Elias Wille schildert seine Auswanderung nach Amerika im Jahr 1906 (3. Folge: Ankunft in Amerika und Zurückweisung in Ellis Island)


Reisebericht im Liechtensteiner Volksblatt, gez. Elias Wille [1]

29.3.1907

Reiseerinnerungen und Erlebnisse einiger Liechtensteiner.

(Erzählt von Elias Willi)

(Fortsetzung.)

Ich kann das hier gar nicht beschreiben; man muss den gewaltigen Bau eines grossen Dampfers und seine Einrichtung eben gesehen haben, um ein richtiges Bild hievon zu gewinnen. Oft aber machten wir solche Besuche nicht, denn es passierte einmal einem von uns, dass ihm im Eifer der Unterhaltung etwas aus seinem Munde verloren ging, was von anstandswegen seinen Platz im Taschentuch zu finden hätte, direkt hinunter auf den unbedeckten Schädel eines Maschinisten. Das setzte was ab! Fluchend und wetternd kam der auf uns zugerannt, mit nicht undeutlichen Gesten uns zu verstehen gebend, wir täten gut daran, das Hasenpanier zu ergreifen. Überhaupt haben die Seeleute ihre liebe Not mit den Passa gieren, weil diese überall die Nase drinn haben, wo sie‘s nichts angeht. Nicht selten verschaffen sie sich dann auf echt seemännisch Ruhe.

Wir näherten uns nun dem Ziele. Der „Vaderland" machte durchschnittlich 350—360 Meilen per 24 Stunden, seine höchste Leistung war 398, die geringste 331 Meilen; diese Differenz ist der ruhigeren oder erregteren See zuzuschreiben. Am 21. April mittags stachen wir in See, am 31. April abends langten wir in New-York an. Am Morgen dieses letzten Tages hatten wir noch 65 Meilen zu machen. Die See nahm eine schmutzig-gelbe Farbe an und war ganz glatt und ruhig; mittags verrieten verschiedene Wahrzeichen die Unsicherheit der Wasserstrasse und die Nähe des Landes; allsbald stieg der Lotse an Bord, um den Dampfer sicher in den Hafen zu bugsieren. Um 3 Uhr meldete der Matrose im Mastkorb „Land."

Jetzt kam Leben in die Passagiere! Wer noch krank im Bett lag, war plötzlich gesund; das Wort „Land“ hatte wie mit Zauberschlag die Krankheit gebannt; alles war im Festgewande und stürzte an Deck; die Schiffsmusik spielte; wieder wehte die Flagge von der Mastspitze; Vorbereitungen zur Landung wurden getroffen. Toller Jubel herrschte, „Land, Land, Amerika, Amerika!“ erscholl der Ruf aus tausend Kehlen; jeder drängte sich vor, um sich zu überzeugen, das ersehnte Ziel zu begrüssen. Der Dampfer fuhr langsam; eine grosse Strecke an New-York vorüber, vorüber an Ellis-Island und der Freiheitsstatue, die im Hafen aufgestellt ein gewaltiges Monument, schwertumgürtet, versinnbildlichend, dass die grosse Union diesseits des Ozeans gegebenenfalls ihre Rechte zu wahren und zu verteidigen weiss. Das sagen aber auch die Kanonenschlünde in den Festungswerken von New-York. Um halb 6 Uhr stiessen wir an Land, mussten aber diese Nacht an Bord bleiben. Jetzt war der letzte Appell der Passagiere; wir mussten noch einmal Revue passieren. Bis spät in die Nacht spielte die Musik und wir hatten Musse, die New-Yorker Wolkenkratzer anzustaunen — 25-28 stöckige Gebäude. Auch das Leben und Treiben, das ewige Hin- und Herrennen der kleinen, beleuchteten Dampfer konnten wir uns zur Genüge ansehen, ehe wir zur Ruhe gingen - zum letzten Mal auf dem „Vaderland."

2. Auf “Elis Islands”

Ellis Island, ein kleines Eiland im Hafen von New-York, lag im Frühlingsschmucke. Kunst und Natur hatten sich vereinigt, um Ellis Island zu dem zu schaffen, was es ist — zur schönen Jahreszeit, zum Eldorado, zum wahren Paradiese. Eine Menge Blumenbeete, voll der mannigfaltigsten, prachtvollsten Blumen strömten den süssen Blütenduft über die Insel aus. Kurz geschnittene, wohlgepflegte Rosen, denen Springbrunnen das belebende Nass spenden, kleiden sie ins schönste Grün. Zwischendurch schlängeln sich kiesbestreute Spazierwege. Fremdartige, wohl importierte Bäumchen, schattenspendend und zur Ruhe einladend, schliessen dann das harmonische Ganze. Der Uneingeweihte würde wohl einen Edelsitz hier vermuten. Ellis Island bildet denn auch wirklich der Anziehungs- und Vergnügungspunkt der New Yorker. Und dieses reizende Fleckchen Erde, das so ruhig da liegt, inmitten der Wellen und nur berufen scheint, Menschenherzen zu erfreuen, dieses reizende Fleckchen Erde ist bestimmt, über Wohl und Wehe von Hunderttausenden von Menschen jährlich zu entscheiden. Es ist die Emigranten-Insel. Zwei mächtige Gebäude erheben sich auf deren Mitte und doch viel zu klein, dem Zwecke zu entsprechen, dem sie dienen.

Doch ich will den Faden meiner Erzählung wieder da aufnehmen, wo ich ihn fallen gelassen und komme nun zum Schwerpunkt unserer Reise. Vor der Einschiffung in Antwerpen wurden an die Passagiere Gesundheits- und Landungskarten ausgegeben; diese kommen nun auf Ellis Island zur Verwendung. Bis zur gewissen Höhe nummeriert, trägt eine bestimmte Anzahl derselben die gleiche Nummer. Wir Liechtensteiner hatten zu vier die Nummer zweiunddreissig erhalten, einer sechsunddreissig. Das sollte uns vieren nun sehr verhängnisvoll werden. Bei der Übersetzung nach Ellis Island wird nach diesen Nummern ordnungsmässig vorgegangen; von eins angefangen werden dieselben ausgerufen und die Inhaber gehen an Bord des zur Überfahrt bestimmten Dampfers, bis derselbe entweder vollgepfropft oder alle Passagiere untergebracht sind. Ebenso nach Nummern geordnet kommen die Passagiere vor die Einwanderungsbehörden, je dieselbe Nummer wird auch von denselben Beamten befördert. Die Emigrationshalle ist zu diesem Zwecke in mehrere Gänge ausgeschieden, an deren Endpunkt mit Pulten versehen, wo nun die Beamten die Informationen der Passagiere entgegennehmen. Wir hatten glücklich die ärztliche Kontrolle passiert und soweit war alles in Ordnung, bis auf die Adresse. Unsere Reisekarte lautete auf Pittsburg. „Wo habt Ihr die Adresse?" - „Wir haben keine Adresse." - „Ihr müsst aber eine Adresse haben, sonst lassen wir Euch nicht durch." — „Warum geht Ihr denn nach Pittsburg und nicht nach San Franzisko oder bleibt in New-York, wenn Ihr doch keine Adresse habt?" — „Amerikareisende können sich doch nach Belieben ihr Reiseziel auswählen, wir wollen halt nach Pittsburg." Die Beamten schienen sich damit zufrieden geben zu wollen, sie machten uns die Durchpassbillete bereit. Jetzt kam aber das Verhängnisvolle in Gestalt eines, wie es schien, höhern Beamten, der den ganzen Vorgang bemerkt hatte. Dieser richtete nun noch die Frage an uns: „Habt Ihr denn gar keine Verwandten oder Freunde in Pittsburg?" Die Antwort auf diese Frage verwickelte uns in Widersprüche und führte eine entscheidende Wendung herbei.

(Fortsetzung folgt.)

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[1] L.Vo. 29.3.1907, S. 1 f.