Schreiben der Regierung an die Ortsvorstehungen und an das Sicherheitskorps, gez. Regierungschef Josef Hoop [1]
28.9.1935 (?)
Die Regierung hat gestern bezüglich der Niederlassung [und] des Aufenthaltes von Ausländern in Liechtenstein folgenden Beschluss gefasst.
"Es sollen Aufenthaltsbewilligungen nur erteilt werden, wenn die Aufenthaltsnahme im Interesse des Landes gelegen ist. Zuständig zur Erteilung der Aufenthaltsbewilligung ist ausnahmslos die Regierung. Die Ortsvorstehungen sollen Interessenten immer an die Regierung verweisen, wobei sie jedoch von sich aus oder über Einladung der Regierung ihre Anträge bezüglich des Aufenthaltes eines Aufenthaltswerbers stellen kann. Die Regierung prüft die Gesuche, verlangt in jedem Falle Leumundszeugnis, Angabe allfälliger Referenzen und holt, wenn sie es nötig erachtet, einen Strafregisterauszug, Vermögensausweise etz. ein. In einzelnen Fällen kann die Regierung, wenn es ihr zweckmässig erscheint, Kautionen bis zu Fr. 20'000.- verlangen. Diese Kaution bleibt gesperrt für Forderungen des Staates, der Arbeiter u.s.w., kurzum für alle Verpflichtungen des Aufenthaltswerbers im Lande. In Fällen, wo ein Aufenthaltswerber durch Gründung einer Industrie oder dgl. die Arbeitslosigkeit zu mindern in der Lage ist, kann von der Ausstellung einer Kaution abgesehen werden."
Wenn sich also ein Aufenthaltswerber bei einer Ortsvorstehung meldet, so ist es gut, den Interessenten auf die vorangeführten Bestimmungen aufmerksam zu machen, und soferne der Gemeinde an der Zuwanderung des Interessierten gelegen ist, kann sie ihm eine Bestätigung mitgeben, dass sie mit der Aufenthaltsnahme in der Gemeinde einverstanden ist. Wenn sich Interessierte bei der Regierung melden, wird je nach dem Falle vom Aufenthaltswerber die Bestätigung einer Gemeinde verlangt, in der er sich niederlassen will oder sie wird von uns aus eingeholt.
Auf diese Art soll eine wünschenswerte Einheitlichkeit im Verfahren bei der Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen erreicht werden.
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[1] LI LA RF 155/348/002. Kürzel: Dr. H/S. Das Datum ist nicht sicher lesbar. Das Schreiben ist vor dem Hintergund der am 15. September 1935 erlassenen Nürnberger Gesetze zu sehen, aufgrund derer ein verstärkter Ansturm jüdischer Emigranten aus Deutschland befürchtet wurde. Der diesbezügliche Regierungsbeschluss datiert vom 26.9.1935.