Der Wirtschaftsanwalt Gustav Wirth warnt vor dem Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens mit Deutschland


Schreiben von Gustav Wirth an Guido Feger, Vaduz [1]

9.6.1934, Zürich

Sehr geehrter Herr Feger!

Ich danke Ihnen bestens für die Überlassung einer Abschrift des Schreibens der Regierung des Fürstentums Liechtenstein vom 7. ds. in Sachen Doppelbesteuerung. [2]

Wie Sie wissen, vertrete ich eine grössere Zahl von Klienten, die teils allein, teils gemeinsam mit andern Finanzleuten Domizilgesellschaften im Fürstentum Liechtenstein unterhalten. Die meisten dieser Gesellschaften haben wirtschaftliche Interessen auch in Deutschland. Durch das zwischen der Schweiz und Deutschland abgeschlossene Doppelbesteuerungsabkommen, [3] welches bekanntlich keine Rechtshilfe und keinen Rechtschutz in Steuersachen vorsieht, wurde zu Gunsten analoger in der Schweiz domizilierter Gesellschaften die Doppelbesteuerung abgeschafft, sodass also beispielweise Hypotheken, welche die Schweizer Firmen in Deutschland haben, nur noch in Deutschland zu versteuern sind u.s.w.

Nun ist allerdings von vorneherein klar, dass für die in Vaduz domizilierten Gesellschaften die Doppelbesteuerung nicht von so grosser Bedeutung ist wie für schweizerische Gesellschaften, weil eben die Belastung durch die Liechtensteinische Steuer eine minime ist. Ich wäre deshalb der Meinung, dass ein Doppelbesteuerungsabkommen unter keinen Umständen von der Liechtensteinischen Regierung um den Preis einer Rechtshilfe in Steuersachen und des Rechtsschutzes verkauft werden sollte.

Ich wäre Ihnen zu Dank verpflichtet, wenn Sie dieses Schreiben an die Hohe Regierung weiterleiten wollten. [4]

Mit verbindlichstem Gruss Ihr ergebenster

 

 

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[1] LI LA RF 129/091/028.
[2] LI LA RF 129/091/021.
[3] Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftssteuern vom 15.7.1931, ratifiziert am 29.1.1934 (AS, 1934, Bd. 50, S. 106-132).
[4] Feger leitete das Schreiben am 11.6.1934 an die Regierung weiter (LI LA RF 129/091/027).