Bundesrat Petitpierre informiert Liechtenstein über Schwierigkeiten bei der Erfassung der deutschen Vermögenswerte in Liechtenstein


Schreiben von Bundesrat Max Petitpierrean Prinz Heinrich, liechtensteinischer Geschäftsträger in Bern [1]

7.2.1946

Herr Geschäftsträger,

Euer Durchlaucht hatten die Gefälligkeit, mir mit Schreiben vom 16. v. M. im Auftrag Seiner Durchlaucht des Regierenden Fürsten [Franz Josef II.] und der Fürstlich Liechtensteinischen Regierung bekanntzugeben, dass die liechtensteinischen Behörden dem Bundesrat vorschlagen möchten, zur Vermeidung von Verdächtigungen seitens der Kriegsgegner Deutschlands die Kontrollmassnahmen zur Feststellung der deutschen Vermögenswerte im Besitze von Liechtensteinern oder in Liechtenstein wohnhaften Personen zu überprüfen und vielleicht die Untersuchungspraxis noch zu verschärfen. [2]

Nach Empfang dieser Zuschrift habe ich mir von den Stellen, welche sich mit der praktischen Durchführung der deutsche Vermögenswerte in der Schweiz betreffenden Sperr- und Anmeldevorschriften befassen, Auskunft geben lassen und folgenden Bericht erhalten:

Nach den geltenden Bundesratsbeschlüssen erstreckt sich sowohl die Sperre der deutschen Vermögenswerte als auch die Meldepflicht in gleicher Weise auf das schweizerische wie auf das liechtensteinische Gebiet. Um die Untersuchungsmethoden der Schweizerischen Verrechnungsstelle in Zürich, die mit der Durchführung der erwähnten Beschlüsse beauftragt ist, mit den spezifischen Erfordernissen der liechtensteinischen Gesetzgebung und Verwaltungspraxis in Einklang zu bringen, hat im Sommer 1945 eine Besprechung zwischen dem Direktorium der Schweizerischen Verrechnungsstelle und den Herren Dr. [Alois] Vogt, damals stellvertretenden Regierungschef, und [Alexander] Frick, damals Steuerkommissär, stattgefunden, an der auch das Politische Department vertreten war. [3] Damals wurde vereinbart, dass bestimmte ihr namentlich anzugebende Beamte der Verrechnungsstelle zu der Vornahme von Erhebungen im Gebiete des Fürstentums von der Fürstlichen Regierung ermächtigt werden sollten. Diese Beamten sollten jedoch auf Grund eines später formulierten Textes der Regierung zur Abgabe eines Verschwiegenheitsversprechens veranlasst werden, worin sie insbesondere zu erklären hätten, dass sie nur "positive Ergebnisse" ihrer Untersuchungen im Gebiete des Fürstentums und solche, die einer näheren Abklärung bedürfen, ihren zuständigen Behörden melden würden. Über alle negativen Ergebnisse ihrer Erhebungen in Liechtenstein, also über Feststellungen, dürfe weder der zuständigen Behörde, also der Schweizerischen Verrechnungsstelle, noch auch andern Personen oder Behörden weder schriftlich noch mündlich Meldung erstattet werden. Eine Kopie des "Protokolls", wie es am 20. September v. J. von einem zu Untersuchungen im Fürstentum Liechtenstein eingetroffenen Beamten unterschrieben werden musste, liegt bei. Ausserdem finden Sie in der Beilage die Abschrift des von der Verrechnungsstelle am 15. September v. J. der Fürstlichen Regierung bekanntgegebenen Vorschlags zu einer "Verschwiegenheitserklärung". [4]

Es hat sich gezeigt, dass durch diese Einschränkung auf Meldung ausschliesslich der positiven Untersuchungsergebnisse Erschwerungen für die Untersuchungen der Verrechnungsstelle entstanden. Die schweizerischen Behörden würden es deshalb zur Erreichung einer einwandfreien Durchführung der Bestimmungen vorziehen, wenn die Fürstliche Regierung sich mit der in einem Schreiben der Verrechnungsstelle vom 25. September 1945 abgegebenen Zusicherung begnügte, wonach der Inhalt der von den Beamten erstatteten Berichte ausschliesslich den gemäss den Bundesratbeschlüssen in Betracht kommenden Instanzen, keineswegs aber den fiskalischen Behörden, gemeldet werden soll. Für Feststellungen auf anderen Gebieten als denjenigen von Sperre und Meldepflicht, die bei Gelegenheit der Untersuchungen gemacht werden, haben die Beamten weder der Verrechnungsstelle noch andern Personen oder Behörden Meldung zu erstatten.

Ein weiterer Diskussionsgegenstand, der bisher nicht im Sinne einer Erleichterung der Aufgaben der Verrechnungsstelle geregelt werden konnte, bildet die Frage der Erhebung von Akten auf dem Gebiete des Fürstentums und deren Verbringung an den Sitz der Schweizerischen Verrechnungsstelle zum Zwecke der weitern Verarbeitung durch deren Organe. Bei Anlass einer einzelnen Untersuchung ist von Seiten der Liechtensteinischen Regierung die Ansicht geäussert worden, dass die prozessualen Bestimmungen des Landes es nicht erlaubten, dass Akten nach Zürich verbracht werden. Das liechtensteinische Verwaltungspflegegesetz verweise für die Durchführung einer Aktenbeschlagnahme auf die Bestimmungen der Strafprozessordnung. Nach dieser dürfen Akten jedoch nur in der Weise erhoben werden, dass sie vor dem Beschuldigten versiegelt und gerichtlich deponiert und erst wieder eröffnet werden, nachdem der Beschuldigte zur Akteneröffnung vorgeladen worden ist. Dieses Verfahren bedeutet eine erhebliche Erschwerung der Arbeit der Schweizerischen Verrechnungsstelle.

Die schweizerischen Behörden sind sich der politischen Notwendigkeit einer möglichst vollständigen Erfassung der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz bewusst, und sie werden alles daran setzen, die bezüglichen schweizerischen Erlasse durch entsprechende Anwendung in der Praxis möglichst wirksam zu gestalten. Sie sind bereit, diese Vorkehrungen in gleicher Weise, wie das in der Schweiz geschieht, auch im Fürstentum Liechtenstein zu treffen, wobei sich aber, wie sich aus dem oben wiedergegebenen Bericht ergibt, gewisse technische Schwierigkeiten gezeigt haben. Ich glaube meinerseits, dass die Fürstliche Regierung, um allfälligen kritischen Einwendungen begegnen zu können, tunlichst dazu beitragen sollte, die Schwierigkeiten in den zur Sprache gebrachten beiden Punkten (zu enge Abgrenzung der Geheimhaltungspflicht der Untersuchungsorgane und Ausschliessung der Aktenübermittlung in der Schweiz) sowie in bezug auf weitere aus der Praxis später möglicherweise noch entstehende Differenzen zu beseitigen. [5]

Ich bitte Sie, Herr Geschäftsträger, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung zu genehmigen.

 

 

San des Dokuments:

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[1] LI LA V 143/0253 (c). Eingangsstempel der Gesandtschaft: 8.II., a.a. [ad acta], Nr. 189. Handschriftliche Betreffangabe: "Deutschland". Ein weiteres Exemplar in LI LA RF 231/052/l/II.
[2] LI LA V 143/253 (a), Prinz Heinrich an Petitpierre, 16.1.1946.
[3] Zu den Verhandlungen über die Durchführung der Sperre deutscher Vermögenswerte in Liechtenstein vom Sommer 1945 vgl. LI LA RF 231/052k.
[4] Die Beilagen werden nicht abgedruckt. Zu den Verhandlungen über das Verschwiegensheitsversprechen vgl. LI LA RF 231/052c.
[5] In diesen Fragen wurde nach einer Besprechung vom 7.3.1946 eine Einigung erzielt (LI LA V 143/0253).