Freizügigkeitsgesetz[1]
vom 22. Juni 1810
Da in dem souverainen Fürstenthume Liechtenstein die bis nun noch bestehende Gewohnheit, nach welcher ein Bürger aus einer Gemeinde sich in einer andern nicht eher als nach vorgängigem Bürgerrechtskaufe ansässig machen und Bürgerrechte erwerben kann und der Gebrauch, dass, wenn ein Bürgerskind sich mit einem anderen nicht aus der Gemeinde abstammenden Unterthanen oder einem Fremden, wenn er gleich in der Gemeinde wohnt, verehliget, seine Nachkömmlinge nicht als Bürger rechtsfähig angesehen, sondern von dem Genuss der Gemeindevortheile ausgeschlossen werden, sich mit der dermaligen Verfassung nicht verträgt und dem Allgemeinen um so schädlicher ist, als dadurch die gleichen Rechte der Unterthanen beschränkt werden; so haben Se[ine] Hochfürstliche Durchlaucht genädigst geruhet, diese Gewohnheit und diesen Gebrauch hiemit aufzuheben und zu verordnen wie folgt:
1. [Grundsatz]
Es soll nun eine allgemeine Freizügigkeit im ganzen Lande dergestalten bestehen, dass sich ein Unterthan aus einer Gemeinde in einer anderen ansässig machen kann, wenn sich nur derselbe ein Bürgerhaus samt so viel Gütern, die ihn zu ernähren vermögen, erwirbt.
2. [Aufhebung des Einkaufs für Landesangehörige]
Ein solcher ist an die Gemeinde oder an die Gemeindsglieder keinen Einkauf, der hiemit ganz aufgehoben wird, zu entrichten verbunden und erwirbt die Rechte auf den Genuss aller Gemeindsvortheile, in soweit diese nicht besondern Gliedern vertragsmässig zustehen, so wie jeder andere Gemeindsbürger.
3. [Aufhebung des Einkaufs bei Verehelichung]
Eben so kann ein Kind eines Gemeindsgliedes und seine Nachkommen von den Gemeindsrechten nicht verdrängt werden, wenn es sich entweder mit einer Person aus einer andern Gemeinde oder mit einer ganz fremden verehligt, von welcher für diesen Fall auch kein Einkauf gefordert werden darf.
4. [Einkauf von ausländischen Staatsangehörigen]
Der Einkauf bleibt für die Zukunft nur bey jenen Einwerbern gültig, die nicht Landeskinder sind [und] sich mit keinen Eingeborenen verehligt haben.
5. [Wohnsitzpflicht bei Nutzung von Gemeinheiten]
Da die Gemeindvortheile nur ein Entgeld für die Mühewaltung bey Gemeindwerken aller Art sind, so wird unabänderlich hiemit festgesetzt, dass sowohl Haus- als Gemeinheiten-Besitzer da, wo sie diese Besitzungen haben, unausweichlich wohnen müssen, folglich in zwey oder mehreren Gemeinden zugleich nicht ansässig seyn können.
6. [Verkaufszwang von Gemeinheiten in anderen Gemeinden]
Sollte sich der Fall ereignen, dass ein Unterthan durch Kauf oder Erbschaft zu dem Besitz zweyer in zwey verschiedenen Gemeinden liegenden Häusern und Gemeinheiten gelangt, dann hat er binnen einer Zeitfrist von sechs Monaten [die] eine oder die andere Besitzung um so sicherer an ein anderes in der Gemeinde, wo dies Gut liegt, wohnendes erwerbsfähiges Individuum käuflich oder auf eine andere Art eigenthümlich zu überlassen, als nach Verlauf dieser Zeit das Gericht die Anzeige beym fürstlichen Oberamte zu machen und dieses den Verkauf der Besitzungen von Amts wegen einzuleiten hat. Bis dahin ist derselbe alle und jede Gemeindschuldigkeiten ohne Ausnahme zu verrichten verbunden.
7. [Vererbung von Gemeinheiten]
Da jedoch die Gemeinheiten nur ein ausschliessliches Eigenthum jener sind, die im Lande wohnen und sich den geniessenden Vortheil um die Gemeinde und das Land durch getreue Erfüllung ihrer sämtlichen Pflichten und Lasten erwerben, so kann ein Auswärtiger auf diesen Vortheil keinen Anspruch machen, daher nur Inländer oder jene, die ihnen nach dem 3t[en] Absatze gleich gehalten werden, zu der Erbschaft eines Gemeindgutes gelangen können. Sollte also ein Erblasser keine im Lande wohnende, sondern [nur] auswärtige Erben zurücklassen, so kann der Werth der Gemeinheiten an sie nicht gelangen, und in diesem Fall hat zwar das zum Hause zugeschriebene Gemeindgut beym Hause zu bleiben, allein der gerichtlich erhobene Schätzungswerth ist von jenem des Hauses abzusöndern und der Gemeinde, wo diese Gemeinheit liegt und von der sie unentgeltlich herkömmt, zuzueignen, wenn nicht Gläubigern gerichtliche Pfandrechte hieraus eingeräumt worden sind.
8. [Verweigerung der Gemeindelasten]
Endlich ist jeder Gemeindbürger, nebst seinen arbeitsfähigen Kindern, Gemeindarbeit zu verrichten und Gemeindlasten zu tragen um so sicherer schuldig und verbunden, als ersterer bey einer etwa erwiesenen Stützigkeit oder Weigerung ohne weiters von seiner Besitzung abzustiften, letztere aber von dem Erbrechte des Vermögens der Eltern, in so weit es in Gemeindgütern bestehet, auszuschliessen und für unfähig zu jeder Ansässigmachung und Verehligung zu erklären sind.
Wien, am 22t[en] Juny 1810.
v. Walberg m. p.
Hochfürstlich Johann Liechtensteinische Kanzley
Georg Hauer m. p.