Das "Liechtensteiner Volksblatt" weist die Kritik des Heimatdiensts an der Einbürgerungspolitik zurück


Artikel im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

2.7.1935

Nichts Übertriebenes

Es gibt im gewöhnlichen bürgerlichen und im politischen Leben Dinge, die als selbstverständlich angesehen und im öffentlichen Leben nicht besprochen werden sollten. Der Anstand und die in unserer Religion einmal begründete Rücksicht auf den Nächsten wenigstens erfordern dies. So wird man, selbst wenn man sich mit dem Nebenmenschen nicht in allen Dingen einig fühlt, nicht gerade jene Seite hervorzukehren suchen, die den Nächsten verletzen muss.

Diese Gedanken drängen sich dem Leser des Leitartikels des Heimatdienst vom Samstag "Geistige Landesverteidigung" auf, der zu einer Frage der Überfremdung Stellung nimmt und für Liechtenstein eine Judenfrage aufzurollen sucht. [2] Wir haben aus unseren grundsätzlichen Einstellungen, liechtenstein. Volkstum zu schützen und zu erhalten, nie ein Hehl gemacht. Soweit aber Einbürgerungen vereinzelt und unter korrekten Voraussetzungen vor sich gegangen sind, ist dagegen nichts einzuwenden. Im übrigen ist es ja Angelegenheit der Gemeinden, mit dem Einbürgerungsverfahren wählerisch umzugehen oder sich einer Einbürgerung überhaupt ablehnend zu verhalten. Der Takt aber verlangt es, dass man sich einmal Eingebürgerten gegenüber loyal verhält. Es ist deshalb gewiss auch nicht taktvoll, wenn man nur kurzweg von einer Überfremdung schreibt, vor allem aus dem Grunde wenig taktvoll, weil das Mittel der Einbürgerung vom Volke selbst gehandhabt werden kann. Ein Land, das mit dem Auslande Verkehr pflegt und das ständig für Fremdenverkehr wirbt, wird sich auch dieses Ausdruckes, so vorsichtig man sich der eigentlichen Materie gegenüber verhalten mag, enthalten müssen. Sonst könnte es einmal leicht den Vorwurf eines reinen Krämergeistes einstecken müssen, weil es wohl gerne vorübergehend Geschäfte macht, seine Schönheiten preist, aber niemanden diese Schönheiten und Vorzüge geniessen lassen will. In Fremdenverkehrsländern finden wir eben immer wieder dauernde Niederlassungen und vielfach nicht zum Nachteile des Gastrecht bietenden Staates.

Um noch kurz auf die Einbürgerung fremder Staatsangehöriger zurückzukommen, verweisen wir auf die straffer gefassten Bestimmungen des Gesetzes über den Erwerb und Verlust des liechtensteinischen Staatsbürgerrechtes, das im allgemeinen einen längeren Aufenthalt im Fürstentume vorsieht. [3] Die Bestimmungen dieses Gesetzes bieten Vorsichtsmassregeln genug in der Handhabung der Einbürgerungspraxis. Es liegt in der Hand des Volkes, dem liechtensteinischen Volke etwa drohende Gefahren abzuwenden. Wir vermögen aber nicht einzusehen, warum gerade heute diese Gefahren besonders gross sein sollen, wie dies im besagten Artikel des Heimatdienstes angezogen wird. Diese Gefahren waren einst viel grösser für die nationalen und religiösen Belange als heute. Wenn wir aber unser Volkstum schützen wollen, müssen wir auch alle im Auslande kursierenden Modeartikel politischer und nationaler Beschaffenheit ablehnen. Dass wir etwaigen marxistischen Einflüssen sich je entgegenstemmten, braucht nicht erwähnt zu werden.

Unangebracht scheint uns dann aber auch die Bemerkung, dass heute die Gefahr bestehe, dass Ausländer eingebürgert werden, die aus irgendeinem politisch weltanschaulichen Grunde ihre Staatsbürgerschaft wechseln wollen. Wir würden uns selbstverständlich die Freiheit nehmen, diese "politisch-weltanschaulichen" Gründe zu prüfen, wenn wirklich solche Einbürgerungen aufscheinen sollten, bei uns wiegt aber das religiös Weltanschauliche immer noch mehr als das politisch Weltanschauliche, soweit sich beim Menschen eine staatsbejahende Auffassung finden lässt.

Man wird sich der Tendenz der Ausführungen im Heimatdienst dann aber voll bewusst, wenn von volks- und artgesundheitlichen Gefahren für liechtensteinisches Volkstum gesprochen wird. Judeneinbürgerungen oder auch nur Niederlassungen brächten früher oder später eine artwertschädigende Rassevermischung durch Heirat oder illegale Beziehungen mit sich. Für Liechtenstein ist das eine unnütze Besorgnis. Die Bemerkung klingt aber sehr abgelauscht und verdient weiter aus völkisch liechtensteinischen Gründen keine Beachtung.

Ferner schüttelt der Heimatdienst die Moral nur so aus dem Handgelenk, wenn er von weltanschaulichen Schäden spricht, die marxistische oder jüdische Einbürgerungen und Niederlassungen bringen könnten. Im ganz grossen Stil spricht dann jenes Blatt, wenn es sagt, dass wir nicht künstlich Monarchiegegner züchten werden, wo wir in Liechtenstein doch kaum einige hätten, weil diese importierten Leute wegen ihrer selbst das weite Mass republikanischer Freiheit überschreitenden Einstellung anderswo fliehen mussten. Diesen Ausführungen nach könnte man glauben, wir sässen mitten drin in einem marxistischen Rummel von auswärts. Wenn man das liest, dann wird man sich klar, dass man Menschenleben einst am 6. April vor etwas mehr als 2 Jahren wie Hunde zutode hetzen konnte. Notabene, wir verteidigen nur das Rechte, alles andere an einem Menschen zu beschönigen, liegt uns fern. Menschen aber achten wir immer als Menschen und werden die Rechte einer persönlichen Freiheit verteidigen. Geistige Landesverteidigung ist auch das, wenn man das verurteilt, was einmal auf der ganzen Welt kein Recht findet.

Der Heimatdienst sieht auch eine aussenpolitische Gefährdung in der Werbung und Einbürgerung. Eine Werbung um Einbürgerung sollte es überhaupt nie geben und auch nie gegeben haben. Ferner betrachten wir als selbstverständlich, dass die Prüfung auf die Würdigkeit einer Einbürgerung vorausgeht und dass keineswegs Elementen Unterschlupf gewährt wird, die anderswo etwas auf dem Kerbholz haben. Wenn einmal so etwas Ähnliches vorgekommen ist, so ist es nicht am Platze, dass man in der Form verallgemeinert.

Wenn heute ein Nichtkenner der Verhältnisse in Liechtenstein jene Zeitung zur Hand nimmt und jenen Artikel liest, so bekäme er den Eindruck, unser Land wäre das Asyl von Emigranten, und eben nicht der besten. Es gibt Leute, die leiden an Wahnvorstellungen, eine solche scheint jener Schreiber gehabt zu haben, wenn auch das Kapital über die Einbürgerung gewiss der Beachtung wert ist. Wenn sich aber jemand in Liechtenstein niederlassen will, er ist ein anständiger Mensch und reinen Charakters, so wird man ihn nicht so ohne weiteres von der Türe weisen. Von einer aussenpolitischen Gefahr zu sprechen, finden wir hier denn doch übertrieben. Vor allem möchten wir aber den Kreisen um den Heimatdienst anraten, bei der Zwillingspartei Nachschau zu halten, wie damals zu Zeiten Bauers und Konsorten die Moral des Volkes mit Füssen getreten wurde. [4] Solche Leute allerdings möchten wir für alle Zeiten vom Halse gehalten wissen.

Diese Zeilen sind nicht geschrieben, um so eine Art Artkämpfe heraufzubeschwören. Sie sind wieder geschrieben, die Interessen des Landes zu wahren und dessen Einkommen zu schützen. Es ist den Leuten um den Heimatdienst auch bekannt, welcher Beschaffenheit diese teilweise sind, so ist es unsere Pflicht, hier gemeinsam zum Rechten zu sehen. Wenn man dann da nicht wollte, wäre es bös bestellt um die Wahrung der Interessen unseres Volkes. Wir haben keine Judenfrage, die Überfremdungsfrage ist gelöst, wir brauchen aber Takt allem, auch dem Lande und Volke gegenüber.

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[1] L.Vo., Nr. 77, 2.7.1935, S. 1.
[2] L.Heimatd., Nr. 28, 29.6.1935, S. 1f.
[3] Gesetz vom 4.1.1934 über den Erwerb und Verlust des Landesbürgerrechtes (LGBl. 1934 Nr. 1).
[4] Verm. Anspielung auf den 1925/26 gescheiterten Versuch, in Liechtenstein eine Klassenlotterie einzurichten, an dem u.a. Georg Bauer beteilîgt war. Nach der Einstellung der Klassenlotterie kam es zu heftigen Auseinandersetzungen im Landtag und in der Öffentlichkeit, in denen die oppositionelle Bürgerpartei der Volkspartei-Regierung Verfassungsbruch und Korruption vorwarf.