Liechtenstein rechtfertigt gegenüber der Schweiz das Vorgehen gegen die einheimischen Nationalsozialisten sowie die Einbürgerungspraxis


Note der liechtensteinischen Regierung an das Eidgenössische Politische Departement [1]

5.7.1939

Mit seiner Note vom 30. Jänner 1939 Zl.B.14.21 Liecht. 2/14 -SB. [2] hat das Eidgenössische Politische Departement der fürstlichen Regierung zur Kenntnis gebracht, dass der Rest von 1 Million des mit der Vereinbarung vom 19. Dezember 1938 gewährten Kredites der Schweizerischen Eidgenossenschaft von 2 Millionen Franken bis zur weiteren Abklärung gesperrt bleiben müsse, weil die liechtensteinische Regierung

  1. gegen gewisse Vorkommnisse (nächtliche Anschläge mit Sprengkörpern, Verteilung von Flugschriften gegen Juden und gegen die Vertragsgemeinschaft mit der Schweiz) kaum ernstliche Vorkehren getroffen habe und
  2. durch die liechtensteinische Einbürgerungspraxis schweizerische Interessen tangiert werden könnten.

Die fürstliche Regierung hatte Gelegenheit, am 29. und 30. März d.J. durch ihre Vertreter Regierungschef Dr. [Josef] Hoop und Regierungschefstellvertreter Dr. [Alois] Vogt zum Inhalte der obgenannten Note abklärend Stellung zu nehmen. [3]

Gemäss telephonischer Rücksprache von Regierungschef Dr. Hoop mit Herrn Legationsrat Dr. [Peter Anton] Feldscher beehrt sich die fürstliche Regierung nunmehr noch in schriftlicher Form zu den einzelnen Punkten Stellung zu nehmen und um Flüssigmachung weiterer Frs. 500'000.- des vorerwähnten Kredites zu bitten.

Im Abwehrkampfe gegen die fraglichen Umtriebe hat die fürstliche Regierung alles unternommen, was ihr zweckmässig und klug erschien. Sie hat nachstehende Verordnungen und Gesetze erlassen bzw. dem Landtag beantragt:

  1. Verordnung vom 30. Mai 1933 betr. Beschlagnahme und Verbot von Druckschriften, [4]
  2. Verordnung vom 14. September 1934 betr. Verbot des Tragens von Parteiuniformen, [5]
  3. Verordnung vom 11. Dezember 1934 betr. die Abhaltung von Kundgebungen unter freiem Himmel, [6]
  4. Gesetz vom 17. März 1937 betr. den Schutz der Sicherheit des Landes und seiner Bewohner, [7]
  5. Bekanntmachung vom 3. Juli 1938 betr. die Anwendbarkeit des Bundesratsbeschlusses vom 1. Februar 1932 über das Verbot des Tragens fremder Uniformen in der Schweiz, [8]
  6. Bekanntmachung vom 12. November 1938 über die Anwendbarkeit des Bundesratsbeschlusses vom 27. Mai 1938 betr. Massnahmen gegen staatsgefährliches Propagandamaterial, [9]
  7. Verordnung vom 27. Jänner 1939, beinhaltend Massnahmen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, sowie zur Wahrung des Ansehens und der wirtschaftlichen Interessen des Landes. [10]

Diese Verbote und Erlasse boten Handhabe genug, den vorgenannten Umtrieben Halt zu gebieten. Die Folgezeit hat denn auch der Haltung der fürstlichen Regierung vollauf recht gegeben, denn seit Monaten ist weder ein Sprengstoffanschlag erfolgt, noch sind Flugschriften irgendwelcher Art verbreitet worden.

Die Demonstration vom 23. März l.J. wurde vereitelt und ihre Anstifter befinden sich heute noch in Haft bzw. sind in 3 Fällen ausser Landes geflohen. Heute herrscht absolute Ruhe im Lande, von einer nationalsozialistischen Propaganda ist nicht das Geringste mehr zu verspüren und die liechtensteinische Bevölkerung hat einerseits in einer schriftlichen Kundgebung sich zu 95.4 % zur Festhaltung an der Selbständigkeit und Beibehaltung der Staatsverträge mit der Schweiz bekannt, [11] andererseits bei der Erbhuldigung vom 29. Mai l.J. sich zu einer imponierenden Treuekundgebung für ihr Land und Fürsten zusammengefunden. [12]

In diesem Zusammenhange muss darauf verwiesen werden, dass die wenigen in Frage kommenden Propagandisten übereinstimmend vorgeben, dass sie nie einen politischen Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland erstrebten, sondern ausschliesslich [13] eine wirtschaftliche Verbindung im Auge hatten. Die fürstliche Regierung stiess deshalb bei der Prüfung der Frage, ob der Bundesratsbeschluss betr. Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe und zum Schutze der Demokratie vom 5. Dezember 1938 für Liechtenstein übernommen werden sollte, [14] auf die Schwierigkeit, dass die Propaganda für einen Wirtschaftsanschluss nicht unter die Sanktionen des vorerwähnten Beschlusses fallen würde. Sie dachte deshalb sogar daran, auch Angriffe auf die liechtensteinisch-schweizerischen Verträge unter Strafe zu stellen, nahm jedoch davon Abstand, als eine völlige Beruhigung im Lande wieder eingetreten war.

Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass die Massnahmen der liechtensteinischen Behörden voll und ganz ihren Zweck erreichten und heute weder für Liechtenstein, noch für die Schweiz Anlass zu einer Beunruhigung besteht.

In der Frage der Einbürgerung hatten die obgenannten Vertreter der liechtensteinischen Regierung Gelegenheit, die Vertreter der Eidgenössischen Behörden darüber aufzuklären, dass gemäss den Erklärungen des Regierungschefs die Einbürgerungen nach dem Anschlusse Österreichs an das Deutsche Reich für lange Zeit eingestellt waren. Angesichts der finanziellen Lage und Bedürfnisse des Landes für Arbeitsbeschaffung und mangels Beschäftigungsmöglichkeit liechtensteinischer Saisonarbeiter in der Schweiz, sah sich jedoch der Landtag veranlasst, in einzelnen Fällen Gesuchen um Aufnahme in den liechtensteinischen Staatsverband gegen Bezahlung hoher Taxen an das Land und die Gemeinde näher zu treten. Gemäss den Besprechungen, die sowohl in Bern als in Vaduz mit den Vertretern der Eidgenössischen Fremdenpolizei geführt wurden, ist auch in Zukunft für Liechtenstein die Möglichkeit ins Auge gefasst worden, in einzelnen Fällen Neubürger aufzunehmen. Aus diesem Umstande glaubt die fürstliche Regierung zur Annahme berechtigt zu sein, dass die schon mündlich erteilten Aufklärungen die Eidgenössischen Behörden zur Überzeugung gebracht haben, dass die liechtensteinische Einbürgerungspraxis nicht derart ist, dass sie wichtige Interessen der Eidgenossenschaft verletzen würde.

Die fürstliche Regierung hat sich auch mit der Praxis schweizerischen Behörden ohne weiters abgefunden, liechtensteinische Neubürger, die in der Schweiz unerwünscht sind, aus dem Gebiete der Schweizerischen Eidgenossenschaft wegzuweisen oder eine diplomatische Intervention für solche Neubürger abzulehnen. Erwähnt darf aber in diesem Zusammenhange werden, dass die wenigsten Neubürger in Liechtenstein selber wohnen und daher auch einer nationalsozialistischen Propaganda in Liechtenstein keinen Stoff bieten können. Was die Aufenthaltsbewilligungen an Emigranten betrifft, hat die fürstliche Regierung einen ausserordentlich strengen Masstab angewandt und seit der Annexion Österreichs an Deutschland nur noch in den ganz seltensten Fällen eine kurzbefristete Bewilligung erteilt. Sie darf bemerken, dass verschiedene Aufenthaltswerber in Liechtenstein abgewiesen, in der Schweiz aber zugelassen wurden, ein Beweis, dass die fürstliche Regierung in dieser Frage gewiss einen strengen Massstab anwandte. Im übrigen dürften die bevorstehenden Verhandlungen zwischen der Schweiz und Liechtenstein auch in dieser Frage eine beide Teile befriedigende Abklärung finden.

Die fürstliche Regierung gestattet sich daher die Bitte auszusprechen, angesichts der nunmehr geklärten Sachlage vom Reste des Darlehens einen weiteren Betrag von Frs. 500'000.- gütigst flüssig machen zu wollen. [15]

In der angenehmen Erwartung, dass die zuständigen Eidgenössischen Behörden der besonderen Lage des Fürstentums wie immer entgegenkommend Rechnung tragen werden, benützt sie auch diesen Anlass, das Eidgenössische Politische Departement erneut ihrer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

______________

[1] LI LA RF 185/101/075-076.
[2] LI LA RF 185/101/069-070.
[3] CH BAR E 2001 (E), 1969/262, Bd. 15, Az. B.14.21.02.33, Regelung der Beziehungen zum Fürstentum Liechtenstein nach dem Anschluss von Österreich an das Deutsche Reich, 1935–1962, Conférence du 30 mars 1939 au matin und Conférence du 30 mars 1939, après-midi.
[4] LGBl. 1933 Nr. 9.
[5] LGBl. 1934 Nr. 9.
[6] LGBl. 1934 Nr. 15.
[7] LGBl. 1937 Nr. 3.
[8] LGBl. 1938 Nr. 13. Das Datum ist verschrieben, tatsächlich wurde die Bekanntmachung am 3.6.1938 erlassen.
[9] LGBl. 1938 Nr. 20.
[10] LGBl. 1939 Nr. 5.
[11] Zur Unterschriftensammlung der Heimattreuen Vereinigung vgl. L.Vo., Nr. 49, 4.4.1939, S. 1 ("Das Volk Liechtensteins hat gesprochen").
[12] Zur Erbhuldigung vgl. L.Vo., Nr. 62, 31.5.1939, S. 1f. ("Der Tag des Fürsten – ein Jubeltag des Volkes").
[13] Nach "ausschliesslich" ist in LI LA RF 185/101/075-076 eine Zeile abgeschnitten. Die Passage "eine wirtschaftliche [...] fürstliche" wurde ergänzt nach dem Exemplar in CH BAR E 2001 (E), 1969/262, Bd. 20, Az. B.14.21.06, Gewährung von Vorschüssen auf die Zollpauschale an Liechtenstein, 1927–1950.
[14] AS, 1938, Bd. 54, S. 856-858.
[15] Der Bundesrat beschloss am 8.9.1939, den Kredit zu deblockieren (LI LA RF 185/101/079; DDS, Bd. 13, S. 277, Anm. 3).