Schreiben der Steuerverwaltung an die Regierung, gez. Ludwig Hasler [1]
6.10.1928
Wir beziehen uns auf eine Unterredung mit Herrn Bankdirektor [Franz] Schredt und Herrn Direktor [Richard] Feix aus Zürich und beehren uns, Ihnen folgendes mitzuteilen:
Mit der Übernahme der Verwaltung der Zölle durch die schw. Zollverwaltung hat unser Land gegenüber der Schweiz Verpflichtungen auf steuerlichem Gebiete eingehen müssen [2], die immer mehr und mehr Schwierigkeiten für unsere Verwaltung zeitigen. Der Verkehr mit der eidg. Steuerverwaltung hat sich zwar bisher reibungslos gestaltet, die Schwierigkeiten entstehen aber seitens der bei uns domizilierten Gesellschaftsformen. Die Anzahl dieser Gesellschaften hat sich in den letzten Jahren und insbesondere in der letzten Zeit derart gemehrt, dass wir im Interessse der Staatsfinanzen gezwungen sind, diesen Einnahmequellen immer mehr und mehr unser Augenmerk zuzuwenden. Die jährlichen Einnahmen von den erwähnten Gesellschaftsformen werden in diesem und in den folgenden Jahren gegen und wahrscheinlich über 200'000 Fr. betragen und die ausserordentlichen Einnahmen steigen ebenfalls im Verhältnis zur Gründungstätigkeit und auch im Verhältnis der immer mehr zunehmenden Kapitalserhöhung. Liechtenstein hat in der internationalen Finanzwelt in einem solchen Umfange Boden gefasst, dass es bereits einen grossen Namen hat und infolge der modernen Gesetze und infolge der Einfachheit des Gründungsvorganges als Domizil für fremde Gesellschaften immer mehr und mehr gewählt wird. Die Schweiz selbst bezw. einzelne Kantone haben auch einen grossen Anteil an Gründungen von fremden Holdinggesellschaften und es ist zu verstehen, wenn da ein gewisser Konkurrenzkampf unter den Kantonen selbst und zwischen der Schweiz und Liechtenstein entsteht. Liechtenstein hat bisher diesen Konkurrenzkampf erfolgreich bestanden, da hier immer noch gewisse Vorteile für das fremde Kapital bestehen, wir nennen hier das Fehlen der Kriegssteuer, dann die Bestimmung im schw. PGR, dass der Verwaltungsrat mehrheitlich aus Schweizer Bürgern bestehen muss (was nach unserem Gesetze nicht verlangt wird), dann die Möglichkeit der Pauschalierung der Gesellschaftssteuern auf 20 Jahre. Hingegen sind wir gegenüber dem Platze Zürich inbezug auf grosse Finanzierungs- und Beteiligungsgesellschaften im Nachteil, weil der für solche Gesellschaften notwendige Verkehr mit Grossbanken zu umständlich ist.
Immerhin hat Liechtenstein den errungenen Rang bisher halten könnnen. Heute treten Schwierigkeiten auf und zwar in grosser Anzahl. Die schw. Verwaltung ist selbstverständlich über alle in Liechtenstein getätigten Gründungen auf dem laufenden, weil sie mit uns die Kontrolle ausübt und über jede Neugründung verständigt wird. Die Neuerungen im Stempelgesetz haben wieder weitere Verschärfungen gebracht, so insbesondere auf dem Gebiete der Effektenumsatzsteuer. Die Führung des Umsatzregisters bringt Schwierigkeiten, die Gesellschaft muss gewärtig sein, wenn heute oder morgen eine Kontrolle der Bücher durch eidg. Organe einsetzt, man verlangt die Führung der Bücher am Orte des Domizils. Alle Formulare, die von den Gesellschaften ausgefüllt werden müssen, deuten darauf hin, dass die Angaben an die schw. Steuerverwaltung gemacht werden müssen, sodass manche Steuerpflichtige an uns schon öfters mit der Frage herangetreten sind, ob diese Angaben der Schweiz zu Gute kommen. Da ausserdem manche von den hier domizilierten Gesellschaften in der Schweiz auch eine Holding besitzen, erwachsen den Leuten, die dahinter stehen, auch in dieser Beziehung Schwierigkeiten, da von den eidg. Behörden solche Gründungen den kantonalen Steuerbehörden gemeldet werden, sodass nach Angaben der Parteien Schikanen wegen angeblicher Steuerhinterziehung in der Schweiz dadurch hervorgerufen werden.
Wegen Abänderung dieses Zustandes haben wir schon verschiedentlich mit der Regierung unterhandelt und es hat dann unser Gesandter Herr Dr. [Emil] Beck für Liechtenstein ein neues eigenes Stempelgesetz ausgearbeitet, nachdem bereits im Jahre 1926 von Herrn [Paul] Amstutz die Zusicherung gemacht [wurde], dass er gegen die Verselbständigung nichts einzuwenden habe. Bei einer neuerlichen Konferenz mit Herrn Amstutz im Beisein des jur. Beraters der eidg. Steuerverwaltung, Herrn Dr. [Ernst] Wyss, im Oktober 1926 hat sich letzterer gegen die Verselbständigung ausgesprochen, da insbesondere da insbesondere durch die Schaffung des neuen PGR eine solche Anzahl von Gesellschaftsformen in Liechtenstein möglich sei, sodass die liechtenst. Steuerverwaltung für die loyale Durchführung des Gesetzes keine Gewähr biete: Trotzdem wurde vereinbart, einen Entwurf zu machen, der von unserem Gesandten schon lange ausgearbeitet ist und in Druck vorliegt und schon einmal in der Finanzkommission beraten wurde. Infolge der Neuerungen im schweiz. Stempelgesetz wurde die Erledigung noch hinausgeschoben, da man diese Neuerungen auch mitverarbeiten sollte. Inzwischen wurde durch unsere Gesandtschaft als Zwischenlösung der Verwaltungsbeitrag, der in der Höhe von 10 % der Einnahmen an die Schweiz abzuführen war, reduziert auf eine fixe Summe von 10'000 Fr.
Wenn schon man seinerzeit auch hauptsächlich wegen der Höhe des Verwaltungsbeitrages eine Änderung herbeiführen wollte (er hat in den letzten Jahren das Mehrfache erreicht), so wurde doch den eidg. Behörden gegenüber der souveräne Standpunkt des Landes hervorgehoben. Man betonte, es beeinträchtige die Souveränität des Landes, wenn wir auf dem Steuergebiete abhängig seien.
Heute nun tritt aber wieder die Geldfrage in den Vordergrund. Nach Ansicht von kompetenten Leuten wird die Gründungstätigkeit in Liechtenstein und mithin auch die daraus resultierenden Einnahmen zurückgehen, da man, wenn man sich der Kontrolle der eidg. Steuerbehörden unterziehen müsse, gerade so vorteilhaft in der Schweiz die Gründung vornehmen könne. Eine Kontrolle durch die liechtenst. Steuerverwaltung wollen sich die Leute gefallen lassen schon aus Prinzip, da der Staat, dem die Steuer gehört, auch das Recht und die Pflicht hat, diese Kontrolle auszuüben und da man allenfalls bei Differenzen bei der liechtenst. Steuerverwaltung etwas mehr entgegenkommendes Verständnis finden dürfte.
Es steht natürlich fest, dass die Anwendung des eidg. Stempelgesetzes oder eines ihm angepassten liechtenst. Gesetzes eine condition sine qua non für das Weiterbestehen des Zollvertrages bildet. Trotzdem kann und wird sich die Schweiz der Einsicht nicht verschliessen, dem berechtigten Begehren Liechtensteins um Erlangung der Steuersouveränität nicht verschliessen können. Nach Ansicht unseres Gesandten Herrn Dr. Beck in Bern liegt die Schwierigkeit in der Ausübung der Kontrolle seitens der Schweiz, dass das neue Gesetz von uns auch richtig durchgeführt wird. Wir sind uns darüber klar, dass die Arbeit keine leichte ist, wenn man bedenkt, dass der schwz. Steuerverwaltung ein Stab von Fachleuten auf allen stempelsteuerrechtlichen Gebieten zur Seite steht, glauben aber doch behaupten zu können, dass wir mit Benützung dieser Fachleute eine Gewähr für die richtige Handhabung des Gesetzes bieten können, wenn eine unbedingt notwendige Hilfskraft zur Verfügung steht.
Soferne Sie von unseren Ausführungen nicht vollkommen überzeugt sind, schlagen wir Ihnen die Anhörung der auf dem Gebiete der Gesellschaftsgründungen versierten Herren Direktor Schredt, Dr. Beck und vielleicht der Herren Direktoren Hanreit und Feix in Zürich und von Herrn G. [Gustav] Wirth, Rechtssyndikus in Zürich, vor.
Wir schlagen weiters im Einvernehmen mit unserer Gesandtschaft in Bern eine mündliche Besprechung mit den Herren von der eidg. Steuerverwaltung vor und zeichnen achtungsvoll [3]
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[1] LI LA RE 1928/0036. Aktenzeichen: Nr. Sep. Fasz. Stempelgesetz. Auf der Rückseite des letzten Blattes ein handschriftlicher Entwurf eines Schreibens vom 6.11.1928 von Regierungchef Josef Hoop an die Gesandtschaft in Bern, mit dem diese ersucht wird, alles einzusetzen, um eine Verselbständigung der liechtensteinischen Steuerverwaltung zu erreichen.
[2] Siehe Art. 31 des Einführungs-Gesetzes vom 13.5.1924 zum Zollvertrag mit der Schweiz vom 29.3.1923, LGBl. 1924 Nr. 11.