In einem Zeitungsartikel werden die ungenügenden Lehrmethoden und das Nichteinhalten des Lehrplans beklagt sowie eine stärkere praktische Ausrichtung des Unterrichts sowie vermehrte Staatsbürgerkunde verlangt


Zeitungsartikel, nicht gez. [1]

6.8.1924

Praktische Arbeit für die Schule.

(Eingesandt.)

Oftmals hört man darüber klagen, dass unsere Jungen in der heutigen Schule weniger lernen als man früher in der Schule gelernt habe. Die Kinder haben schlechte Handschriften, können nicht gut rechnen. Der Kopf wird ihnen mit zuviel aus der Sprachlehre usw. vollgestopft, wird geklagt, und dabei vorwurfsvoll hervorgehoben, dass die heutige Schule leider nicht auf der Höhe der Zeit sei.

Inwieweit diese allgemein hingeworfenen Klagen eine allgemeine Berechtigung haben, lässt sich kurzerhand schwer beurteilen. Etwas Berechtigung haben die Klagen. Durchschaut man den heutigen Lehrplan der liechtensteinischen Schulen, so findet man recht schöne Fächertitel und man wäre geneigt anzunehmen, es werde alles in reichlichem Masse geboten, was die schönen Titel besagen. Wer praktisch die Schule mitgemacht hat, weiss im Leben draussen oder wenn er mit Leuten, die Volksschulen in andern Ländern besucht haben, [redet] bald, dass noch manches in der Volksschule gelehrt werden könnte, was nicht geboten wird. Anderes wieder könnte in anderer Form geboten werden.

Wenn nachfolgend einige Punkte angeschnitten werden, so geschieht es niemand zu leide und einzig und allein der Sache zuliebe und mit jener Offenheit, die von einem, der öffentlich schreibt, verlangt wird.

Die Volksschule soll nach meiner Auffassung den Grundstock legen, so zwar, dass er für das praktische Leben taugt. Ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Schüler kann sich weiterem Studium, sei es auch nur in der Realschule, widmen; die meisten sollen von der Schule weg ins praktische Leben hinaustreten. Im Rechnen, Aufsatzschreiben und dergleichen sollte in erster Linie und vor allem hierauf Gewicht gelegt werden. In den oberen Klassen sollten Knaben und Mädchen mit Praktischem hauptsächlich sich abgeben müssen. Es sollte an Beispielen aus der Praxis für das kommende Leben vorgearbeitet werden. Wie vielmal erlebt man es, dass sie nicht einmal eine Korrespondenzkarte oder sonst einen simplen Brief kurz und bündig schreiben können.

Der heutige Unterricht, wie er vielfach gegeben wird, bildet weniger den Verstand. Wie oft ist es nur eine gedankenlose Auswendiglernerei. In einer Schule soll es vorgekommen sein, dass die Schüler zuerst aus der biblischen Geschichte in der Schule lasen. Als Hausarbeit wurde ihnen das Auswendiglernen der gelesenen Geschichte aufgetragen. Am nächsten Tage mussten die Kinder wieder die auswendig gelernte Geschichte in der Schule niederschreiben. Trotz Lehrplan soll das fast ausschliessliche Fache die biblische Geschichte sein. Über ähnliche Missstände in andern Fächern ist schon mehrfach, auch schon in der Öffentlichkeit geklagt worden. Auf diese Art und Weise wird es — wenn auch ohne Absicht — soweit gebracht, dass schon den jungen Leuten die Freude an manchen, einen Lebenshalt bietenden Sachen gründlich verdorben wird. Hernach klagt man über die schlechte Welt, ohne zu bedenken, wer den Grundstein zu einer gründlichen Gleichgültigkeit gelegt hat. Der Landesschulrat sollte in dieser Beziehung ein wachsames Auge halten und als oberste Schulbehörde unnachsichtlich verlangen, dass dem Lehrplan nachgelebt wird.

Im Landtag ist seinerzeit ein Antrag angenommen und die Regierung beauftragt worden, dass in der Schule in den obern Klassen mehr aufs Praktische gehender Unterricht geboten werde. Ausserdem heisst es in jenem Antrage, soll mit den Schülern staatsbürgerlicher Unterricht getrieben werden. Seither ist von jenem sehr berechtigten und zeitgemässen Antrage nichts mehr vernommen worden. Es ist anzunehmen, dass der Antrag nicht in irgend einem Aktenbündel begraben worden ist. Die Frage ist erlaubt, was mit jenem Antrage geschehen und in welchem Masse unsere Unterrichtsbehörden gewillt sind, jenem Auftrage des Landtages nachzukommen? Da verlangt man z. B. von jedem, dass er ein guter Bürger sei, aber davon, was die Verfassung und Gesetze sagen, wird dem jungen Bürger herzlich wenig beigebracht. Woher sollen es die Leute nehmen? Etwa daraus, dass sie später mit einer Polizeibusse beehrt werden. Jenes schulbehördliche „unnachsichtlich" sollte seitens der Behörden und Lehrpersonen gleichfalls für den Unterricht angewendet werden. —

Neuestens hat die Wirtschaftskammer die Aufgabe einer Berufsberatungsstelle. Wie sehr sollten Schule und Kammer zusammenarbeiten. Einer der grössten Übelstände ist es, dass viel zu wenig junge Leute einen Beruf lernen. Als berufslose, aber auf den Verdienst angewiesene Menschen werden sie später gleich einem Spielball je nach dem Stande des Arbeitsmarktes hin- und hergeworfen. In der Schule sollten die Leute immer und immer wieder auf die Notwendigkeit der Erlernung eines Berufes aufmerksam gemacht werden. Die Lehrpersonen ihrerseits sollten in Verbindung mit der Kammer zielbewusst zusammenarbeiten. Die heutige Zeit braucht praktische Handwerker, viel mehr als gelehrtes und halb gelehrtes Hungervolk. Früher hatte unser Land viel Maurer, heute sind ihrer viel weniger, manche Gemeinden haben fast keine mehr. Und doch braucht man heute Maurer wie früher. Der Junge soll ein tüchtiger Maurer werden, der auch eine Zeichnung versteht. So gäbe es noch viele Beispiele.

Eine Hauptforderung ist: mehr praktischer Unterricht und bringt den Jungen bei, dass sie einen Beruf lernen!

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[1] O.N. 6.8.1924, S. 1 f.