Ludwig Marxer wendet sich gegen die Diskriminierung der neu eingebürgerten Liechtensteiner durch die fremdenpolizeiliche Vereinbarung mit der Schweiz


Beschwerde von Rechtsanwalt Ludwig Marxer im Auftrag von Maurice Arnold de Forest, Graf von Bendern, an die liechtensteinische Regierung [1]

31.1.1941, Vaduz

Im Auftrag und in Vertretung meines Klienten, des Herrn Grafen von Bendern, beehre ich mich Ihnen Nachstehendes mitzuteilen:

Herr Graf von Bendern hat von der letzte Woche abgeschlossenen Vereinbarung zwischen Liechtenstein und der Schweiz über die Regelung der fremdenpolizeilichen Beziehungen [2] Kenntnis erhalten.

Aus dem Text dieser Vereinbarung und aus der Verlautbarung des Textes in der Liechtensteiner und Schweizer Presse ergibt sich, dass die zwischen Liechtenstein und der Schweiz abgeschlossene Vereinbarung zwei verschiedene Klassen liechtensteinischer Bürger festlegt. Der Unterschied der beiden Klassen wird aus dem Bürgerrecht selbst abgeleitet und in bezug auf das Bürgerrecht selbst gemacht. Als Unterscheidungsmerkmal der beiden nicht gleichberechtigten Klassen liechtensteinischer Bürger ist festgehalten der Zeitpunkt der Erwerbung des Bürgerrechtes, wobei die Minderberechtigung der einen Klasse von Bürgern noch dadurch wesentlich unterstrichen wird, dass diese die Berechtigung aus dem Vertrage auch dann nicht erhalten, wenn sie sogar als liechtensteinische Bürger die letzten 5 Jahre im Lande gewohnt haben.

Nach der liechtensteinschen Verfassung sind nun aber alle liechtensteiner Bürger vor dem Gesetze gleich und vom Staate selbst auch gleich zu behandeln, die liechtensteinische Verfassung und Gesetzgebung darf infolgedessen nicht Bürger verschiedenen Rechtes unterscheiden.

Eine logisch rechtliche Konsequenz aus dieser fundamentalen Tatsache ist, dass auch der liechtensteinische Staat selbst gegenüber anderen Staaten keine Unterscheidung in der Qualifikation und Berechtigung seiner Bürger machen darf und soll. Er darf eine Klasse von Bürgern von einem dritten Staate nicht rechtlich schlechter behandeln lassen und kann insbesonders nicht zugeben, dass die betroffenen Eingebürgerten in ihrem eigenen Heimatstaat als Bürger minderen Rechtes klassifiziert und von Rechtes wegen behandelt werden.

Liechtenstein darf aber auch in Verfolg der Verfassungsbestimmung, dass alle Bürger vor dem Gesetze gleich sind, im Völkerrecht unter keinen Umständen zu Lasten einer Bürgergruppe den Standpunkt eines dritten Staates anerkennen, dass die nach dem Gesetze in Liechtenstein gültig Eingebürgerten nur Bürger minderen Rechtes sind und als solche behandelt werden.

Ganz abgesehen davon, dass die Eingebürgerten durch die Tatsache der Einbürgerung an und für sich ja schon als in jeder Beziehung einwandfrei befunden worden sind und ausserdem erhebliche Taxen bezahlt haben, bleibt die rechtlich massgebliche Tatsache, dass auch die Eingebürgerten mit allen Rechten und Pflichten eines liechtensteinischen Staatsbürgers, die zudem durch die Verfassung gewährleistet werden, in den liechtensteinischen Staatsverband aufgenommen worden sind.

Dadurch, dass die liechtensteinische Regierung selbst der Schweiz gegenüber durch Abschluss dieses Übereinkommens die Unterscheidung zweier Klassen von Bürgern anerkannt hat, also völkerrechtlich festgelegt, und diese Unterscheidung in einer Vereinbarung mit der Schweiz zulässt, kann die Schweiz in Zukunft wohl mit Recht diese Unterscheidung in allen Belangen die die betroffene Gruppe von Bürgern angeht, anwenden.

Die nunmehr in einem zwischenstaatlichen Vertrag erstmals anerkannte Unterscheidung wird zu einem unglückseligen Zustand führen, der für einzelne Bürger geradezu katastrophale Folgen haben kann, die heute in ihrer Grösse noch gar nicht zu übersehen sind, die aber keineswegs im Interesse des Landes Liechtenstein liegen und die von ihm in jedem Falle verhütet werden müssen.

Auch nur die Möglichkeit, dass aus der zwischenstaatlichen Anerkennung zweier Klassen von liechtensteinischen Bürgern Folgerungen gezogen werden können, muss ausgeschlossen werden, denn wenn Liechtenstein diese Unterscheidung in einem zwischenstaatlichen Vertrag selbst macht, werden auch alle anderen Staaten zu Ungunsten der betroffenen Gruppe von liechtensteiner Bürgern von dieser rechtlich ausserordentlich bedeutungsvollen Unterscheidung in Zukunft nur zu gerne Gebrauch machen.

Es wird sich unter anderen Misständen folgendes ergeben:

Die Schweiz wird bei der diplomatischen Vertretung der Interessen der betroffenen Gruppe von Bürgern naturgemäss nicht denselben Masstab anlegen und dieselbe Sorgfalt aufwenden, wie bei der diplomatischen Vertretung der anderen liechtensteiner Bürger. Das bedeutet gerade für die Gruppe der betroffenen Bürger, die sich im Auslande aufhalten (z.B. Amerika) oder dort ihre Interessen haben, enorme Nachteile.

Drittstaaten des Auslandes werden bezüglich der Beurteilung der Rechtsverhältnisse der betroffenen Bürger in erster Linie auf die Schweiz als unserem Schutzstaat schauen, darauf, wie diese die betroffene Klasse von liechtensteinischen Bürgern behandelt. Wenn nun festgestellt werden muss, dass diese minderberechtigte Klasse von Bürgern in der Schweiz, wie sich aus der Vereinbarung ergibt, nicht voll anerkannt wird und dass diese Nichtanerkennung vom Heimatstaat durch Abschluss einer Vereinbarung gutgeheissen wird, so wird das Ausland bei der Beurteilung der Rechtsverhältnisse liechtensteinischer Eingebürgerter diese Tatsache sich weitestgehend zunutze machen.

Das Ausland, in dem liechtensteinische Eingebürgerte wohnen oder Vermögen haben (z.B. Amerika), wird zu gern die Unterscheidung übernehmen und als Liechtensteiner vollen Rechtes nur die eine Gruppe anerkennen, hingegen nicht die andere, mit dem berechtigten Hinweis darauf, dass diese Unterscheidung auch von der Schweiz gemacht und von Liechtenstein selbst anerkannt wird.

Abgesehen von diesem rechtlich unhaltbaren Zustand kritisiert die Schweiz durch ihre Stellungnahme noch im nachhinein die Handlungen der Regierung und der einbürgernden Behörden überhaupt.

Das Land Liechtenstein muss ja ohnedies, wie der fürstlichen Regierung bekannt ist, im Ausland einen harten Kampf darum führen, dass bezüglich der Rechtsverhältnisse der in Liechtenstein Eingebürgerten die liechtensteinische Staatsbürgerschaft einwandfrei anerkannt wird und damit die Neutralität von Person und Vermögen der betreffenden Bürger.

Das hier kritisierte, mit der Schweiz geschlossene Übereinkommen gibt nun den Staaten, die geneigt sind, eine für die in Liechtenstein Eingebürgerten ungünstige Rechtsauffassung zu vertreten, stichhaltiges Material zum Nachweis der Berechtigung ihres Standpunktes in die Hand.

Liechtenstein selbst hält in dem Abkommen den Grundsatz der Verfassung, dass alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind und infolgedessen dritten Staaten gegenüber gleiche Rechte haben müssen, nicht aufrecht und die Schweiz anerkennt die von Liechtenstein nach dem Gesetz gültig Eingebürgerten nicht als Bürger vollen Rechtes.

Völkerrechtlich gesehen ist dadurch für die Eingebürgerten ein unhaltbarer Rechtszustand verankert worden.

Es besteht die dringende Gefahr, dass durch diese Tatsache eine Reihe von in Liechtenstein Eingebürgerten unabsehbare Schädigungen erleiden werden, die die fürstliche Regierung wohl nicht gewollt hat und nicht will, aber unter den obwaltenden Umständen wird nicht mehr verhüten können, falls der gegenwärtige Rechtszustand bezüglich der Rechtsverhältnisse dieser betroffenen Gruppe von Bürgern aufrecht erhalten bleibt.

Da nun die fürstliche Regierung aber die Interessen auch dieser Gruppe von Bürgern zweifellos schützen will und vor allem auf Grund der ihnen zustehende Rechte, die sie aus der Verfassung ableiten, zu schützen verpflichtet ist, müssen Mittel und Wege gefunden werden, dieses Wollen und diese Rechtspflicht des Staates auch wirksam in die Tat umzusetzen.

Ich darf diesem Schreiben hinzufügen, dass mein Klient bei Kenntnisnahme der Vereinbarung geradezu erschüttert war, da er der Ansicht ist, dass er und die in ähnlichen Verhältnissen lebenden anständigen liechtensteinischen Eingebürgerten, diese Behandlungsweise durch den Staat nicht verdient haben, abgesehen davon, dass der Staat hiezu nicht berechtigt ist.-

Mein Klient protestiert infolgedessen gegen das abgeschlossene Abkommen in aller Form, möchte aber, dass es nicht bei diesem papierenen Protest bleibt, sondern, damit er und sich in ähnlicher Lage befindliche Bürger nicht unübersehbaren Schaden erleiden, sollte sofort durch Abschluss eines Zusatzabkommens oder Änderung dieses Abkommens, die Rechtslage der betroffenen Bürger klargestellt werden und die unhaltbare Unterscheidung, die meinem Klienten Schaden zufügen könnte, in geeigneter Form aufgehoben bezw. abgeändert werden.

Mit vorzüglicher Hochachtung

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[1] LI LA RF 199/416/003/020. Auf der letzten Seite des Dokuments die Paraphe von Regierungschefstellvertreter Alois Vogt sowie ein handschriftlicher Vermerk von Regierungschef Josef Hoop vom 3.3.1941: "zR [zu Rat] gezogen".  
[2] LGBl. 1941 Nr. 4.