Der Landtag berät erneut über die Einführung des Proporzwahlrechts, insbesondere über die Dringlichkeitserklärung des Gesetzentwurfs


Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung des Landtages, nicht gez. [1]

7.1.1939

Besprechung bezgl. des Proporzgesetzes

Reg. Chef [Josef Hoop]: Ich glaube, es handelt sich lediglich noch um Vornahme kleinerer redaktioneller Änderungen des Gesetzes. Wir sind draussen gewesen in den Gemeinden und wir haben keine Widerstände gefunden. Andererseits scheint es mir, dass hintenher von den Leuten etwas geschimpft und kritisiert wird. Wenn der Ausschuss der Union sich mit der Nichtdringlichkeitserklärung des Gesetzes abfinden kann, finde ich, ist die Sache einfach, anderenfalls riskiert man einen Konflikt.

[Franz Xaver] Hoop: Es wird vielfach beanstandet, dass man dem Volke alle Rechte entziehen will. Das gefällt vielen gar nicht.

[Peter] Büchel: Ich glaube, es ginge ruhig durch, wenn man das Gesetz nicht dringlich erklärt. Die Wahlen würden nicht viel weiter hinausgeschoben.

Dr. [Otto] Schädler: Der Beschluss der Union ist so klar, dass wir vor einer ganz neuen Situation stünden. Der Ernst der Friedensabmachungen würde dadurch gefährdet und die Stimmung bei der letzten Sitzung der Union war nicht besonders günstig.

Reg. Chef [Josef Hoop]: Es zeigen Misstimmungen sowohl in den Kreisen der Union wie der Bürgerpartei. Man könnte evtl. noch reden über die Nichtdringlicherklärung, obwohl ich persönlich keine Bedenken habe wegen der Erklärung der Dringlichkeit. Es sind in den Versammlungen keine Stimmen dagegen laut geworden.

[Peter] Büchel: Zur Sache, dass die Leute in den Versammlungen die Diskussion nicht reichlich benützten, muss gesagt werden, dass die Leute von der Fülle des neuen Stoffes überrascht waren. Organisiert ist nichts gewesen. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass ich heute von einem nicht unmassgeblichen Politiker antelephoniert worden bin, der vor der Dringlichkeitserklärung gewarnt hat. Übrigens sind nicht wir schuld, dass sich die Sache so lange hinausgezogen hat. Wir haben uns Mühe gegeben, um das Gesetz durchzuberaten. Wir sind vor eine Situation gestellt worden, die wir nicht mehr ändern können.

Dr. [Alois] Vogt erscheint zur Sitzung wird vom Reg. Chef aufgeklärt, dass sich einzelne Abgeordneten an der Dringlichkeitsklausel stossen.

Dr. Vogt: Wenn es nicht dringlich erklärt wird, gibt es einen Krach. Es frägt sich, ob man grundsätzlich dafür ist. Wenn die Widerstände gegen das Gesetz so grosse sind, dann kommt das Referendum.

Büchel: Wir haben bald 20 Jahre die Demokratie und die Volksrechte betont. In einem der wichtigsten Gesetze will man das Volksrecht ausschalten. Wenn man es wagt, wohlan, aber die Verantwortung tragen die, die nicht auf einen guten Rat gehört haben.

Beck Wend. [Wendelin]: Wir werden falsch verstanden. Wenn das Referendum eingeleitet wird, haben wir einen Kampf zu gewärtigen. Ob die Wahlen 1 Monat früher oder später sind, das würde man fertig bringen. Aber wenn man schon für das Gesetz ist, was braucht es denn mehr. Ich habe am Berg noch keinen gehört, der sich gegen die Dringlichkeit ausgesprochen hat. Die Regierung soll mit den einzelnen Wirtschaftsgruppen und Verbänden sich in Verbindung setzen. Wenn eine solche Konferenz mit diesen Gruppen stattfindet, wird es verstanden werden.

Dr. Vogt: Das heutige Wahlgesetz ist im Jahre 1932 ebenfalls als dringlich erklärt worden, ebenso eine Abänderung desselben.

Reg. Chef: Ich glaube auch, dass man das heute riskieren dürfte, was man damals wagte.

[Johann Georg] Hasler: Es ist gerade für die Vertreter kleiner Gemeinden schwer, für die Dringlichkeit zu stimmen. Bei uns hat sich der Vorsteher, der ja der Union angehört, beschwert, dass die kleinen Gemeinden keinen Abgeordneten erhalten können. Wenn Leute von der Gegenseite das erklären, so sind wir in einer misslichen Lage, hier mitzustimmen. Wir würden manchen Vorwurfes enthoben, wenn wir es nicht dringlich erklären.

Beck Wend,: Die Dringlichkeit hat mit der Gemeindebindung nichts zu tun.

Dr. Vogt: Die theoretische Möglichkeit besteht, dass eine kleine Gemeinde keinen Abgeordneten erhält. Es ist aber vorgesehen, dass dann eine solche Gemeinde einen stellvertretenden Abgeordneten erhält und wir haben die Absicht, die Bestimmung einzubauen, dass wenn eine Gemeinde nicht vertreten ist und ein Gesuch derselben zur Behandlung steht, dass dann über Vorstelligwerden der betr. Gemeinde beim Landtage der stellvertretende Abgeordnete der gleichen Fraktion einspringen kann.

[Franz Xaver] Hoop: Im Unterland wird es schwer empfunden und kritisiert, dass die Gemeindebindung nicht mehr existiert. Bei Durchführung einer stillen Wahl wird das ja noch möglich sein, dass man auf die Gemeinden Rücksicht nimmt.

Reg. Chef: Wir müssen über die Jetztzeit hinweg kommen. Wir müssen mit dem Augenblick politisieren.

Risch Ferdi: Man sollte die beiden Parteien zusammenschweissen, um etwas anders zurückhalten. Ich weiss nicht, wenn wir die Sache dringlich erklären.

Reg. Chef: Dem kann man ruhig die Dringlichkeitserklärung von 1932 entgegenhalten.

Beck Wend.: Die Union hält eben deswegen an der Dringlichkeit fest, um Schlimmeres zu verhüten.

Präsident: Ich möchte noch einmal die Fragen, glaubt man, dass das Misstrauen so gross ist, dass die Wahl ohne Proporzgesetz nicht durchgeführt werden kann. Nachdem Schwierigkeiten bestehen, glaube ich wäre mein Weg der einfachste und die Einheitsliste würde der Wahl unterliegen. Es wäre dies sicher demokratisch und zu verantworten.

Dr. Schädler: Notwendig ist nicht das, was man möchte und wünscht, sondern das, wie die Verhältnisse liegen. In der Union ist die Stimmung so, wenn das Proporzgesetz vorläufig abgelehnt wird, werden die alten Kampfzustände eintreten. Wenn wir heute mit einer Einheitsliste ohne Proporz kommen, so wird diese glatt abgelehnt werden.

Reg. Chef: Ich lasse mit mir über alle Vorschläge reden. Entscheidend ist mir, wie sich die Union stellt. Die Vertreter der Union werden auch so loyal sein und werden sagen, ob es irgendwie möglich ist. Einen Wahlkampf zwischen beiden Parteien würde ich nicht mehr mitmachen. Da ist die Situation zu ernst.

Büchel: Das von 1932 ist nicht dem von heute zu vergleichen. Der Proporz ist zweimal verworfen worden. Ich war immer Gegner des Proporzes, kann aber auch heute unter den gegebenen Umständen dafür stimmen, aber es fällt mir schwer, wenn ich für die Dringlichkeit stimmen soll.

Risch: Wenn man die Sache dem Referendum unterstellt, geht es nicht ruhiger vor sich. Ich möchte ersuchen, dass die Vertreter der Union nicht die Dringlichkeit verlangen und in diesem Sinn in der Partei arbeiten.

Dr. Schädler: Im Jahre 1932 ist ein wichtiges Gesetz auch dringlich erklärt worden und heute, wo man jede Friedensstörung zu verantworten hat, wird die Dringlichkeitsklausel bekämpft von denen, die sie seinerzeit akzeptiert haben. Dieses Gesetz will lediglich ein gerechtes Verhältnis schaffen. Eine Ablehnung wird keine gute Stimmung hervorrufen.

Hoop: Es gibt im Volke auch Misstimmung gegen das Gesetz wegen der Machenschaften im Unterland. Es wird nicht verstanden, dass man solchen, die das ganze Land aufs Spiel setzen, die Möglichkeit schafft, dass sie vertreten sind.

Büchel: Ich glaube nicht, dass Herr Dr. Schädler es so gemeint hat, wie er es ausgesprochen hat. Ich habe von allem Anfang an gesagt, wir bekämpfen die Dringlichkeitsklausel nicht, aber wir würden den Weg geebneter sehen, wenn man diese Klausel fallen lassen würde. Das Wort bekämpfen, ist nicht der richtige Ausdruck. Was wir heute dringlich beschliessen sollen ist ein Gesetz, das zweimal vom Volke verworfen worden ist, das Gesetz von 1932 war nie vor einer Volksabstimmung. Das heutige Proporzgesetz, glaube ich, würde von der Bürgerpartei bei einer Volksabstimmung nicht bekämpft werden.

Dr. Vogt: Es könnte auch das Gesetz der Volksabstimmung unterworfen werden.

Präsident: Da wäre ich dafür, aber die Union müssten sich dazu verstehen müssen, das eine Verschiebung der Wahl stattfindet.

Dr. Schädler: Man muss uns erklären, das man es annimmt, oder man erklärt uns offen, dass man es nicht macht, dann lassen wir den Karren fahren. Wenn wir hinauskommen vor unsere Parteiangehörigen und sagen, wie die Stimmung im Landtage ist, so werden wir einen sehr schlechten Standpunkt haben. Wir könnten höchstens unsererseits liquidieren, wenn man die Schwierigkeiten zu gross macht. Im Jahre 1932 hat man nichts gefunden an der Dringlichkeitsklausel und in einer viel schwierigeren Lage wird die Sache bestritten.

Präsident: Diese ausserordentlich schwierige Situation vermag ich nicht ganz zu unterschreiben. Was im Frühjahr gegangen ist, darf heute die Überlegung nicht behindern. Ich bin sehr dafür, dass man die Befriedung sucht. Wenn aber im Mittelweg die Lösung liegt, warum soll man die beiden Extremen wählen. Wenn in beiden Parteien in diesem Sinn geschafft würde, so wäre die ganze Schwierigkeit behoben. Soviel Vertrauen muss man auf die Leute und die Parteien haben, dass sie gewisse Gefolgschaft leisten. Ich möchte abermals zu überlegen geben, ob nicht der Mittelweg der gegeben wäre, nachdem verschiedene Schwierigkeiten bestehen.

Dr. Vogt: Man hat letzten Samstag das Gesetz beraten und auch über die Dringlichkeit und man ist zum Ergebnis gekommen, dass man diese Woche hinausgehe ins Volk und die Abgeordneten haben ja erklärt, wenn keine Widerstände im Volke seien, könne man eher dafür sein. Widerstände waren keine zu vernehmen und dennoch erklärt man heute wieder, man sei nicht dafür. Ich möchte zu überlegen geben, mit welchem Vertrauen unsere Leute so in die Zukunft schauen müssen, wenn man ihnen sagen muss, man hat uns getäuscht. Für uns ist dies sehr bemühend und das wird unsere Partei auf einen Weg treiben. Wenn wir uns gegenseitig so wenig verstehen, wenn man Zusicherungen nicht hält, die man uns vor 8 Tagen gegeben hat, wie kann die Partei noch Vertrauen haben.

Büchel: Ich glaube, es herrscht ein bisschen ein Missverständnis vor. Wir haben gewünscht, dass man das Volk aufkläre, aber wir haben nicht die Zusicherung gegeben, dass wir nach der Aufklärung für die Dringlichkeit seien. Vielleicht ist die Mehrheit für die Dringlichkeit. Ich betone nochmals, vorsichtshalber stimme ich nicht für die Dringlichkeit, um dem Volke nicht eine Waffe in die Hand zu geben. Nach meiner Meinung ginge es ruhiger, wenn man dem Volke die Möglichkeit gäbe.

Dr. Schädler: Das Thema ist genau dasselbe, wie am letzten Samstag. Sinngemäss ist am letzten Samstag ausgesprochen worden, dass man ohne vorhergehende Aufklärung der Dringlichkeit nicht zugestimmt werden könne. Die Aufklärungen haben nun stattgefunden und die Referenten beider Parteien haben sich dafür eingesetzt und haben sich sehr bemüht, was zu verdanken ist. Nun ist es sehr bemühend, dass man heute noch dieselben Bedenken gegen die Dringlichkeit äussert. Die Referenten haben die Aufklärungen durchgeführt, um den Abgeordneten ihre Zustimmung zu erleichtern. Ich kann mir für die kommende Sitzung des Landtages keinen anderen Vorgang vorstellen, als dass wir in der gegenwärtigen Situation vor den Landesausschuss hintreten und die weiteren Beschlüsse desselben in Empfang nehmen werden. Jedenfalls wird die Stimmung in den Kreisen der Union nicht gebessert und eine Zusammenarbeit wird für die Zukunft sehr erschwert, denn hiefür ist die Voraussetzung ein gewisses Vertrauen.

Präsident: Ich erachte die Aufklärungsvorträge gleicherweise verdankenswert. Wenn aber diese Aufklärung des Volkes zur Überzeugung führen würde, dass gewisse Widerstände da sind, wie soll man einer Versammlung zumuten, dass die Sache nachher ohne weiters in der Diskussion erledigt werde. Man muss dem Volke eine gewisse Möglichkeit geben, diese Gedanken zu verarbeiten, das ist demokratisch. Ich glaube, dass es möglich wäre, das Volk zu einer ruhigen überlegten Handlungsweise zu bringen.

Hoop: Ich möchte unterstreichen, dass die Aufklärungen genützt haben. Am letzten Samstag hätte ich mich unter keinen Umständen zur Dringlichkeitserklärung herbei lassen können. Jetzt kann ich sagen, bei der Versammlung ist die Sache nicht auf Widerstand gestossen. Es hat in beiden Lagern, die das Zutrauen nicht ganz haben. Es wird auch der Vorwurf erhoben wegen Reg. Rat Hoop und auch Dr. Vogt wird in Mitleidenschaft gezogen. Der Sohn des Arn. Hoop, mit dem Dr. Vogt ging, hatte das Hackenkreuz aufgesteckt. Mich frägt man, traut man diesen Leuten. Für mich ist die Situation heute leichter als am Samstag.

Risch: Die Vorträge haben aufklärend gewirkt. Es ist den Leuten der Ernst der Zeit und die Folgen vor Augen geführt worden. Für den Proporz haben die Vorträge nur gut gewirkt.

Hasler: Wenn von den Leuten der Gegenseite gesagt wird, uns gefällt das nicht, dann ist meine Sachlage erschwert.

Präsident: Die Diskussion ist nun so, dass die Sache noch nicht beschlussreif ist. Man könnte evtl. am Montag wieder sitzen. Hat Dr. Schädler Zeit.

Dr. Schädler: Es ist mir am Montag nicht gut möglich.

Präsident: Dann nehmen wir den Mittwoch und Dr. Schädler kann sich dann auf diesen Tag einrichten. Ich möchte den Herrn Doktor unbedingt dabei haben.

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[1] LI LA LTP 1939/001.