorbehaltenen Geschäftsordnung der Bevollmächtigten (Art. 14 der Übereinkunft) für einen bestimmten periodischen Zusammentritt der Bevollmächtigten sowie dafür vorgesorgt werde, dass dieser Zusammentritt abwechslungsweise an den Hauptorten des Bodensees stattfinde.
Bregenz, am 5. Juli 1893
Stellwag
Marschall
Reinhard
Haag
Lossow
Jo Lochner
Rinaldini
Dr. Max Birnbaumer
Coaz
Dr. Meister
Geyer
Maginot
Sieglin