Die Polizei untersucht den Sprengstoffanschlag auf das Haus von Ludwig Marxer


Bericht des Sicherheitskorps, gez. Wachtmeister Josef Brunhart, an das Landgericht [1]

20.6.1940

Boshafte Sachbeschädigung z. Sch. d. Marxer Ludwig, Dr., Justizrat, durch Sprengstoffanschlag. Unbekannte Täter

Tatgeschichte:

In der Nacht zum 16. Juni 1940 um 02,55 Uhr wurde beim Hause des Dr. Ludwig Marxer in Vaduz von unbekanntem Täter ein Sprengkörper zur Explosion gebracht. Der durch diesen Sprengstoffanschlag verursachte Schaden kann bis nun nicht genau festgestellt werden, jedoch dürfte dieser zwischen 600-800 Fr. betragen.

Eine Gefahr für Menschen hat insofern bestanden, weil sich das Schlafzimmer von Herr und Frau Dr. [Franziska] Marxer sich auf der gleichen Seite befindet, wo der Sprengkörper zur Explosion gebracht wurde und durch die Detonation alle Fensterscheiben der beiden Fenster zertrümmert wurden. Überdies wollte Frau Franziska Marxer an einer Wallfahrt nach Einsiedeln und Sachseln teilnehmen und zu diesem Zwecke schon bald das Haus verlassen. Weiter hat eine Gefahr bestanden für die beiden Dienstboten Maria Walch und Gerhard Ritter. Diese beiden schlafen unten in den Parterreräumlichkeiten nordwärts. Die Eingangstüren zu den beiden Schlafzimmern gehen vom Korridor aus, wo die Wirkung der Explosion noch unvermindert war. – Zur Zeit der Explosion befanden sich im Hause des Dr. Marxer 7 Personen.

Beweismittel:

Die zur der in der Tatgeschichte erwähnten Zeit erfolgte Detonation wurde auch von den Schutzleuten [Hermann] Meier und [Gottfried] Sele, die sich im Reg.gebäude befanden, gehört. Gleich darauf erfolgte auch schon die telefonische Meldung seitens Dr. Marxer. Bei der durch die Schutzleute Sele und Meier erfolgten Tatbestandsaufnahme wurde folgendes festgestellt:

Die Nacht zum 16. Juni 1940 war regnerisch und dunkel. Bis ungefähr 24 Uhr war die Strasse um den Tatort meist rege belebt. Es ist daher anzunehmen, dass der Sprengkörper erst nachher gelegt und zur Entzündung gebracht wurde. Die Strassenlampe an der Strassengabelung vor dem Hause des Dr. Marxer brannte, ebenso die beiden Lampen im Kirchengarten. – Der Täter legte den Sprengkörper in die linke untere Ecke des Türeinganges. Zur Zeit der Tatbestandsaufnahme war noch deutlich an den Mauern die Hitzewirkung zu erkennen. Durch die Explosion wurde der linke Türflügel in seinem unteren Teile zertrümmert. Die Glasscheiben an der Haustüre und den 10 Fenstern an der gleichen Hausfront wurden, mit Ausnahme zweier offener Fensterflügel, total zertrümmert. Von dem zertrümmerten Türflügel wurde unten der Türbeschlag weggerissen und gegen die Decke im Korridor geschleudert, wodurch in der Decke zwei Löcher entstanden. Von den Kleiderhacken hinter der Haustüre wurden drei Mäntel gerissen und durch die Glassplitter beschädigt. Im Korridor wurden die Türverkleidungen der beiden Bürotüren durch den Anprall von Glassplittern zerhackt und die Tapeten beschädigt. An der Durchgangstür im Korridor wurden alle Glasscheiben zertrümmert und oben ein Schliesshacken herausgerissen. Im Kellerabgang wurde eine Fensterscheibe zertrümmert. Ebenfalls wurden die beiden Beleuchtungskörper vor der Haustüre und 2 im Korridor beschädigt.

Spuren von der Täterschaft konnten weder zum noch vom Tatorte gefunden werden. Hingegen wurde am 17. Juni 1940 auf der Südseite des Regierungsgebäudes Resten vom Sprengkörper gefunden. Diese bestehen aus Fetzen von Zeitungspapier, einem verbrannten Stück Zündschnur und einer Umwicklung aus Draht. Aus dem Zeitungspapier kann festgestellt werden, dass es sich bei der Umhüllung des Sprengkörpers um die Zeitung: Tagesanzeiger für Stadt und Kanton Zürich Nr. 136 vom 12. Juni 1940 handelt.

Der Steinbrucharbeiter Roman Tonetti aus Triesen glaubt erkennen zu können, dass zur Anfertigung des Sprengkörpers Sprengpulver verwendet worden sei. Er schliesst dies aus der schwarzen Färbung an der Stelle, wo der Sprengkörper zur Explosion gebracht wurde.

Es dürfte sich hier um einen Racheakt gegen Dr. Ludwig Marxer handeln.

Dr. Ludwig Marxer, wohnhaft in Vaduz, gibt an: "In der Nacht zum 16.6.1940 war ich bis ca. 24 Uhr noch bei meiner Frau im Wohnzimmer. Ich glaubte etwas zu hören und schaute daher zum Fenster hinaus vor mein Haus und auf die Strasse. Ich konnte aber nichts sehen. Beim Regierungsgebäude hörte ich nur noch das Klirren eines Fahrrades. Bald darauf gingen wir zu Bett. Meine Frau wollte die geplante Wallfahrt nach Einsiedeln und Sachseln mitmachen. Zu diesem Zwecke wollte sie schon kurz nachdem die Detonation erfolgte, das Haus verlassen. Als die Detonation erfolgte, waren wir noch im Bett. Der Detonation folgten dichte Rauchschwaden, sodass die Kinderschwester das Schlafzimmer mit den Kindern verlassen musste. Unser Eheschlafzimmer befindet sich auf der gleichen Hausseite, wo der Sprengkörper zur Explosion gebracht wurde. Es bestand daher für uns auch eine Gefahr, zumal alle Fensterscheiben unseres Schlafzimmers zertrümmert wurden. Zudem ist meine Frau im 5. Monat schwanger, es ist daher, verursacht durch den Schrecken, auch ein unglücklicher Ausgang der Schwangerschaft zu befürchten.

Ich schätze den Schaden, der mir durch diesen Sprengstoffanschlag verursacht wurde, auf 1000.-- Fr. Ich nehme an, dass dies ein Racheakt gegen mich ist."

Gestützt darauf, dass es sich um einen Racheakt handeln dürfte, wurden [...] [2] nach ihrem Verbleib zur Tatzeit befragt und ihre Angaben überprüft. Alle die Vorgenannten waren in der Lage, ihren Aufenthaltsnachweis glaubhaft zu erbringen.

Die Postdirektion in St. Gallen wurde ersucht um Entbindung vom Postgeheimnis für den Posthalter Arnold Gassner in Triesenberg und den Posthalter Richard Erne in Triesen. Dem Ersuchen wurde stattgegeben. [3] Die Ermittlungen haben ergeben, dass das vom Triesenberg aus erfolgte Telefongespräch für diesen Fall nicht von Interesse ist. [4] Posthalter Erne in Triesen hat die Abonnenten des Tagesanzeigers in Triesen bekannt gegeben. [5]

Vom Täter fehlt bis nun jede weitere Spur. Die Nachforschungen werden fortgesetzt und positive Ergebnisse der Anzeige nachgetragen. [6]

1 Beilage [7] 

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[1] LI LA J 007/S 073/112/002. E.Nr. 674/40. Eingangsstempel des Landgerichts vom 21.6.1940. Weitere Exemplare des Polizeiberichts in LI LA V 005/1940/0674, LI LA RF 199/350/002.
[2] Es folgen die Namen von sieben Verdächtigten.
[3] LI LA V 005/1940/0674, Schreiben, ungez., an die Postdirektion St. Gallen, 18.6.1940. Die Antwort der Postdirektion wurde nicht aufgefunden.
[4] Einer der Verdächtigten führte am 15.6.1940 ein Telefongespräch vom Gasthaus "Alpenrose" in Triesenberg aus (LI LA V 005/1940/0674, Amtsvermerk, ungez., 17.6.1940).
[5] Nicht aufgefunden.
[6] Der Polizei gelang es trotz intensiven Ermittlungen nicht, den Täter ausfindig zu machen. Es gab zwar Verdachtsmomente, die darauf hindeuteten, dass der Täter dem Kreis der Anhänger der Volksdeutschen Bewegung angehörte, beweisen konnte man dies jedoch nicht (LI LA J 007/S 073/112, LI LA V 005/1940/0674, LI LA V 005/1944/0085, LI LA J 007/S 077/059).
[7] Fehlt.