Kreisschreiben Nr. 241 des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, gez. Johannes Baumann, an die Polizeidirektionen der Kantone [1]
27.9.1939
Herr Regierungsrat,
Wir beehren uns, Ihnen im Nachgang zu unserm Kreisschreiben vom 5. September über die Durchführung des Bundesratsbeschlusses über Einreise und Anmeldung der Ausländer folgendes mitzuteilen:
I. Emigranten
Nach Inkrafttreten der durch den neuen Bundesratsbeschluss vom 5. September 1939 verfügten Anmeldevorschriften scheinen sich Ausländer angemeldet zu haben oder durch Drittpersonen gemeldet worden zu sein, die bisher versteckt im Lande gelebt haben. Es dürfte sich hauptsächlich um Emigranten handeln. Einige von diesen sind von den kantonalen Polizeiorganen wegen schwerer Übertretung der fremdenpolizeilichen Vorschriften pflichtgemäss in ihr Herkunftsland zurückgewiesen worden. Da eine solche Massnahme besonders für die aus Deutschland zu uns geflüchteten Juden unter Umständen sehr hart erscheint, haben die Zurückstellungen in gewissen Kreisen Beunruhigung verursacht. Es ist zwar schon seit dem 18. August 1938 bekannt, dass illegale Einreisen in die Schweiz auch von Emigranten mit Rückweisung geahndet werden müssen. Nach den Judenverfolgungen in Deutschland vom 9. November 1938 ist trotzdem noch eine grössere Zahl solcher Flüchtlinge ohne die nötige Bewilligung eingereist, die von den Kantonen nicht weggewiesen wurden. Auch in den letzten Monaten sind immer noch solche Fälle vorgekommen.
Wir verstehen durchaus, dass es nicht leicht ist, solche Ausländer, denen es gelungen ist, unsere Grenzkontrolle zu umgehen, zurückzuschicken. Angesichts der Lage, in der wir uns heute befinden, bedeuten die Emigranten für uns aber eine sehr grosse Belastung und wir können keine neuen mehr aufnehmen. Auch geht es nicht mehr an, dass Ausländer bei uns geduldet werden, die sich unter Umgehung der Vorschriften den Eintritt in die Schweiz erzwingen. Wir möchten immerhin den Umständen, die diese Ausländer veranlasst haben, aus ihrem bisherigen Wohnstaat zu flüchten, insofern Rechnung tragen, als wir die Kantone nicht veranlassen wollen, alle illegal Eingereisten zurückzubefördern. Doch muss von einem bestimmten Zeitpunkt an endgültig Schluss gemacht werden mit den illegalen Einreisen. Das kann umso eher geschehen, als die Lage der Juden in Deutschland nicht mehr so ungünstig zu sein scheint, wie vorher.
Wir haben deshalb der eidgenössischen Fremdenpolizei für die Behandlung solcher Emigranten folgende Weisung erteilt:
Vor dem 6. September 1939 illegal eingereiste Emigranten, die sich ordnungsgemäss nach der Einreise gemeldet hatten, sollen nicht nach dem Herkunftsland zurückgewiesen werden, wenn sie sich seit ihrer Anwesenheit in der Schweiz nichts haben zuschulden kommen lassen. Wir stehen in enger Fühlung mit dem Hochkommissär für die Flüchtlinge in London und wissen, dass er sich heute bemüht, für die Emigranten in den Transitländern, wie die Schweiz, Belgien und Holland, Auswanderungsmöglichkeiten zu finden, nachdem die geordnete Auswanderung aus Deutschland heute unterbunden zu sein scheint. Wir tun alles, um die legale Weiterreise von Emigranten fördern zu können.
Bei denjenigen, die vor dem 6. September illegal eingereist sind und sich erst nach Inkrafttreten des neuen Bundesratsbeschlusses gemeldet haben, soll im Einzelfall eine Prüfung stattfinden. Wo es sich um verhältnismässig leichte Verstösse gegen die fremdenpolizeilichen Vorschriften handelt, soll von der Rückschaffung Abstand genommen werden. Der Emigrant, der sich seit längerer Zeit den Vorschriften entzogen und vor der Polizei versteckt hat, verdient jedoch keine Nachsicht, ganz besonders auch diejenigen nicht, die ohne Bewilligung erwerbstätig waren, ob sie gemeldet gewesen seien oder nicht.
Wer nach dem Inkrafttreten des Bundesratsbeschlusses vom 5. September 1939, also vom 6. September an, ohne das vorgeschriebene Visum in die Schweiz gekommen ist oder noch kommen sollte, muss unverzüglich zurückgeschafft werden. Das gleiche gilt auch für diejenigen, die bis heute nicht gemeldet sind und aufgegriffen werden, auch wenn sie schon vorher eingereist sind.
Der Bundesratsbeschluss vom 7. April 1933 über die Behandlung der politischen Flüchtlinge besteht noch in Kraft. Wenn sich Emigranten, deren Rückschaffung in Aussicht genommen ist, als politische Flüchtlinge ausgeben und dies den kantonalen Behörden glaubhaft machen können, so ersuchen wir Sie, diese Fälle gemäss dem genannten Bundesratsbeschluss an die Bundesanwaltschaft zu leiten, auch wenn die Anmeldung nicht innert 48 Stunden nach dem Grenzübertritt erfolgt ist. Die Bundesanwaltschaft wird diese Fälle einer strengen Prüfung unterziehen.
Kommt sie zum Schluss, dass es sich wirklich um einen politischen Flüchtling handelt, so soll die eidgenössische Fremdenpolizei von der Rückstellungsverfügung absehen.
Wir empfehlen den Kantonen, ebenfalls nach diesen Richtlinien zu verfahren und der eidgenössischen Fremdenpolizei die daraus sich ergebenden Anträge zu stellen. Seit dem 5. September illegal neu Zugereiste sind von den Kantonen ohne weiteres, also ohne Begrüssung der eidgenössischen Fremdenpolizei, über die Grenze zurückzustellen, wenn nicht der Bundesratsbeschluss vom 7. April 1933 zur Anwendung kommt. Wir bitten Sie jedoch, der eidgenössischen Fremdenpolizei nach erfolgter Ausschaffung von allen Fällen Kenntnis zu geben.
II. Hotelgäste
Der schweizerische Hotelierverein hat der Polizeiabteilung mitgeteilt, dass er von Mitgliedern aus verschiedenen Kantonen Beschwerden erhalten habe über zu schroffe Behandlung von Hotelgästen oder Aufenthaltsverweigerungen an erwünschte Ausländer. Er hat Verständnis für die Notwendigkeit der vom Bundesrat beschlossenen Massnahmen, ersucht jedoch, diese ohne jede Schikane für die einwandfreien ausländischen Gäste anzuwenden. Die Polizeiabteilung hat gemäss beigehefteter Kopie geantwortet.
Wir bitten Sie, Ihren Polizeiorganen und denen der Gemeinden Weisung zu erteilen, bei der Durchführung der neuen Vorschriften für Hotelgäste mit aller tunlichen Rücksichtnahme vorzugehen. Wenn wir auch darauf halten müssen, dass diese Vorschriften überall durchgeführt werden, so sollen sie natürlich nicht Anlass geben, unser Land als fremdenfeindlich in Verruf zu bringen.
Genehmigen Sie, Herr Regierungsrat, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.