Leitartikel von Pfarrer Johannes Tschuor im kirchlichen Amtsblatt "In Christo" [1]
21.4.1945
Nachkriegshilfe!
I.
Der Bombenfünfer!
Der Bombenfünfer (wer es nicht mehr weiss, dem sei er in Erinnerung gerufen: 5 Rappen für jede Nacht in Liechtenstein, da keine Bombe über uns fällt!) [2] wird zur gegebenen Zeit von Mitgliedern sozialer und caritativer Organisationen eingesammelt werden. Das Geld wird der Ortsvorstehung der Gemeinde abgegeben, die es ihrerseits an die Sparkasse zu Handen der fürstlichen Regierung übermittelt. Über die Verwendung des Geldes für Kriegsbeschädigte entscheidet die fürstliche Regierung im Einvernehmen mit der Redaktion des Pfarrblattes.
II.
Eine Nachkriegshilfe haben wir bereits begonnen. Der Bombenfünfer. Das ist unsere Nachkriegshilfe I. Die schweizerischen Bischöfe haben ihn auch sehr empfohlen. Nun eine zweite, praktische.
Überall gibt es noch etwa Wollresten, die unbenützt in einer Truhe oder einem Kasten herumliegen. Auf der Welt, besonders in Europa, leben nun viele, viele Heimlose. Diese werden im nächsten Winter frieren. Ihnen kommen wir mit diesen Wollresten zu Hilfe. Aus diesen Wollresten schaffen wir Wolldecken.
So: Wir stricken aus solchen Resten kleine Wollplätzchen von genau 15 cm Länge und Höhe, also Quadrate 15x15 cm, einmal links und einmal rechts versetzt. Nicht grösser. Wenn sie grösser sind, ist es schwieriger, sie gut aneinander zu schliessen. Also genau 15x15 cm. Es ist ganz gleich, welche Farbe von Wolle dazu verwendet wird und ob zwei oder mehr Farben für ein Plätzchen gebraucht werden. Wichtig ist, dass gut dicht gestrickt wird. 80 Stück (10mal 8) geben eine gute Wolldecke.
Es kann nun aber der Fall sein, dass in einer Familie wohl Wollresten vorhanden sind, aber niemand, (wirklich niemand?) die Zeit findet, diese Resten zu den schönen Plätzchen zu verarbeiten. Was tun? Bringt sie den Geschäften des Landes, in denen ein Plakat steht mit der Aufschrift: "Hier werden entgegengenommen Wolle, Wollplätzchen, Wolldecken der liecht. Nachkriegshilfe". Diese Geschäfte schicken die Wolle dem Landesverband der Frauen und Töchter, der dann dafür sorgt, dass die Wollreste verarbeitet werden.
Ein anderer Fall kann eintreten: Eine Familie besitzt nicht so viel Wollresten, um eine ganze Decke herstellen zu können, oder kann oder will die Resten nicht selbst zur ganzen Decke zusammenfügen. Auch für diesen Fall ist vorgesorgt. In den gleichen Geschäften werden auch einzelne Wollplätzchen entgegengenommen und dann sorgt der Landesverband wieder für die Fertigstellung der Decken.
Auch die fertigen Decken werden in jenen Geschäften, in denen das Plakat ausgehängt ist, abgegeben. Der Landesverband wird dann zur gegebenen Zeit für die Verteilung in den Kriegsländern besorgt sein.
Ein dritter Fall – der nicht eintreten darf: Eine Familie hilft nicht mit! Auch die ärmste Familie kann wenigstens etwas tun, um ihren Dank auf diese christliche Weise auszusprechen. Wir haben es alle, aber auch gar alle unendlich viel schöner als jene, die den Krieg miterleben und durchleben mussten. Der dritte Fall, dass jemand nicht mithilft, kommt also gar nicht in Frage.
Und nun? Jetzt stricken wir Wollplätzchen! Grossmütter, Frauen, Mädchen: jetzt stricken wir für die liechtensteinische Nachkriegshilfe Wolldecken!
III.
Die Not in den zerstörten Kriegsgebieten ist unsäglich gross. Uns aber geht es so gut. Da müssten wir uns vor der Welt verkriechen, wenn wir nichts täten, um die Not zu lindern. Das "glückliche Liechtenstein" muss ein grossherziges Liechtenstein sein.
Hier eine weitere Möglichkeit zu helfen: Für Heimlose werden die notwendigsten Ausrüstungsgegenstände zusammengestellt, um sie nach dem Krieg dort, wo es erforderlich ist – und es ist an so vielen, vielen Orten notwendig – zu verteilen. In jede Gemeinde kommen Muster der vom schweiz. Caritasverband hergestellten Standardkisten. Je eine Kiste für Küchen-, für Wohnzimmer– und für Schlafzimmerinventar. Ferner eine Bébé-Inventar-Standardkiste.
Und nun treiben wir halt auf, was notwendig ist. Eine Familie allein wird so eine Kiste kaum zu füllen imstande sein. Da tun sich Nachbarn oder Verwandte oder ein ganzer Dorfteil, eine Strasse, ein Weiler zusammen und füllen die Kiste. Selbst wenn es wirklich einen Verzicht bedeutet, diesen oder jenen Gegenstand hinzugeben, geben wir ihn! Wir sind so glücklich durch den Krieg gekommen, dass der Dank dafür auch gross, sehr gross sein muss. Nur unedle Menschen sind undankbar!
Wenn die Kisten verteilt sind, kommen weitere Anweisungen!
IV.
In der liechtensteinischen Presse ist zweimal ein Aufruf zugunsten der kriegsgeschädigten Kinder erschienen. [3] Bis jetzt hat fast nur Schaan reagiert (bis jetzt 13 Patenkinder). Vaduz wird bestimmt nicht nachstehen wollen! Auch die andern Gemeinden sind dankbar und wollen solch armen, durch den Krieg geschädigten Kindern helfen. Ich zweifle an keiner Gemeinde. Aber meldet euch jetzt für solche Patenschaften! (entweder bei Herrn Guido Feger, Vaduz, oder beim Pfarramt Schaan).
V.
Eine besondere Form von Nachkriegshilfe, die aber gleich ins Werk gesetzt werden kann, bedeutet auch die Übernahme von Patenschaften für kranke und invalide Studenten aus den Kriegsgebieten, die in der Schweiz Erholung und Genesung finden. Sie werden in Sanatorien und Heimen untergebracht. Eine Patenschaft für einen solchen Studenten kostet 10 Fr. im Monat. Damit wird ein Tag des Monats bezahlt. Welcher Akademiker tut da nicht mit? Man gebe an, für welche Zeitdauer man diesen monatlichen Betrag zahlen möchte. Anmeldungen an das Pfarramt Schaan.
VI.
Die wichtigste! Es gilt nicht nur das materielle Leid zu lindern. Es gilt nun innig zu beten um einen solchen Frieden, dass die Welt wirklich aufatmen kann, und das ist nur dann möglich, wenn der Friede gerecht ist und wenn auch die Liebe dabei zu Worte kommt. Denn der Friede baut sich auf auf Gerechtigkeit und Liebe. Sonst wird keine Ruhe der Ordnung sein. Und der Kriegsschluss nur die Vorbereitung zum neuen und noch vielmal schrecklicheren Krieg. Darum ist die wichtigste Nachkriegshilfe das inständige Gebet um einen richtigen Frieden und zwar das Gebet, das wir durch Christus zum Vater empor senden. Das aber geschieht in der hl. Messe. Darum aus jeder Familie täglich wenigstens ein Mitglied in die hl. Messe, um ausdrücklich für den Frieden zu opfern! Das ist unserer allerwichtigster Beitrag für die wahrhaft neue Ordnung.