Bericht des Sicherheitskorps an die Regierung, gez. Wachtmeister Josef Brunhart [1]
1.7.1945
Walser Karl. Rückreise aus Deutschland. Bericht
Am 30. Juni 1945 um 17.30 Uhr ist über den schweizerischen Grenzposten Schaanwald legal eingereist: [2]
Walser Karl, geboren am 17. November 1904 in Schaan, dahin zuständig, Versicherungs-Angestellter, früher Wirt im Gasthaus Post, Schaan, geschieden, hat Volksschulbildung (Handelsakademie), ist ein Sohn des Fritz und der Julia, geb. Wachter, vermögenslos und wohnt jetzt in Schaan im Gasthaus zur Post.
Der Obgenannte ist im Jahre 1938 von Liechtenstein nach Deutschland ausgereist und hat bei der deutschen Wehrmacht in Russland und Frankreich am Kriege teilgenommen.
Walser wurde am 1. Juli 1945 zur Polizei Vaduz zwecks Einvernahme vorgeladen und nachmittags des 1. Juli durch Schtzm. [Hermann] Meier einvernommen. - Die sanität. Behandlung des Eingereisten erfolgte nach Verständigung seitens der schweizerischen Grenzwache von Dr. med. [Siegbert] Nipp in Eschen gleich an der Grenze bei der Einreise.
Karl Walser gibt an: "Im Juni 1938 reiste ich nach Stuttgart aus. Ich nahm dort eine Stelle als Versicherungs-Inspektor bei der Karlsruher Lebensversicherung an. Nach ungefähr einjähriger Tätigkeit bei dieser Versicherung vertrat ich die deutsche Beamtenversicherung bis Mai 1940. Von Mai 1940 bis September 1940 war ich dann bei der Allgemeinen Rentenanstalt als Büroangestellter. Bei dieser Versicherungstätigkeit verdiente ich gut und wohnte die ganze Zeit in Stuttgart. Ich war Nationalsozialist, aber nie bei der NSDAP.
Bekanntlich war ich schon einmal verheiratet und man kann als Liechtensteiner ein zweitesmal nicht mehr heiraten. Um trotzdem eine Heirat mir zu ermöglichen, habe ich mich um die deutsche Staatsbürgerschaft beworben und gleichzeitig zur Wehrmacht gemeldet.
Am 12. September 1940 bin ich dann zur Wehrmacht eingezogen worden und zwar wurde ich der Luftwaffe zugeteilt. In Utrecht b/Holland hatte ich ca. 13 Wochen Ausbildung und dann kam ich zur Munitions-Transport-Kolonne.
Im Mai 1941 kamen wir an die russisch-polnische Grenze und waren am Tage des Kriegsbeginns mit Russland an Ort und Stelle. So kam ich in diesem Feldzug bis Stalini und 40 km vor Moskau. Ich war wie gesagt beim Nachschub, nicht an der Front; Ende November 1941 erkrankte ich an Ruhr und kam ins Lazarett, zuerst in Smolensk und dann in Stuttgart, wo ich bis 8. Oktober 1942 war.
Nach meiner Genesung kam ich zum Flieger-Ersatz-Bataillon IV in Leipzig, wo ich bis September 1943 war. Vom September 1943 bis Januar 1944 war ich bei der Bewachungsmannschaft im Konzentrationslager "Karlsfeld" bei Dachau. [3] Vom Januar 1944 bis Mai 1944 wieder beim Flieger-Ersatz Bataillon Leipzig. Im Mai 1944 kam ich zur Bewachungsmannschaft des Konzentrationslagers "Neuengamme" bei Hamburg. In diesen Konzentrationslagern hatten wir die Beaufsichtigung der Häftlinge bei der Arbeit in Rüstungsbetrieben. Diese Bewachungsmannschaft ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Bewachungsmannschaft in den Konzentrationslagern selber. Im Lager "Neuengamme" war ich auf Grund meiner Kenntnisse als Kompagnieschreiber tätig.
Im Mai 1944 erhielten ca. 100 Mann unserer Bewachungsmannschaft den Befehl, einen Transport von 2000 Juden aus dem Kz. Auschwitz abzuholen. Da der Transport noch nicht parat war, mussten wir 8 Tage zuwarten. Unser Aufenthalt war in den Aussenquartieren des Lagers in Baracken. Hier kam ich erstmals drauf, was in diesen Lagern vorging. Bis nun hatte ich davon nicht viel gewusst und in der deutschen Öffentlichkeit hat niemand davon gewusst. Es fiel uns schon gleich am ersten Tag Brandgeruch von Fleisch auf und dieser Geruch hat mehr oder weniger die ganzen 8 Tage unseres Aufenthaltes angehalten. Wir konnten uns nicht erklären, dass dieser Brandgeruch aus den Verbrennungsöfen kam und trotzdem man uns sagte, es würden da Juden verbrannt, glaubten wir es nicht. Wir haben einen Angehörigen eines sogenannten Sonderkommandos zum Schnapstrinken eingeladen und bei dieser Gelegenheit ihn befragt. Wie er uns mitteilte, waren die Angehörigen dieses Sonderkommandos meistens russische SS-Freiwillige. Auf meine Frage über die Tätigkeit dieses Sonderkommandos erklärte er mir Folgendes:
Das Sonderkommando ist die Judenverbrennung. Zuerst kämen die Juden in einen Duscheraum; Kleine, Grosse, Alte, Junge, Frauen und Männer und alle müssten sich nackt ausziehen. Nach der Abduschung oder während derselben würden Gaskugeln in den Duscheraum geworfen, die dann die Insassen töteten oder betäubten. Dann würden sie im Ofen verbrannt.
Unsere ganze Belegschaft war durch diese Mitteilung moralisch schwer getroffen worden. Denn anfänglich der Erzählung glaubten wir dies nicht, da wir aber die ganzen 8 Tage diesen Geruch wahrgenommen hatten, mussten wir es doch glauben. Wir wohnten die Zeit unseres Aufenthaltes kaum 300 Meter vom Ofen entfernt in den Baracken des Lagers.
Meine anfängliche Begeisterung für den Nationalsozialismus, die schon vorher durch dieses oder jenes gelitten hatte, hat durch diese neue Erfahrung einen totalen Schock erlitten. Von da ab sagte ich mir, wie aber auch viele andere, die bei mir waren, dass ein System, bei dem solche bestialischen Vorkommnisse möglich sind, nicht dauerhaft sein kann.
Ende Mai 1944 wurde ich nach Leipzig berufen als italienischer Dolmetscher. Ich spreche nebst Deutsch Französisch und Italienisch und in Russland habe ich ein paar Brocken Russisch gelernt.
Im August 1944 wurde ich zu einem Unteroffiziers-Lehrgang nach Reims beordert. Infolge des deutschen Rückzuges nach der Invasion wurde unser Bataillon, trotzdem wir bei der Luftwaffe waren, als Infanterie eingesetzt, denn es fehlte an Flugzeugen und Brennstoff. Bei Nancy wurde unser Bataillon in Stärke von ca. 800 Mann in einer Panzerschlacht bis auf 16 Mann aufgerieben und gefangen. Diese 16 Mann, darunter ich, konnten sich bis Strassburg durchschlagen und kamen wieder nach Leipzig.
Im November 1944 kam ich zur Wehrmachtsstreife (Wehrmachtspolizei) nach Dresden. Die Tätigkeit war Zugs- und Bahnkontrolle.
Am 6. Mai 1945, also schon zur Zeit des Zusammenbruches, erhielten wir von unserem Kommandeur einen Marschbefehl, praktisch einen Freipass zur Heimreise. Ohne einen solchen hätten wir ja noch unterwegs als Deserteure gefasst werden können. - In Teplitz-Schönau verschaffte ich mir Zivilkleider und wies mich mit meinem liechtensteinischen Führerschein bei der russischen Militärbehörde als schweizerischer Zivilarbeiter aus, um der Gefangenschaft zu entgehen. So wanderte ich zu Fuss von Dresden bis Nürnberg, ca. 400 km. In Nürnberg erhielt ich vom amerikanischen Kommandeur, wo ich mich ebenfalls als schweizerischer Zivilarbeiter ausgab, einen Passierschein und reiste wieder weiter bis Stuttgart. Dort blieb ich 14 Tage oder 3 Wochen, ging dann zu den französischen Militärbehörden, wo ich mich wieder als schweizerischer Zivilarbeiter ausgab und einen Passierschein bis Feldkirch erhielt.
Am 14. Juni 1945 kam ich in Bregenz an. Von Bregenz aus nahm ich Verbindung mit meinen Angehörigen in Schaan auf und mein Bruder, Dr. H. [Hermann] Walser, verschaffte und schickte mir durch einen Grenzgänger den Reisepass nach Bregenz. Den Überbringer meines Passes möchte ich nicht nennen.
Im März 1941 erhielt ich die deutsche Reichsbürgerschaft und darauf hin verheiratete ich mich mit Lisel, geb. Schütz, die seinerzeit auch im Gasthaus Post in Schaan gewohnt hat. Diese Ehe wurde aber im April 1944 vom Landgericht Stuttgart bereits wieder geschieden. Meine Frau hatte während meines Kriegsdienstes ein anderes Verhältnis, das sie heute noch hat, und die Scheidung auf meine Klage wegen Ehebruch ging ohne weiteres glatt. Sie (die Frau) wohnt gegenwärtig in Bregenz.
Meine Papiere über die Einbürgerung in Deutschland habe ich nicht, sie liegen privat in Zwickau bei Frau Hänsel, Mittelstr. 7. Dort habe ich sie im April 1945 mit meiner sämtlichen Privat-Korrespondenz deponiert.
Grund meiner Heimreise ist zum Teil Heimweh und zum Teil die Schaffung einer Existenz hier. Während meines Aufenthaltes in Deutschland hatte ich kaum Verbindungen mit Liechtenstein, habe mit Ausnahme eines gewissen Anton Marxer, den ich einmal in Stuttgart traf, niemand aus Liechtenstein gesehen.
Den Reisepass des Karl Walser, ausgestellt durch die fürstl. Regierungskanzlei am 26. Juni 1945, legen wir diesem Berichte bei. [4] Laut Stempel ist die Einreise am 30. Juni 1945 in Schaanwald erfolgt.