Schreiben des Liechtensteinischen Schneidermeister-Verbandes an die Regierung, ungez. [1]
30.9.1935, Vaduz
Das Gesuch der Herren Dr. [K.] Vontobel, St. Gallen, & [Oswald] Bühler, Mauren, durch die Gemeinde Eschen betreffs der Eröffnung einer Konfektionsfabrik in Eschen [2] wird vom liechtensteinischen Schneidermeister-Verband der fürstl. Regierung zur grundsätzl. Abweisung [3] empfohlen, mit nachstehender Begründung:
- Da die Herren Dr. Vontobel und Bühler den nötigen Befähigungsnachweis nicht erbringen können, anderseits aber mangels eines Befähigungsnachweis einem Liechtensteiner die Erzeugung von Lederbekleidungsstücken nicht bewilligt wurde, ist auch hier analog vorzugehen.
- Weiters ist gegen die Zuwanderung von Juden Bedenken geäussert worden, weil eine Überflutung von Juden für unser Land die schädlichsten Folgen nach sich ziehen müsste.
- Die in Aussicht gestellte Arbeitsbeschaffung wird nicht jenen Nutzen bringen, den man sich erhofft, weil von diesen zugewanderten Arbeitgebern meistens nur Hungerlöhne gezahlt werden und sich dann von der fürstl. Regierung keine Vorschriften mehr machen lassen.
- Für das liechtensteinische Schneidermeistergewerbe würde die in Aussicht genommene Kleiderfabrik eine grosse Schädigung bedeuten und es ist die Überzeugung vorherrschend, dass der Schaden grösser wäre, als die Arbeitsbeschaffung Nutzen brächte.
- Der Schneidermeisterverband ist der Auffassung, dass die Lieferung der Waren nach der Schweiz, wenn nicht ganz, so doch zum grössten Teile eingestellt wird, weil die Schweiz solche Betriebe zur Genüge aufzuweisen hat und nachher die Waren dann in Liechtenstein zu konkurrenzlosen Preisen abgesetzt werden müssten.
- Aus den vorangeführten Gründen muss der Schneidermeister-Verband gegen eine so grosse Schädigung gegenüber 30-40 Schneidern und Schneiderinnen protestieren.
Hochachtend
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[1] LI LA RF 155/172/008. Auf der Rückseite des Dokuments finden sich Notizen für das Antwortschreiben an den Schneidermeisterverband (LI LA RF 155/172/009), wie etwa "Berufsmäntel", "Abendblusen" oder "Spezialhose". Gegen die Eröffnung einer Konfektionsfabrik sprach sich mit Schreiben vom 17.9.1935 auch der Gewerbeverband aus, vgl. LI LA RF 155/172/002 sowie das Antwortschreiben der Regierung vom selben Datum (LI LA RF 155/172/004).
[2] Schreiben der Gemeindevorstehung Eschen an die Regierung vom 5.8.1935, in welchem diese um die Bewilligung für die Niederlassung zweier deutscher Facharbeiter jüdischer Herkunft ersuchte (LI LA RF 155/172/002).
[3] Das Konzessionsgesuch der Rheintalischen Kleiderfabrik AG um die fabriksmässige Herstellung von Kleidungsstücken vom 31.12.1935 wurde von der Regierung am 14.1.1936 mit der Einschränkung genehmigt, dass ein Kleinverkauf der Fabrikate nicht stattfinden dürfe. Die Ware dürfe nur an Wiederverkäufer abgegeben werden (LI LA RF 155/172/015).