Die Regierung spricht sich gegenüber dem Gewerbeverband für die Eröffnung einer Konfektionsfabrik in Eschen aus (Rheintalische Kleiderfabrik AG)


Schreiben der Regierung an den Gewerbeverband in Schaan, gez. Regierungschef Josef Hoop [1]

17.9.1935

In der Angelegenheit der Gründung einer Konfektionsindustrie (Herstellung von Arbeitskleidern und anderen Kleidungsstücken) haben Sie unter dem 17. d.M. beantragt, die Konzession zu verweigern. [2]

Wir teilen Ihnen mit, dass wir es nicht verantworten können, eine Arbeitsgelegenheit für 20 Personen einfach von der Hand zu weisen. Ich habe Ihrem Vorstandsmitgliede Emil Ospelt mehrfach schon auseinandergesetzt, dass die Beseitigung der liechtensteinischen Arbeitslosigkeit unmöglich ist, wenn sich keine, wenn auch bescheidene liechtensteinische Industrie entwickelt, zu deren Kunden auch das liechtensteinische Gewerbe gehören muss. Liechtenstein besitzt verhältnismässig nicht einmal halb soviel industrielle Betriebe wie die Schweiz. Das sagt mit anderen Worten, dass die industriellen Möglichkeiten unseres Landes noch lange nicht ausgenützt sind und die Möglichkeit besteht, zahlreiche Arbeitskräfte auf diesem Gebiete noch unterzubringen. Es darf auch nicht ein Vergleich gezogen werden zwischen einem Fabriksunternehmen, das zwei Spezialisten zur Anlernung ins Land bringen will, und einem Gewerbetreibenden, der ebenfalls halbsoviel Facharbeiter in seinem Betriebe aufnehmen will. Ausserdem haben sich seit damals die Verhältnisse wesentlich geändert. Wir haben seinerzeit beim Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit in Aussicht genommen, sämtliche überschüssige liechtensteinische Arbeitskräfte auf dem schweizerischen Arbeitsmarkte zu beschäftigen, demgegenüber Liechtenstein auf eine Industrialisierung verzichtet. Die Erwartungen bezgl. der Ausreise unserer Arbeiter konnten nicht erfüllt werden und so müssen wir uns andererseits auch auf dem Gebiete der Selbstversorgung mit industriellen Produkten selbständiger machen. Es wäre nicht zu verantworten, an Formalitäten einen wirtschaftlichen Aufschwung zu hängen.

Was nun die Juden anbetrifft, ist deren Stellung durch das neue Reichsbürgergesetz [3] klar. Sie bleiben deutsche Staatsangehörige. Eine Ausbürgerungsgefahr ist nicht zu befürchten und zudem erhalten Zuziehende nur eine beschränkte Aufenthaltsbewilligung, die im Falle von Unzukömmlichkeiten jederzeit wieder entzogen werden kann.

Wir nehmen an, dass unter diesen Umständen die in Frage stehende Arbeitsbeschaffung auch von Ihnen gefördert wird und zeichnen

hochachtungsvoll [4] 

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[1] LI LA RF 155/172/004. Kürzel: DrH/G. Der Verband für Handel und Gewerbe fungierte als übergreifender Berufsverband. Aus ihm ging Anfang 1936 die Gewerbegenossenschaft als Zwangsinnung für die Betriebsinhaber in Industrie, Handel und Gewerbe hervor.  
[2] Der Gewerbeverband sprach sich gegen die Eröffnung des Betriebes aus, weil die Gesuchsteller keine Befähigungsnachweis erbringen könnten und der Zuzug von Juden nicht von Vorteil sei (LI LA RF 155/172/002).  
[3] Dt. Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935, RGBl. I S. 1146.   
[4] Am 23.9.1935 wurde von Hoop Folgendes handschriftlich ergänzt: "Leumundszeugnis X Strafregisterauszug eingefordert."