Alois Rheinberger an Emma Rheinberger über den Tod seiner Ehefrau Margarethe und der Söhne Carl und Ferdinand, die Bekämpfung der Rebenkrankheiten in seinem Weingarten, den Weinertrag, die Temperenzbewegung gegen den Alkoholkonsum, die Löhne der Weinarbeiter und Weinarbeiterinnen, das Ordensjubiläum der Maxentia Rheinberger, den Besuch einer protestantischen Begräbnisstätte sowie den sehr trockenen Sommer von 1901


Handschriftliches Originalschreiben des Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), an Emma Rheinberger, Vaduz [1]

November 1904, Nauvoo (Illinois)

Fräulein Emma Rhbrgr. [2] u. Geschwister

Liebe Emma [3]!

Eigentlich sollte ich, schon aus Höflichkeit,
diese ganze Seite dazu verwenden, Ihnen
nur Liebes und Schönes zu sagen, als
Erwiederung Ihrer Complimente [4] und Vorzüge,
die Sie immer für mich vorräthig haben und
die so wenig auf mich passen [5]; aber ich bin
so unfächig dafür, dass ich Sie bitten muss,
mit meiner Versicherung, dass Ihre freundlichen,
zutraulichen und offen herzigen Mittheilungen
mir wahre Herzens-Freude bereiten, zufrieden
zu sein. Sie haben es versucht mich zu trösten,
und ich danke dafür. Es ist ein Zeugniss Ihres
gläubigen und guten Herzens. Gott segne
Sie dafür, und erhalte Sie bis an Ihr Ende!

Ich habe viele Jahre dess Glückes und
ungestörter Gesundheit für mich und die [6]
und die Meinigen gehabt, dan kam die Kehrseite.

Am 27t. December [7] 1889 starb mein Carl [Carl Wilhelm Rheinberger] [10]. Er studirte
in Notre Dame [8] in Indiana [9] Rechtswissenschaft.
Er starb in Folge einer Erkältung, in Nebraska [11].
Wie lieb hatte ich ihn und noch! – und welche
Hoffnungen sah ich wie Nebel verschwinden!
Am 12t. Februar [12] 1902 starb die Mamma [Margarethe Rheinberger [-Brasser]] [13] nach 2jähriger
Krankheit; ich führte sie, und trug sie, wohin
sie wollte.  Am 12. September [14] 1903 starb Ferdinand [Josef Ferdinand Rheinberger] [15]
nach 5jähriger Lähmung. – Im Februar [16] dieses
Jahres schien nach langem Unwohlsein der
Johan [Johann Rheinberger] schnell abzugehen, erholte sich etwas, lebt
noch, aber ich glaube an keine Besserung.
Er ist übrigens
ausser Bett
und fährt herum. [17]
Ich danke Gott für das Vergangene, denn viele
waren unglücklicher als ich, und nehme die Zukunft
wie er sie mir schickt. Hat doch unser Herr Jesu [18]
den himlischen Vater gebeten, wen möglich den Kelch
seines Leidens von ihm zu nehmen, doch nur nach seinem
Willen, aber er musste unter Schmach, Spott und
Marter sein Leben enden; was wundern wir
uns, wenn wir vergebens bitten? Es ist besser
ausgeweint, als ausgelacht. – [19]

Ich seche aus Ihrem Schreiben, dass Sie auch einmal
längere Zeit das Haus allein bewohnten, und
muthig die Rolle dess Haushalters und Verwalters
auf sich nahmen, und mache Ihnen hier für mein
Compliment [20]. Mich freuen selbständige und
entschlossene Leute besser, als solche, die immer
Rath und Hilfe suchen.

Die [21] Staubkrankheit, wir nennen es
Mehlthau, und die Trockenfäule, sind bei uns
so alt als die Stöcke, und erscheint nach kalten und
nassen Nächten und verliert sich bei trockener, warmer
Witterung. In frücheren Jahren wurde auch Schwefel
angewendet, mit wenig Erfolg. Vor ungefähr
15 Jahren erschien die Braunfäule, besonders bei
warmer und feuchter Witterung. Zuerst erscheinen,
nachdem die Trauben etwa halb gewachsen, kleine
rostige Fleckchen und 2 bis 3 und auch 40 bis 50 auf einzelnen
Blättern. Ungefähr 8 bis 10 Tage nach dieser
Erscheinung zeigt sich ein gelblich weisses Fleckchen
auf einzelnen Beeren, die schnell wachsen und das
Beer in Fäulniss setzten. Oft bleiben von einem Trauben
von 70 bis 100 Beeren nur etwa 12 oder noch weniger
übrig. Gewöhnlich zeigt sich Ein Fleckchen auf [22]
auf Einer Beer und zerstört es in einer Woche.
Wenn die Krankheit aber bösartig werden will, zeigen
sich gleich 3-4 Fleckchen, und die Zerstörung geht schnell.
Im Jahre 1889 verfaulten etwa am 20t. Juny [23] von
Morgens 8 Uhr, wo die ersten Fleckchen erschienen,
bis Abends mir allein etwa 20‘000 Pfund, der Rest
verfaulte im July [24], und so gieng es in den anderen
Weingärten. Wir Reben-Besitzer standen rathlos
da. Jetzt wurden wir bekannt gemacht mit der
Bordeaux Mixture [25], und im Jahre 1890 besprengten
wir die Stöcke zum ersten mal und seither jedes
Jahr mit ziemlichem, doch nicht gänzlichem Erfolg,
gegen Mehltau [26] und Fäule. Obligatorisch [27] machen
kann man es hier nicht. Meine Kosten für diese
unliebsame Arbeit und Maschinen [28] belaufen sich bis
jetzt über 500 Dollar [29] /: 1 Dlr gleich 4 Mark [30] – etwas mehr :/.

Ich besprengte meine Reben diesen Sommer 4 Mal
den es war ungewöhnlich kühl und nass; die Erndte
sah dennoch gut und reichlich aus, aber am 18t. September [31]
Abends kam das böseste Gewitter dieses Sommers, ein
rasender Sturm, strömenden Regen mit Hagel
vermischt zerstörte die halbe Erndte. Eine andere
Plage sind die Würmer, besonders in nassen Sommern [32]
– und zwingen uns die Trauben vor gehöriger Reife
abzunehmen. Nur der heisse Sommer von 1901
war frei von jeder Plage. Die Hitze tödtete die
Krankheitskeime und die Brut der Inseckten.

Der Ertrag der Weingärten ist sehr verschieden,
die letzten 3 Jahre sogar unter mittelmässig.
Ich presste diesen Herbst nur 3500 Gallonen /: 1 Gallone
gleich 4 Liter :/ in besseren Jahren das Doppelte.
In Jahren, wo die Trauben sehr gut werden, kaufe
ich noch dazu. Der Wein muss gelagert werden,
und es nimt 1 Jahr und mehr eine Erndte wieder los
zu werden. Er geht ab in 40 – 80 – 160 Liter Gebinden.

Durch die Temperenz-Bestrebungen [33] [34] wird der
Verkauf immer schwieriger und Preise schlechter.
Desshalb wird auch der grösste Theil der Trauben
von hier und anderen Gegenden nordwärts gesandt
in Körben von 6-7 Pfund zu 1 ½ Cent [35], etwas mehr oder
weniger, das Pfund. Es gehen von hier jeden Herbst
60 bis 70 Eisenbahn-Wagen voll, meistens nach
St. Paul und anderen Städten Minnesotas ab.

Bearbeitet werden die Reben mit Pflug,
Cultivator [36] und unter den Reien die Hacke.
Zum Ausbrechen, Anbinden und Sammeln [37]  
werden Frauen verwendet, die bekommen 75 Cents [38],
/: ungefähr 3 Mark :/ pr Tag. Die arbeiten so gleichgültig
als möglich, und lassen ihrem Munde den ganzen
Tage keine Ruhe, um ihre Gedanken und Neuheiten
einander mitzutheilen. Männer bekommen 1 ¼ bis
1 ½ Dlr. pr Tag und nehmen es so leicht als möglich.
Tadlen oder sich unzufrieden äussern darf man nicht,
sonst packen sie gleich auf. Sie können aus diesen
Angaben ersechen, dass Ihr dorten gegenwärtig
besser daran seid, als wir.

Aus Ihrem Schreiben erseche ich, dass der Geist
der Zeit auch in Liehtenstein [39] nicht spurlos vorüber
geht: ich seche klügere Menschen und ein Bestreben
nach Neuem und Schönem. Möge es zum
Heile gereichen.

Ihrem Herrn Bruder [Egon Rheinberger] wünsche ich Glück zu
seinem Unternehmen. Wenn das Werk einmal
vollendet, und ich noch lebe, erbitte ich mir eine
Photographie [40] dess Baues.

Vor etwa 25 Jahren hielt ich längere Zeit die
Liehtensteiner [41] Zeitung [42], und das Bündner Tagblatt [43] für
die Frau [Margarethe Rheinberger [-Brasser]]. Vor einigen Wochen kam mir Ersteres [44] wie
ein alter Bekanter wieder zu. [45]
Ich danke Ihnen dafür. Die Zeitung ist ja
ganz nett, aber wenn Sie meine Antwort abgewartet
hätten, hätte ich doch nicht: ja – gesagt. Der
Zeitungs-Besteller ist dem Herausgeber immer angenehm
aber, will man abbestellen, wird er unfreundlich.
Diese Unannehmlichkeit hatte ich Ihnen erspart.
Ich werde aber über Jahresfrist Ihnen mittheilen:
meine Augen seien schwach geworden, das wird
Sie entschuldigen.

Es ist zu spät, Ihrer werthen Tante [Sr. Maxentia Rheinberger] [46], die ich als
Rentmeisters [47] Tochter, Anna [48], wohl kante zu ihrem
Jubiläum [49] Glück zu wünschen. Moge der liebe
Gott [50] ihr ferneres Dasein und ihr Wirken immer mit
seinem Segen begleiten! Wir feierten diese Tage das
50 jährige Jubiläum [51] der Verkündigung des Dogmas [52] der
unbefleckten Empfängniss der Mutter unseres Herrn. [53]

Letzten Sontag besuchte ich mit Johann [Rheinberger] [54] und seiner
Frau und meiner Tochter Anna [Anna Maria Rheinberger] [55] die auf Besuch hier
ist, meine Todten – und nacher die protestantische [56]
Begräbnisstätte. Da fand ich unter all den zierlich
und unzierlich geformten Denksteinen, Einen,
dessen Fuss eine Mutter-Gottes Statue [57] krönte [58].
Nicht aus Verständniss, nur weil es ihm schön
und eigen vorkam, stellte der protest. [59] Mann sie
seiner prot. [60] Frau auf’s Grab. Aber wie sonderbar
nahm es sich aus, unter all den, jedes christliche [61] Zeichens
entbehrenden Steinklötzen, die Vorstellung der hochen, unbeflekten Frau
und Gottes Mutter zu sechen.

Wir leben im Indianer [62] oder alt Weibersommer
schon den ganzen October [63]. Das Wetter ist überaus
schön und angenehm, nur schade, dass es so spät ge-
kommen. Was Sie an der Südseite dess
Hauses sechen, sind Weinreben, davon stehen
alle 7 Fuss Ein Stock an Spalieren [64], die
mit 3 Drähten übereinander, bezogen sind.
Solche Stöcke tragen nach Umständen von
10 bis 25 und mehr Pfund, und auch viel
weniger. Es stehen auf ungefähr 12 Acre [65]
8600 Stöcke.

Der Mann, der am Zaun steht ist der Hans [66]
und bei dem Pferd steht der Herold [67].
Der Photograph [68] wollte mich auf dem
Vorbau haben und meinte: er mache mich
ganz nett; ich aber meinte, das wäre nicht
gut möglich, und ich wollte eine Ansicht
der Wohnung, nicht meiner geben. [69]  

Sie haben einen Sommer, wie wir im
Jahre 1901 hatten. Da waren 122 Tage
mit einer Wärme von 90 bis 110 Grade
Fahrenheit [70] = 25 bis 35 Grade Reaumur [71] oder
30 bis 45 Grad Celsius [72], und 277 trokene Tage.
Die Trauben dieses Sommers hatten von
15 bis 20 Grade [73] mehr Mostgewicht, als gewöhnlich
und so vermuthe ich, dass Sie einen
ausgezeichneten Tropfen erhalten haben.

Ich sende Ihnen 2 Hefte mit
Ansichten aus der Weltausstellung in
St. Louis [74] und bitte Eines der Bertha
Schauer
[75] zu geben, mit einem freundlichen
Gruss für sie und ihre Schwestern.

Jetzt wünsche ich Ihnen Geduld für
mein langes Schreiben, Gesundheit, und
fröhlichen Sinn, und bitte um ein freund-
liches Gedenken meiner.

Empfangen Sie meine herzlichsten
Grüsse für Sie und Ihre lieben
Geschwister.

A. Rheinberger [76]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 17/03. Brief in Kurrentschrift. Vgl. das Schreiben von Emma Rheinberger an Alois Rheinberger vom 12.8.1904 unter LI LA AFRh Ha 18.  
[2] In lateinischer Schrift.
[3] In lateinischer Schrift.
[4] In lateinischer Schrift.
[5] Ursprüngliche Fassung: „paẞen“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[6] Seitenwechsel.
[7] In lateinischer Schrift.
[8] In lateinischer Schrift.
[9] In lateinischer Schrift.
[10] In lateinischer Schrift.
[11] Unterstrichen und in lateinischer Schrift.
[12] In lateinischer Schrift.
[13] In lateinischer Schrift.
[14] In lateinischer Schrift.
[15] In lateinischer Schrift.
[16] In lateinischer Schrift.
[17] Dieser Satz nachträglich eingefügt.
[18] In lateinischer Schrift.
[19] Seitenwechsel.
[20] In lateinischer Schrift.
[21] Durchstreichung.
[22] Seitenwechsel.
[23] In lateinischer Schrift.
[24] In lateinischer Schrift.
[25] In lateinischer Schrift.
[26] In lateinischer Schrift.
[27] In lateinischer Schrift.
[28] In lateinischer Schrift. 
[29] In lateinischer Schrift.
[30] In lateinischer Schrift.
[31] In lateinischer Schrift.
[32] Seitenwechsel.
[33] In lateinischer Schrift.
[34] Angesprochen ist die Abstinenzbewegung in den USA.
[35] In lateinischer Schrift.
[36] In lateinischer Schrift.
[37] Seitenwechsel.
[38] In lateinischer Schrift.
[39] In lateinischer Schrift.
[40] In lateinischer Schrift.
[41] In lateinischer Schrift.
[42] Die Liechtensteiner Landeszeitung erschien vom 12.4.1863 bis zum 7.12.1867, die Liechtensteinische Wochenzeitung vom 24.1.1873 bis zum 28.12.1877.
[43] In lateinischer Schrift.
[44] Diesmal jedoch das Liechtensteiner Volksblatt, das seit dem 16.8.1878 erscheint.
[45] Seitenwechsel.
[46] In lateinischer Schrift.
[47] In lateinischer Schrift.
[48] In lateinischer Schrift.
[49] In lateinischer Schrift.
[50] In lateinischer Schrift.
[51] In lateinischer Schrift.
[52] In lateinischer Schrift.
[53] Papst Pius IX. verkündete am 8.12.1854 in der Bulle „Ineffabilis Deus“ das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariens.
[54] In lateinischer Schrift.
[55] In lateinischer Schrift.
[56] In lateinischer Schrift.
[57] In lateinischer Schrift.
[58] Seitenwechsel.
[59] In lateinischer Schrift.
[60] In lateinischer Schrift.
[61] In lateinischer Schrift.
[62] In lateinischer Schrift.
[63] In lateinischer Schrift.
[64] In lateinischer Schrift.
[65] 1 acre: 0,4047 Hektar.
[66] In lateinischer Schrift.
[67] In lateinischer Schrift.
[68] In lateinischer Schrift.
[69] Seitenwechsel.
[70] In lateinischer Schrift.
[71] In lateinischer Schrift.
[72] In lateinischer Schrift.
[73] In lateinischer Schrift.
[74] In lateinischer Schrift.
[75] In lateinischer Schrift.
[76] In lateinischer Schrift.