Schulplan


Schulplan[1]

vom 31. Juli 1822

Da der Volksunterricht eines der unentbehrlichsten Bedürfnisse des Staates und die zwekmässige Besorgung desselben eine der vorzüglichsten Pflichten der Regierung ist, da sich derselben, um zwekmässig zu seyn, nicht nur nach den Verhältnissen der Zeit und des Landes richten, sondern auch durchaus gleichförmig seyn muss, so wurde im souvrainen Fürstenthum Liechtenstein nach vorläufiger Berathung und Einverständnis der weltlichen und geistlichen Behörden nachstehender Schulplan festgesetzt, welcher im ganzen Umfange dieses Landes, vom Wintersemester dieses Jahres anfangend, in volle Wirksamkeit zu tretten hat.

Erster Abschnitt
Gegenstände des Schulunterrichts

§ 1
Da das Fürstenthum Liechtenstein meistens nur aus solchen Bewohnern besteht, welche ihren Unterhalt blos durch Anstrengung ihrer physischen Kräfte, sofort durch Hervorbringung oder Bearbeitung oder den ersten Umsatz der Naturprodukte erwerben, so muss auch ihre Bildung nach ihrem Bedürfnisse eingerichtet, mithin der Schulunterricht lediglich auf die nothwendigen Kenntnisse eines Landmanns eingeschränkt werden.

§ 2
Abgesehen von dem praktischen Unterricht in den häuslichen oder Gewerbsgeschäften, welchen die Jugend ausser der Schule durch anderweitige Lehre und Uebung sich erwerben muss, gehören anher:
a. Die geoffenbarte Religion Jesu Christi verbunden mit der christlichen Sittenlehre, welche Gegenstände nach dem Leitfaden des in oestreichschen Erb-Landen vorgeschriebenen kleinen Katechismus und zwar soviel möglich, wenigstens in ein und der nämlichen Schule, nach einer und der nämlichen Auflage und nach Schmids kurzem Auszuge der Religionsgeschichte, dann Jais Sittenlehrbüchel vorgetragen werden sollen.

§ 3
b. Vorläufig das Buchstaben kennen, das Buchstabiren, nach dem gewöhnlichen Namenbüchel, sodann das fertige Lesen der gedrukten und geschriebenen Schriften, wobei die im vorigen Paragraphe genannten Werke gebraucht werden können.

§ 4
c. Das Schön- und Rechtschreiben insoferne, dass die Jugend eine gewisse Fertigkeit sich bei nothwendigen Anlässen schriftlich und zwar fehlerfrey auszudrüken erlange, wobei die Sprachlehre und zwar eine für alle Lehrer gleichförmige, nur über die nothwendigsten Vorschriften zu benützen ist, damit sich die Jugend in der Rechtschreibung blos praktisch zu üben im Stande wäre.

§ 5
d. Die Rechnungskunde nach den gewöhnlichen vier Spezies und der regula de tri, wobei jedoch alle Rechnungen mit übertriebenen, ungewöhnlichen Zahlenreihen zu vermeiden und soviel möglich das sogenannte Kopfrechnen geläufig zu machen ist.

Zweiter Abschnitt
Eintheilung der Schulen

§ 6
Die Schulen werden zerfallen:
a. in die Winterschule,
b. in die Sommerschule,
c. in die Sonntagsschule.

§ 7
Die Winterschule hat von Martini bis Ostern zu dauern, sie muss mit Ausnahm der Sonn- und Feyertage täglich und zwar Morgens und Nachmittags gehalten werden und nur da, wo das ganze Jahr Schul gehalten wird, kann wochentlich zweimal, jedesmal durch einen halben Tag, dem Lehrer eine Erholung gestattet werden.

§ 8
In der Dauer der Winterschule versammeln sich täglich, um die von dem Seelsorger bestimmte Zeit morgens, die Schüler in der Schule, gehen, wenn es die Localitaet erlaubt, von da nach der Kirche, um einer heiligen Messe beizuwohnen und dann in die Schule zurük, wo der Unterricht morgens bis 11 Uhr, nachmittags hingegen von 1 längstens halbzwey Uhr bis vier Uhr zu währen hat.

§ 9
Die wochentliche Eintheilung der Lehrgegenstände bleibt bei jeder Schule dem Localinspektor und Seelsorger vorbehalten, der jedoch ein zwekmässiges Ebenmaas zu trefen und jedem Gegenstande die erforderliche Zeit zuzuweisen hat.

§ 10
Die Sommerschule beginnt um Georgi, dauert bis halben September und wird nur dreymal in der Woche [am] Vormittag, nämlich am Montag, Mittwoch und Freitag gehalten.

§ 11
Auch den Besuch derselben ist besonders bei Kindern, welche ihren Aeltern zu Hause auf eine oder die andere Weise Aushilfe thun können, nicht so strenge wie bei der Winterschule zu sehen.

§ 12
Zur Sonntagsschule sind alle aus der Winter- und Sommerschule entlassenen Knaben und Mädchen bis zum angetrettenen 20ten Jahre pflichtig, welche die Knaben und Mädchen alternatim alle Sonn- und Feyertage im Jahre nach Weisung des Localinspectors Nachmittags zu besuchen schuldig sind.

Dritter Abschnitt
Schulbesuch

§ 13
Jedes Kind wird mit dem erreichten siebenten Jahre schulpflichtig, doch kann ein fähiges Kind nach Befund des Schullokalinspektors auch früher in die Schule aufgenommen werden.

§ 14
In der Regel dauert die Schulpflichtigkeit bis zum 14ten Jahr inclusive, sollte jedoch der Localinspektor den Schüler nicht zureichend unterrichtet finden, dann hat er das Befugnis, die Schulpflichtigkeit bis zu dessen nothwendiger Ausbildung zu verlängern.

§ 15
Die Aufnahm in die Schule hat der Ordnung nach zu geschehen; sollten sich jedoch ungewöhnliche Fälle ergeben, dass Kinder unter dem Kurse aufgenommen werden müssten, dann sind sie vorläufig vom Localinspector zu prüffen und nach ihren bewiesenen Fähigkeiten und Kenntnissen in eine oder die andere Abtheilung aufzunehmen.

§ 16
Ueber das Erscheinen der Schüler hat der Lehrer ein ordentliches Verzeichnis zu führen und dasselbe beim Localinspektor alle Monate einmal einzureichen, damit dieser das Nothwendige zu verfügen wisse.

§ 17
Vom Schulbesuch kann nur der Localinspektor dispensiren, daher die jedes malige Ursache des Ausbleibens ihm anzuzeigen ist, in widrigen [Fällen] der Schüler, wegen seinen nicht gerechtfertigten Ausbleiben oder seine Eltern nach Umständen entweder jener mit einer körperlichen oder diese mit einer Geldstraffe belegt werden sollen.

§ 18
Die den Eltern auferlegten Geldstraffen sind, im Falle sie von ihnen nicht bezahlt würden, vom Localinspektor dem Ortsrichter anzuzeigen, welcher sie durch den Polizeysoldaten eintreiben und bei dem ersteren ohne allen Abzug abführen zu lassen hat.

§ 19
Diese Strafen werden zum Besten der jenigen Schule, wo sie eingehen, auf Beischaffung der Bücher für mittellose Kinder oder sonst zum Besten der Ortsschulanstalt verwendet.

§ 20
Während dem Schuljahre darf der Schüler, auch wenn er das ihn von dem Schulbesuch befreyende Alter erreichen sollte, frey und aus eigenem Antritt nicht austretten, sondern muss die Beendigung des Schuljahres und die vorläufige Prüffung, dann die darauf erfolgende Bewilligung zum Austritt erhalten.

§ 21
Eine solche Bewilligung befreit ihn jedoch keineswegs von dem Besuch der Sonntagsschule.

Vierter Abschnitt
Schulaufsicht

§ 22
Die Schulaufsicht hat zu bestehen aus dem Lokalinspektor [und] aus einer obern Schulbehörde.

§ 23
Der Lokalinspektor ist der jedesmalige Seelsorger des Orts, welcher darauf zu wachen hat, dass der Unterricht der Ordnung gemäs für sich gehen, dass der Lehrer die festgesetzten Unterrichtsstunden halte, dass er die vorgeschriebenen Gegenstände nach der vorgeschriebenen Methode lehre und dass der Schulbesuch von allen Pflichtigen vor sich gehe. Ihm gehört auch die Schulpolizey im ganzen Umfange und die Bestimmung der wochentlichen Stunden, in welchen die Schulgegenstände zu lehren seyen, daher von ihm der Lehrer alle Weisungen einzuhohlen und sie pünktlich zu vollziehen hat.

§ 24
Die Aufsicht über alle Schulen hingegen übt ein aus der gesammten Geistlichkeit durch Stimmenmehrheit zu wählender Schulinspektor, dieser hat vorzüglich sich zu überzeugen, dass der Unterricht nach einer gleichförmigen Methode statt finde, den Lokalinspektor in den planmässigen Bildungsanstalten mit Nachdruk zu unterstützen, den Prüffungen beizuwohnen und über alle Schulgegenstände an die obere Schulbehörde zu referiren, dann die von ihr ergehenden Verfügungen in Vollzug zu setzen.

§ 25
Die obere Schulbehörde bestehet unter dem Praesidio des landesfürstlichen Oberbeamten und des Decanats aus dem Schulinspektor und allen Localinspektoren, welche sich nach Bedürfniss, wenigstens aber vor Beginn der Winterschule jährlich einmal versammeln, über Schulsachen die nothwendigen Verfügungen treffen und diese dem Schulinspektor, welcher als der bleibende Stellvertretter der oberen Schulbehörde anzusehen ist, zur Ausführung zuweisen sollen.

§ 26
Unter die der oberen Schulbehörde vorbehaltenen Geschäfte gehört auch die Aufnahme der Lehrer. Wenn demnach ein Lehramt, sei es durch Resignation oder durch eine von ihr allein gültig ausgesprochene Entsetzung des Lehrers vacant geworden, dann haben sich die Competenten bei dem Schulinspektor zu melden, dieser sie vor die obere Schulbehörde zu bringen, wo sie geprüft und der Schuldienst soviel möglich in Folge einer Berathschlagung in pleno besetzt werden soll.

§ 27
Die Schulprüffungen haben bei jeder Schule jährlich einmal statt zu finden, die Vornahme bestimmt der Schulinspektor mit Einverständnis des Lokalinspektors; wohnt ihnen auch als Representant der Schulbehörde bei und theilt, wenn hiezu ein Fond ausgemittelt ist, an die besten Schüler Belohnungen aus.

§ 28
Die Schulgesetze werden insbesondere festgesetzt und sollen vom Localinspektor der Schuljugend wenigstens zweimal im Jahre vorgelesen werden.

§ 29
Da im gegenwärtigen Schulplane nur der nothwendigste Umriss angegeben ist, so bleibt das umständlichere der jedesmaligen Berathung der oberen Schulbehörde vorbehalten.

Vaduz, den 31ten Juli 1822

Joseph Schuppler

Johann Schlegel, Richter am Triesnerberg

Joseph Verling, Richter von Vaduz

Allexander Walser, Richter von Schaan

Johannes Negle, Richter von Blanken

Michael Allgäuer, Richter von Eschen

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[1] LI LA RB S1/1822