"Die Landeszeitung" kritisiert, dass sich das von Ausländern beherrschte Briefmarkenkonsortium nicht an die philatelistischen Regeln halte, die Liechtensteiner benachteilige und das Briefmarkengeschäft kaputt mache


Nicht gezeichneter Artikel in „Die Landeszeitung[1]

5.9.1920

Über die Liechtensteiner Marken

Nachdem die neuen liechtensteinischen Marken nun erschienen sind und auch bereits im Auslande bekannt wurden, kann man dieselben vom philatelistischen Standpunkte aus beurteilen.

In Bezug auf künstlerische Ausführung machen sie ebensogut ihrem Verfasser, Herrn Prof. [Luigi] Kasimir, als auch dem Lande und der gesamten Philatelie die grösste Ehre, was trotz der Tatsache, dass eine eigentliche wirklich künstlerische Ausführung für die Sammlerwelt nichts Wesentliches und daher vom geschäftlichen Standpunkte des Markenverkaufs nicht unumgänglich nötig ist, hier doch rühmend hervorgehoben werden soll. Die deutschen Reichsbriefmarken sind beispielsweise nichts weniger als künstlerisch ausgeführt, weshalb aber dieselben natürlich noch lange kein Sammler in seinem Album vermissen möchte.

Es freut uns festzustellen, dass auch Liechtensteiner durchaus sehr gut passende Entwürfe vorzulegen in der Lage gewesen wären.

Von der Verteilung oder Abgabe der Liechtenstein-Marken, die ebenso im Auslande, wie im Inlande scharf kritisiert wird, können wir, wenn überhaupt von einer Abgabe im Sinne, wie sie von aller Welt verstanden wird, die Rede sein kann, kaum entzückt sein. Verstösst es bei uns nicht schon etwas (vielleicht nach unserer Ansicht auch gegen alle Regeln und Gesetze der Philatelie), dass der kaufmännische Vertreib der Liechtenstein-Briefmarken von einem teilweise aus Ausländern bestehenden Konsortium besorgt wird, was man noch gütigst und nachsichtig übersehen würde, wenn wenigstens dieses Konsortium darnach trachtete, vor allem die inländischen Interessen zu berücksichtigen. Nachweisbar sind von unsern neuen Marken schon lange Zeit vorher solche im Auslande gehandelt worden, ehe davon solche Liechtenstein sahen. Im Lande kann man auch heute noch immer nicht hievon grössere Quantitäten erhalten – man gehe nach der Schweiz, nach Wien, Berlin (eigentlich ist in Deutschland Einfuhrverbot), Paris und wird staunen, dort Marken in Mengen zu finden. Ein erstes Briefmarkenhaus von Deutschland schreibt: Sie müssen in Liechtenstein doch Marken bekommen können, da sie in Berlin doch überall zu haben sind! Und was soll man darauf antworten? Grössere Häuser äussern sich: „Wir kaufen und führen nur Marken, die auch in dem Staate zu erhalten sind, welcher selbe verausgabt, andernfalls verzichten wir auf diese Ausgabe.“ Das Misstrauen beginnt im Auslande unserer Marke gegenüber Fuss zu fassen; warten wir noch einige Zeit, dann ist es zu spät! Jeder Philatelist wird zugeben müssen, dass, sofern nicht in allernächster Zeit eine Änderung im Verschleiss der Liechtensteinmarken getroffen wird, Liechtenstein als philatelistisches Land sich selbst tötet, nach einem gewissen Zeitpunkte kein Sammler mehr Liechtensteinmarken kaufen wird und unsere Marke einzig nur noch zu postalischen Zwecken Verwendung finden kann. Man darf ja nicht übersehen, dass die Philatelie sehr empfindlich ist. Dass Briefmarken fast jedem Staate nicht unbedeutende Summen abwerfen, ist bewiesen und könnte sich auch bei unsern Marken beweisen und verwirklichen. Warum wird Liechtenstein schon heute als „Seebeck-Staat“ [2] in einigen ausländischen Fachblättern bezeichnet?

Wir bringen nachstehend nur drei philatelistischen Zeitungen entnommene Artikel zur Illustration; weitere finden sich in diesem Sinne in deutschen, holländischen, norwegischen und anderen Blättern.

Die „Donaupost“ (Bratislava, Böhmen) schreibt u.a. in Nr. 5 von 1920: „Wir geben gerne zu, dass Liechtenstein finanziell besser dasteht als wir alle. Auch über seine Grösse wagen wir seit der wundervollen Neugestaltung der Donaumonarchie keine Witze mehr zu machen. Dennoch bangt uns vor Liechtenstein, schon haben wir von dem famosen Konsortium gehört und wir ahnen, dass wenn auch nicht das Land selbst, so doch gewissen Leute an der Quelle, ein gutes Markengeschäft nicht verabscheuen.“

Die „Brünner Briefmarkenzeitung“ (Brünn) hat unter der „philatelistischen Rundschau“ in Nr. 1 von 1920 nachstehende Notiz: „Zum Schlusse möchten wir einige Wort über den neuesten Seebeck-Staat – das Fürstentum Liechtenstein – verlieren. Unsere heutige Neuheitenmeldung erwähnt nur vier Überdruckwerte, die uns vorliegen. Doch soll es im ganzen sechs Werte geben, die nur in einer Auflage von 30‘000 Stück von jedem Wert erschienen sind und von Schweizern aufgekauft wurden. Der Preis eines kompletten Satzes schwankt zwischen 200 und 600 Kr. Die neue endgültige Ausgabe umfasst natürlich alle hohen Werte und der Nennwert einer kompletten Serie soll gegen 27 Kr. betragen. Möchten nicht auch diese Serie die Schweizer aufkaufen? Wir würden gern auf diese „Marken“ verzichten.“

„Der Philatelist“ (Dresden) schreibt in Nr. 3 von 1920: „Liechtenstein. Eine Vereinigung von Wiener Geldgebern hat der Regierung des Fürstentums Liechtenstein das Angebot gemacht, den Markenvertrieb des Fürstentums in ihre Verwaltung zu nehmen. Sie sichert der liechtensteinischen Regierung einen Mindestertrag von 400‘000 Kronen zu. Die Regierung des Fürstentums hat das Angebot unter der Bedingung angenommen, dass das Erträgnis für sie auf 500'000 Kronen [3] erhöht werde. So ist denn anzunehmen, dass dieses Land, das bisher mit noch nicht einem Dutzend Marken im Sammelbuch vertreten war, demnächst die philatelistische Welt mit langen Reihen von Überdruckmarken, Neuausgaben (mindestens bis zu Kr. 10.-)- Dienst-, Eil-, Paketmarken, ungezähnten und gezähnten Ausgaben und was sonst immer aus Markenausgaben sich herausholen lässt, überschwemmen wird.“

Und in diesem Sinne geht es fort und wird Liechtenstein als Seebeck-Staat (ein Staat, dessen Marken kein Sammler in seinem Album führt) bezeichnet. Gerade währen dies geschrieben wird, treffen Zeitschriften aus aller Herren Länder mit weiteren Artikeln ein.

Ist das Misstrauen noch nicht gross genug? Soll es Wahrheit werden? Und uns diese Einnahmsquelle verstopft und das Land philatelistisch zugrunde gerichtet werden?

Eine wesentliche Frage wäre vor allem zu wissen, ob ein ausländisches Konsortium zum Vertrieb unserer Marken überhaupt notwendig ist; hätte es nicht auch in Liechtenstein Leute gegeben, die vielleicht gerne ihre einst guten - heute aber nichtswertigen Kronen auf diese Weise verbessert hätten. Oder man hätte sich nach den in der ganzen Welt bestehenden Regeln gerichtet und die Herstellung oder zumindest den Verkauf vom Lande aus besorgt, wie diese Ansicht seinerzeit auch im Landtage lange Zeit richtig verfochten wurde. Hiezu hätte irgend ein Zimmer in Vaduz genügt mit der Benennung: „Verschleissstelle der Liechtensteiner Marken in Vaduz“ und ein Beamter hätte jeden Tag die massenhaften Bestellungen der ganzen Welt vor den Augen der Liechtensteiner befriedigt. Bei dieser einfachen Einrichtung wäre die ganze Welt samt der inländischen Bevölkerung zufrieden gewesen. Die Ausländer hätten die Möglichkeit gehabt, ihre Liechtensteiner Marken richtig in Liechtenstein (also philatelistisch richtig und keinerlei Misstrauen erregend) zu bekommen; die Ausländer hätten sich ferner nicht umsonst nach Liechtenstein schriftlich oder persönlich bemüht in der Hoffnung, in Liechtenstein Landesmarken kaufen zu können. Werden die, die leer abziehen mussten, wohl nicht die Erfahrung mitnehmen, nunmehr auch anderswo nicht zu kaufen? Wieviele Enttäuschte aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hat es in der letzten Zeit gegeben, die am Postschalter hören mussten: „Ich bedauere, ich kann Ihnen keine Liechtensteiner Marken zu philatelistischen Zwecken geben, wenden sie sich nach Wien an das Konsortium!“

Durch die Einrichtung einer eigenen Zentrale in Vaduz hätte sich das Land ferner die 10 % Provision erspart, die das Konsortium erhält. Und man behaupte nicht, dass man ein Konsortium etwa zwecks Reklame brauche. Das Umgekehrte ist der Fall. Ein Philatelist lacht über die Behauptung, denn eine Briefmarke ist doch nicht mit Schokolade oder Hustenpastillen zu vergleichen, schon deswegen, weil die Briefmarke keine Konkurrenz in der Welt hat (Monopol) und ohne Reklame ebensogut in Japan als auf der Insel Fidij [sic!] verlangt und gekauft wird, vorausgesetzt, dass es dort Sammler gibt. Also im Gegenteil: Reklame schadet einer Marke, verdächtigt sie und richtet sie unter Umständen zu Grunde, trotz aller künstlerischen Ausführung. Wort belehren, Beispiele ziehen an. Ja, und wir haben das beste Beispiel eben mit diesen Reklamemarken, wie beispielsweise T-Überdrucke (Brünn) und verschiedene Überdrucke auf ungarischen „Reklamemarken“ erlebt, die heutzutage kein Sammler mehr kauft. Begraben sind sie und als Inschrift auf ihre Urne könnte man schreiben: „Durch Reklame getötet.“ Wer spürte nicht, welche gefahrvolle Wege betreten worden sind. Gerade jetzt, am Anfang, muss das Land die Sache in der Hand haben. Dieses ist vor allem unendlich wichtig und darum muss gerade hierauf der ganze Schwerpunkt gelegt werden. Vor kurzer Zeit fanden wir in einem hiesigen Blatt in einem zutreffenden Artikel eine kurzgefasste, aber wasserklare, richtige und logische Darstellung eines sehr mangelhaften Kapitels des Markenwesens in Liechtenstein. Wir hegen den bescheidenen Wunsch, dass künftighin die Verteilung der Marken mit dem Inlande beginnt und erst dann ausländische Bedürfnisse befriedigt werden. Mit einem Wort, dass man sich auch in Liechtenstein nach den Sitten und Gebräuchen der ganzen Welt richtet. Dem Normalen soll also das Wort gelten, einer Handhabung, wie sie in allen oder sicher in den allermeisten Staaten der ganzen Welt besteht. Ein Konsortium dagegen ist das Abnormale, was also auch für den Laien einen Fingerzeig darstellt. Wo kann man sonst auf dem ganzen Erdboden ein zweites Land finden, wo man zuerst das Ausland und dann erst das Inland mit Marken versieht.

Als ein Angestellter einst einem Kaufmanne mit grosser Welterfahrung vorschlug, von ehrlichen Leuten künftighin einfachshalber keine Quittung mehr zu verlangen, sagte dieser: „Wer es ehrlich meint, scheut sich nicht, seine Unterschrift zu geben und wer es unehrlich meinen sollte, von dem müssen wir sie eben haben.“

Und zum Schlusse noch ein Wunsch, ein starker Wunsch: Können die Liechtensteiner Marken nicht im eigenen Lande gedruckt, abgestempelt und verkauf werden! Muss es denn unbedingt sein, dass sogenannte „Liechtensteiner“ Marken in Österreich geboren, verkauft und versandt werden? Also dass sie nicht einmal in ihrem „sogenannten“ Herkunftslande gewesen sind. Kein Wunder denn, wenn ein ausländischer Philatelist schreibt: Bitte übersenden Sie mir nur Liechtenstein-Marken, bei denen Sie mir garantieren können, dass selbe in Liechtenstein waren.

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[1] „Die Landeszeitung“, Probenummer September 1920, S. 1 f.
[2] Nicholas Frederick Seebeck schloss 1889 mit Ecuador, El Salvador, Honduras und Nicaragua Verträge ab, in denen er sich verpflichtete, für diese Staaten jährlich Briefmarken auf eigene Kosten zu produzieren und die für postalische Zwecke notwendigen Mengen zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug erhielt er das Exklusivrecht, Rest- und Übermengen bei Sammlern zu vermarkten. Neben Briefmarken wurden für philatelistische Zwecke auch Ganzsachen (Postkarten, Briefumschläge) und durch Aufdrucke Dienst- und Telegrafenmarken hergestellt. Die Verträge hatten eine Laufzeit von 10 Jahren. Die Seebeck-Ausgaben kamen bei den Sammlern bald in Verruf, worauf Ecuador und Honduras die Verträge kündigten.
[3] Das Konsortium erhöhte in der Landtagssitzung vom 11.11.1919 sein Angebot von 400'000 auf 600'000 Kr jährliche Mindesteinnahmen.