Leitartikel im "Liechtensteiner Volksblatt", nicht gez. [1]
23.7.1942
Nicht erwünscht
Wenn ein Baumeister sich anschickt, ein Haus zu bauen, so entwirft er einen Plan. Hat in demselben seine Idee endgültige Gestalt angenommen, so wird er nach diesem Plane fahren, bis der Bau fertig ist und höchstens jene Abänderungen treffen, die ihm für sein Werk als Ganzes zweckmässig erscheinen. So verhält es sich auch beim Aufbau eines Staates. Die Inneneinrichtungen werden nach ihrer Zweckmässigkeit getroffen. Diese Zweckmässigkeit richtet sich nach dem Wohlfahrtsgedanken für das Volk, denn seinetwegen ist der Staat da, das Volk ist das Primäre und ist demnach auch Gestalter und Baumeister des Staatsgebäudes. Überall dort, wo die Rechte des Individuums im Staatsleben als solche geachtet werden und die Summe der Meinungen in der Lenkung des Staatslebens mitsprechen kann, herrscht eben Demokratie.
Nach diesen Gedankengängen haben Fürst und Volk von Liechtenstein in Jahrhunderten und besonders in den verflossenen Jahrzehnten das kleine liechtensteinische Staatsgebäude aufgerichtet und in der Verfassung des Jahres 1921 in der konstitutionellen Monarchie auf parlamentarischer Grundlage ein ganz beachtenswertes Fundament für den Staatsaufbau geschaffen. Und nicht nur wir haben die Meinung, dass diese Grundlage und der nach ihr erfolgte Aufbau im Staate dem Wesen und Willen des liechtensteinischen Volkes am meisten entspricht und dass dadurch die Wohlfahrt des Volkes am meisten gefördert werden kann, Leute vom Fach aus dem Auslande preisen unser verfassungs- und staatsrechtliches Leben als ein Ideal. Und das abgesehen von den Wirkungen, die unser Ländchen in seiner staatsrechtlichen Stellung nach aussen erfahren darf, die politische Gestaltung des Lebens an sich wie es aus dieser Verfassung fliessen kann, wird als Ideallösung bezeichnet. Es wird uns dieser Vorzug im Auslande auch nicht missgönnt, weil man sieht, wie sich ein Völklein mit seinem über alles verehrten Fürsten müht, all den Beschwernissen, die ihm die Natur in engen Grenzen auferlegt hat, mit Selbstvertrauen und Energie zu begegnen.
Solche oder ähnliche Formulierungen aus dem liechtensteinischen Staatsgedanken haben unsere Leser dieses Blattes schon öfter treffen können. Sie würden sicher nicht immer wiederkehren, wenn die Zeiten nicht so ernst wären und wenn nicht die Leute um die Zeitung ihrer Verantwortung in dieser Zeit sich besonders bewusst wären. In der Tat: wir müssen unser Erbe aus den Zeiten der Väter immer wieder neu erwerben, immer bewachen und neu gestalten nach dem Dichterwort: Was ererbt du von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Erwerben können wir es nur, wenn wir die richtige Einstellung zu unsern Vätern, deren Gesinnung und deren Erbe haben, wenn wir gewillt sind, es um keinen Preis aufzugeben. Es gab eine Zeit, in der man Verräter an Land und Volk mit tiefer Verachtung strafte, noch reichen die Sagen herauf bis in unsere Zeit. Das Urteil, das sie heute in vielen Staaten trifft, ist uns bekannt. Das liechtensteinische Volk hat in dieser Hinsicht ein empfindsames inneres Leben und weist alles von sich, was den Bestand des Staates oder seine von ihm und seinem geliebten Fürsten geschaffenen Einrichtungen gefährden könnte.
Wir kennen diese Einstellung aus dem Widerstand, den es einer gewissen Propaganda im Lande entgegensetzt. Wir kennen diese Einstellung aus verschiedenen Begegnungen der letzten Jahre, sie schrieben die Ablehnung in massiver Schrift über die Eingangspforte zum Herzen des Volkes. Die Ablehnung der Grundsätze, die in einer gewissen Presse [2] wöchentlich zweimal ergehen, braucht nicht erwähnt zu werden, wenn sie auch von einem kleinen Teil des Volkes gehalten und gelesen wird. Andere vermögen die Frage nicht zu erkennen, unter der diese Presse segelt, denn der Vorwurf einer unfreundlichen Haltung eines Teiles der Liechtensteiner Volkes gegenüber dem deutschen Volke wird in Liechtenstein ebenso ablehnend quittiert wie die Verstösse, die gegen die heiligsten Güter des Volkes von jener Presse schon unternommen worden sind. Wie heute jeder im Auslande, der unsere Verhältnisse kennt, auf den glücklichen Liechtensteiner mit den Fingern zeigt, so wird Liechtensteins Volk noch einmal auf jene zeigen, die mit seinem Werke, mit seiner Freiheit und ähnlichen heilig gehaltenen Gütern spielten.
Das liechtensteinische Volk hat aus dem aus verschiedenen Vorkommnissen herausgewachsenen Widerstandswillen gegen alles, was die Neutralität und die Souveränität des Landes verletzten könnte, kein Hehl gemacht. Die Meldung aus dem "Regime Faschista" [3] hat ein neues Moment für die Gefährdung liechtensteinischer Interessen aufgezeigt. Die liechtensteinische Öffentlichkeit ist fähig, Parallelen zu ziehen. Man hat aus den faschistischen Staaten schon manches Hieblein gegen die demokratische Schweiz lesen können. Nie aber haben wir lesen können, dass ihr wegen der dort wohnenden Juden ein Vorwurf gemacht worden wäre, weil sie die Waggonnummern und die Kohlen und anderes Handelsgut, das über den Gotthard geht, notieren könnten. Unser Land hatte wieder einmal das zweifelhafte Glück, so etwas zu erfahren, weil eine Opposition ohne Verantwortungsbewusstsein gegenüber dem Staate in einer schweren Zeit immer in die gleiche Herbe haut. Diese Opposition und das von ihr geführte Blatt muss wissen, dass diese Opportunitätspolitik in extenso weder der Regierung, noch dem Volke und dem Staate angenehm und dienlich sein kann. Und doch wird immer wieder der gleiche Strang gezogen u. werden schliesslich Dinge grossgezogen, die nach Menschenverstand jeder tieferen Begründung entbehren müssen, bis sie in die Presse des Auslandes Eingang finden. Solche Machenschaften aber sind uns nicht erwünscht und wir wünschen sie, so oder so, abgestellt weil wir darin eine Gefahr sehen für Volk und Staat. [4]
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[1] L.Vo., Nr. 84, 23.07.1942, S. 1.
[2] Es handelt sich um eine Anspielung auf den "Umbruch", dem zwischen Oktober 1940 bis Juli 1943 erscheinenden Organ der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein (VDBL).
[3] Es handelt sich um eine 1922 von Roberto Farinacci gegründete Zeitung, die 1929 von "Cremona Nuova" in "Il Regime Fascista" umbenannt wurde. - Siehe die Ausgabe des "Umbruchs" vom 11. Juli 1942 ("Schwerwiegende Enthüllungen des Regime Fascista, Cremona. Liechtensteiner Juden im Spionagedienst").
[4] Vgl. die Ausgabe des "Umbruchs" vom 25. Juli 1942 ("Nun kommen sie"). Vgl. ferner das "Liechtensteiner Volksblatt" vom 4. August 1942 ("Feststellungen").