Verordnung über das Armenwesen


Verordnung [über das Armenwesen][1]

vom 20. Oktober 1845

Se. Durchlaucht, der gnädigste Landesfürst und Herr, geruhten in steter Ueberwachung des Wohles Höchstihrer Unterthanen auch das Armenwesen des Landes der gnädigsten Aufmerksamkeit zu würdigen und haben bemerkt, dass hiefür so wie für sonstige Wohlthätigkeitsanstalten bisher nur weniges, den Bedürfnissen des Landes keineswegs Entsprechendes geschehen sei, dass der Armenfond kein bestimmtes Einkommen besitze und sich nur sehr langsam erhebe, während eine Versorgungsanstalt für alte, presshafte[2], erwerbsunfähige Arme um so mehr ein dringendes Bedürfniss des Landes erscheine, als selbst bei dem Umstande, dass den Gemeinden, deren Spendfonde[3] sehr geringfügig sind, die Verpflegung und Versorgung ihrer Ortsarmen nach bisheriger Uebung obliegt, denn doch wieder der Mangel an Armenhäusern in den Gemeinden eintritt und dass daher wahrhaft Arme und Erwerbsunfähige, wenn sie keine Verwandte haben oder nicht einzelne Wohltäter finden, der Noth und Hülflosigkeit besonders in Krankheitsfällen blossgestellt sind.

In Berücksichtigung dieser Umstände geruhten Seine Durchlaucht schon seit dem Jahre 1842 her bestimmte einzelne Verfügungen in Aufstellung einer Armenkommission und zur Fundirung eines landschaftlichen Armenfondes gnädigst zu treffen und bei dieser Fundierung jene Erleichterung eintreten zu lassen, welcher sonst bisher die ärmere Klasse der Unterthanen in Beisteuerung zu den öffentlichen Fonds nicht theilhaftig gewesen sind.

Diese einzeln erflossenen höchsten Weisungen werden in gegenwärtiger Verordnung zusammengefasst, und diese wird zum förmlichen Gesetze erhoben, welches in drei Abschnitte zerfällt.

I.          In die Aufstellung der Armenkommission

II.        In die Zuweisung bestimmter Gefälle zur Fundirung einer Armenanstalt

III.       In die Verwaltung und Verrechnung dieser Fondsgelder

I. Abschnitt

Von der Aufstellung der Armenkommission und ihrer Pflichten

§ 1

Um das Armenwesen unter eine geregelte Aufsicht zu bringen, ist unter dem Vorsitze des jeweiligen Landvogts eine Commission zusammenzusetzen, welche aus dem jedesmaligen Landesvikar, dem Rentmeister, jedoch nur als lediglich rech­nungsführenden, an den sonstigen Arbeiten der Commission nicht theilnehmenden Beamten, einem zweiten Geistlichen, aus zweien durch die sämmtlichen Ortsvor­steher des Landes aus ihrer Mitte der oberen und unteren Landschaft zu Wählenden, endlich aus einem Lehrer zu bestehen [hat], welcher, so wie der zweite Geistliche, durch das Oberamt der höchsten Bestätigung vorzuschlagen ist.

Die Dienstdauer dieser Mitglieder hat bei dem Landvogte, Landesvikar und Rentmeister als Rechnungsführer für die Zeit ihrer Amtsstellung zu bestehen. Jene des zweiten Geistlichen, des Lehrers und der beiden Orts-Vorsteher bleibt nebst ihrer Amtsstellung auf drei Jahre der Art beschränkt, dass die ersteren beiden so wie die Ortsrichter, wenn diese letzteren aus ihrem Richteramte treten und wieder neu bestätiget würden oder während ihres Richteramtes die dreijährige Dienstzeit als Commissionsglieder zurückgelegt hätten, als solche wieder wählbar sind.

§ 2

Diese Commission hat die Obliegenheit, auf die angemessene Versorgung wahrhaft armer, insbesondere kranker oder wegen Gebrechlichkeit erwerbsunfähiger Leute mit Berücksichtigung der Gemeindeverhältnisse zu wachen, wenn nicht die Schuldigkeit der Verpflegung den Verwandten überbunden werden könnte.

§ 3

So lange der Armenfond nicht so erstarkt sein wird, dass aus demselben ein Armenhaus gebaut werden kann, hat sich die Landesarmen-Commission mit der nachhältigen obern Leitung des Armenwesens überhaupt in den Gemeinden zu befassen und in vorkommenden Fällen, wo eine Gemeinde ihre Schuldigkeit gegen wahrhaft Arme offenbar vernachlässiget, sie zur Erfüllung derselben durch das Oberamt verhalten zu lassen.

§ 4

In so ferne die Versorgung solcher wahrhaft Armen aus dem Landesarmenfonde nicht vollständig geschehen kann, hat die gegenwärtige Verpflichtung der Gemeinden gegen die Ortsarmen fortzudauern. Damit aber dieser Verpflichtung besser nachgekommen werde, ist in jeder Gemeinde das Armen- und Spendwesen unter Oberleitung des Ortsseelsorgers durch zwei Armenväter, sogenannte Spendvögte, zu besorgen, an welche sich die Armen wenden können.

§ 5

Der Gesammtheit der Landeskommission sind die Armen-Commissionen der Gemeinden untergeordnet, und an die erstere, rücksichtlich an die unbefangenen Mitglieder derselben, können Beschwerden in Armensachen angebracht werden, die sohin zu untersuchen und ihnen Abhülfe zu schaffen ist. Es ist Pflicht der Landesarmenkommission, mit den Commissionen der Gemeinden im genauen und guten Einvernehmen zu stehen, um desto nachhaltiger durch gemeinsames Wirken die Gemeinden in Erfüllung ihrer Obliegenheiten gegen die Ortsarmen verhalten lassen zu können.

§ 6

Die landschaftliche Armen-Commission hat, so oft sie es zweckdienlich oder ihr Präses es nöthig erachtet, zusammenzutreten, um sich in Armensachen zu berathen und Beschlüsse zu fassen, wozu unter den im § 8 festgesetzten Bestimmungen nur der Präses, der Landesvikar, der zweite Geistliche, dann die beiden Orts-Vorsteher und der Lehrer stimmberechtiget sind.

Ueber ihre Verhandlungen ist ein fortlaufendes Sitzungs-Protokoll zu führen und dasselbe von sämmtlichen Mitgliedern zu fertigen.

§ 7

Der Landesarmen-Commission ist das Recht eingeräumt, aus ihren durch Leitung der Armensachen erlangten Erfahrungen durch das Oberamt Vorschläge zur Vervollständigung der nöthigen Bestimmungen im Armenwesen an die fürstliche Hofskanzlei zur weiteren Verfügung einzubringen.

§ 8

Die im § 6 erwähnten Beschlüsse werden durch Mehrheit der Stimmen gefasst, wobei der Präses, und zwar nur falls bei Ermanglung Eines der fünf Stimmenberechtigten Stimmengleichheit vorläge, die Seinige zuletzt abzugeben hat. Die Ausführung der Beschlüsse kann jedoch nur durch das Oberamt geschehen, dem die Armenkommission untersteht und welches die ihm bedenklich oder unbillig erscheinenden Beschlüsse der höchsten Entscheidung zu unterwerfen hat.

§ 9

Beschwerden der Orts-Commissionen wider die landschaftliche Commission in Armensachen sind von Fall zu Fall innerhalb 14 Tagen durch das Oberamt einzubringen. Dieses Recht steht auch den einzelnen Mitgliedern der Landesarmen-Commission wider dieselbe zu.

II. Abschnitt

Zuweisung bestimmter Gefälle zur Fundirung einer Armenanstalt

§ 10

Die in dem Schulgesetze vom 5. October 1827 § 21 zur Emporhebung des Schulfondes eingeführte Scala zur Besteuerung der Erbschaftsmassen ist aufgehoben. Damit aber der Schulfond nicht verkümmert werde und der Armenfond sein nöthiges Gedeihen finde, werden neue Scalen eingeführt, nach welchen die Beitragschuldigkeiten aus den Verlassenschaften zu berechnen sind, die gleichtheilig dem Schul- und Landesarmenfonde von allen Verlassenschaften, die vom 1. Jänner d.°J. [an] schon abgehandelt wurden oder noch abzuhandeln sind, zuzufallen haben.

§ 11

Die Verlassenschafts-Scala zerfällt in zwei Abtheilungen, und zwar:

a)         In jene Erbschaften, die auf Verwandte in auf- und absteigender Linie, und

b)         in jene für Erbschaften, die auf Seitenverwandte oder Fremde zu übergehen haben.

§ 12

Erben der Abtheilung a. des vorgehenden Paragraphes haben von dem reinen Massavermögen folgende Beträge zu entrichten; und zwar von dem bemeldten Vermögen

über 200 und unter 500           2 fl.
über 500 und unter 1000         4 fl.
über 1000 und unter 1500       5 fl.
über 1500 und unter 2000       6 fl.
über 2000 und unter 2500       7 fl.
über 2500 und unter 3000       8 fl.
sofort bei jedem fünfhundert um einen Gulden steigend.

§ 13

Erben der Abtheilung b. des § 11 haben von dem reinen Massavermögen das Doppelte nach obiger Scala zu entrichten; und zwar von dem reinen Massavermögen in einem Betrage

über 200 und unter 500           4 fl.
über 500 und unter 1000         8 fl.
über 1000 und unter 1500       10 fl.
über 1500 und unter 2000       12fl.
über 2000 und unter 2500       14 fl.
über 2500 und unter 3000       16 fl.
sofort bei jedem fünfhundert um zwei Gulden steigend.

§ 14

Verlassenschaften unter 200 fl. sind von dem Schul- und Armenfondsbeitrage frei, sie mögen an Seitenverwandte oder Fremde gehen oder nicht.

§ 15

Bei Fällen überwiesener Verheimlichung eines Verlassenschaftsvermögens oder eines Theiles desselben, aus was immer für einer Absicht, findet eine strafweise Erhöhung von hundert Procent der Beitragstaxe an dem Verheimlicher statt.

§ 16

Bei offenbar zu niederen Schätzungen eines Erbschaftsvermögens findet eine zweite Schätzung statt, und es tragen die Schätzleute solcher offenbar zu niederen Schätzungen den Ersatz jenes Betreffnisses, welches bei gehöriger gewissenhafter Werthung die Massa als mehr entfallenen Beitrag sonst zu entrichten gehabt hätte, so wie die Kosten der zweiten Wertherhebung. Eine derlei zweite Schätzung muss aber durch einstimmigen Beschluss dreier Schätzleute festgestellt worden sein.

§ 17

Die früherhin bestandene Gewohnheit, dass Brautleute vor ihrer Verehelichung einen Ehevertrag zur Eintragung in das Ehevertragsbuch einbringen und dafür eine Auszeichnungstaxe bezahlen mussten, bleibt in Gemässheit der Spezialverordnung vom 31.°December 1842, Zahl 9445 aufgehoben, wogegen von jedem Brautpaar bei Erwirkung der Ehebewilligung eine Taxe zu Gunsten des Landesarmenfonds einzuheben ist, die folgend bemessen und festgesetzt wird: für die Vermöglicheren mit 15 fl., für die weniger Vermöglichen mit10 fl., für solche endlich, die selbst so wie deren beiderseitige noch lebende Aeltern oder Grossältern unbemittelt sind, mit 5 Gulden.

§ 18

Dem Landesarmenfonde werden ferner alle Geldstrafen zugewiesen, welche nicht schon dem Feuerlöschfonde und den Gemeinden als Gebühr überlassen sind. Wenn daher in Sachen der fürstlichen Renten, der Staatskassa, der Genossenschaften und Privaten bei ihnen zugegangenen Beeinträchtigungen oder Beschädigungen ausser der zugesprochenen Entschädigung auch noch auf eine Geldstrafe erkannt würde, so haben selbe nur auf die eigentliche Schadensvergütung, auf die Geldstrafe aber keinen Anspruch, welche dem Armenfonde des Landes zuzuwenden ist.

III. Abschnitt

Von der Verwaltung und Verrechnung der Fondsgelder

§ 19

Der im § 1 dieser Verordnung aufgestellten landschaftlichen Armencommission kommt die Verwaltung des Armenfondes zu. Sie hat die Obliegenheit darauf zu halten, dass demselben die ihm zugewiesenen Einkünfte in allen vorkommenden Fällen auch richtig zukommen und die eingeflossenen Gelder mit thunlichster Beschleunigung mit Pupillarsicherheit angelegt werden, wobei Se. Durchlaucht zugleich die wohlwollende Absicht auszusprechen geruhten, dass die Elocirung auf 5°% im Lande und mit Rücksicht auf Landwirthe, welche der Unterstützung bedürfen und genügende Hypothek nachweisen, bewerkstelligt, solchen auch die Aussicht auf eine bei pünktlicher Interessenzahlung entfernte und nur durch eigenes Bedürfniss des Fonds bedingte Aufkündigung offen gehalten werde.

§ 20

Bis nicht die Zulänglichkeit des Fondes es gestattet, seine Wirksamkeit in allgemeine Anwendung zu bringen, hat sich vorerst die Landesarmen-Commission regelmässig nur mit der Verwaltung des Fondes zum Zwecke seiner Vermehrung zu befassen; doch wird sie in besonders rücksichtswürdigen Fällen und wo eine Schonung der Gemeinden aus besonderen Gründen nöthig erscheinen sollte, auch schon früher die Uebernahme der Versorgung einzelner, wahrhaft armer, erwerbsunfähiger Personen aus dem Landesarmenfonde der fürstlichen Hofkanzlei in Antrag zu bringen haben; wobei jedoch die Gesammtauslagen bis auf weitere Bestimmung die Hälfte der Fondszinsen nicht übersteigen dürfen.

§ 21

Die Verrechnung des landschaftlichen Armenfonds hat der Rentmeister nach den ihm ohnehin bekannten Rechnungsvorschriften zu führen und die Gelder und Schuldtitel unter der bestehender controlgemässen Verwahrung zu halten.

§ 22

Nach dem Jahresabschlusse der Armenfondsrechnung hat sich die Landesarmen-Commission von dem Bestande, Zuwachse und der Verwendung Ueberzeugung zu verschaffen, um in stets richtiger Uebersicht der Fondskräfte zu bleiben. Sie hat daher die Jahresrechnung gremialiter zu prüfen, allenfalls zu bemängeln und die gepflogene Revision durch ihre Fertigung auf der Rechnung zu bestätigen. Es steht den einzelnen Mitgliedern der Commission das Recht zu, gelegenheitlich über den Fondsbestand Auskünfte einzuholen.

Der fürstlichen Hofkanzlei ist ferner jährlich mit Ende des Monats Februar ein das vorausgegangene Solarjahr betreffender summarischer Rechnungs-Extract über Empfang und Ausgabe, mit Angabe der Hauptrubriken, dann über den Capitalienstand und Baarschaftsrest zur Einsicht vorzulegen, welche hierüber ihre Bemerkungen hinausgeben, nach Umständen auch die Original-Rechnungen sich zur Einsicht vorlegen lassen und deren förmliche Revision durch die fürstliche Buchhaltung – wenn nötig – verfügen kann.

§ 23

Bei den Ortsarmen-Commissionen müssen die Spendrechnungen jährlich ebenfalls ordentlich gepflogen, die ihnen seiner Zeit mit einzuholender höherer Bewilligung allenfalls aus dem Hauptfonde zu einer bestimmten Verwendung übergebenen Gelder ausgewiesen und die Rechnung unter allseitiger Fertigung des Ortsseelsorgers und der Armenväter oder sogenannten Spendenvögte abgeschlossen werden.

§ 24

Da nach § 4 das Armen- und Spendwesen in den Gemeinden den bezeichneten Ortskommissionen überbunden ist, so haben sie auch über die in ihren Gemeinden für die Armen bestehenden Stiftungen pflichtgemässe Obsorge zu halten und nach dem § 23 die Verrechnung zu pflegen.

§ 25

Der Landesarmen-Commission sind von den Orts-Commissionen sowohl die Spendrechnungen als auch jene über Armen-Stiftungen jährlich zur Revision vorzulegen, welche sie nach Umständen zu bemängeln und die bemängelte Rechnung unter oberämtlicher Vidirung zur Erläuterung oder Berichtigung hinauszugeben und definitiv zu adjustieren hat.

Wien, am 20. October 1845

Von der hochfürstlichen Hofkanzlei

Joseph Freiherr von Buschmann, dirigirender Hofrath

Maximilian Kraupa, Wirtschaftsrath

Franz Strak, Sekretär

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[1] Kein Originaltitel. Druck. LI LA SgRV 1845. Registraturvermerk: Nr. 8977.
[2] Presshaft/presthaft: krank, leidend.
[3] Fonds in den Gemeinden zur Verwaltung und Austeilung von Spenden (Milden Gaben für die Armenpflege).