Elias Wille schildert seine Auswanderung nach Amerika im Jahr 1906 (2. Folge: Luxemburg und Abfahrt in Antwerpen)


 Reisebericht im Liechtensteiner Volksblatt, gez.Elias Wille[1]

22.3.1907

Reiseerinnerungen und Erlebnisse einiger Liechtensteiner.

(Erzählt von Elias Willi.)

(Fortsetzung)

Der nächste Morgen brachte uns nach Luxemburg, die einzige Stadt, die wir Gelegenheit hatten, ein wenig anzusehen. Zu den Grossstädten zählt Luxemburg wohl nicht, wohl aber zu den Städten hohen Alters, wenigstens macht es diesen Eindruck, soweit wirs gesehen. Gegen Mittag kamen wir in Arlon an, an der belgischen Grenze. Wieder Aufenthalt, wieder Umsteigen, das ist eben das Umständliche und Unbequeme auf solcher Reise! Wer eine Amerikareise antritt, muss sich auf viele Unannehmlichkeiten gefasst machen. Durch Belgien hinunter fällt das Terrain beständig, je näher dem Meere, je mehr nimmt die Gegend den Charakter des Flachlandes an. Bis Nanmur gestaltet sie sich ziemlich unfreundlich; von hier weg gewinnt sie wieder ein schöneres Ansehen. Lachende Fluren, grüne Auen, ab und zu von Wäldern durchzogen, treten an Stelle von Moor und Gestrüpp. Eine Menge Viehherden grasten in dem saftigen Grün. Mit Windeseile fuhren wir dahin. Die Belgier verstehen das Fahren noch besser wie die Deutschen.

Kurz vor 4 Uhr verkündeten grosse Gärtnereien und eine Menge Treibhäuser rings um uns die Nähe einer grossen Stadt; wenige Minuten später blickten wir auf ein ungeheures Häusermeer hinab - Brüssel. „Umsteigen," diesmal ohne Aufenthalt. Um 6 Uhr waren wir in Antwerpen. Wir waren für das Hotel Luxemburg angemeldet und wurden am Bahnhof in Empfang genommen. Die Abendstunden benützten wir noch zu einem Spaziergang durch die Stadt. Andern Morgens wurden wir an den Kai gefahren, dorthin wo es heisst: „Red Star Line." Antwerpen trägt schon sehr amerikanisches Gepräge. Wer schon amerikanische Städte gesehen hat, würde kaum einen bemerkenswerten Unterschied herausfinden, höchstens dass Antwerpen die Wolkenkratzer fehlen.

Nach der ärztlichen Visite begann die Einschiffung, sie dauerte bis Mittag. Über zweitausend Passagiere stiegen an Bord. Eine tausendköpfige Menschenmenge hatte sich inzwischen am Kai eingefunden, Tücher schwenkend und uns ihre Abschiedsgrüsse zurufend, während eine Musikkapelle ihre ergreifende Weisen spielte. Der „Vaderland" hatte die Flagge aufgezogen, lustig wehte sie an der Mastspitze. Die Seile wurden gelöst, die Verbindungsbrücken eingezogen, langsam querseit stieg der „Vaderland" vom Strande ab, seinen Kurs ins Meer hinaus nehmend. So leb denn wohl Europa!

Lange noch standen wir an Deck und schauten hinüber ans Land, bis die Entfernung nurmehr verschwommene Umrisse erkennen liess. Ein stattlicher Dampfer, der „Vaderland," von 276 Meter Länge, 18,20 Meter Breite und über 12,000 Tonnen Tragkraft. Die über Deck erbauten Salons für Kajütenpassagiere scheiden dieses in Hinter- und Vorderdeck, die Verbindung findet durch die Untenräume statt. Männliche Passagiere, ledige oder solche, die keine Familie mit sich führten, waren im hintern Teil untergebracht. Das Zwischendeck ist doppelt, in übereinander liegenden Räumen erbaut. Zwei mächtige Kamine bliesen ihre Rauchwolken über die Fluten hin. 12 Rettungsbote sind über Deck befestigt.

Um Mitternacht liefen wir Dover an, wo der „Vaderland" noch mehr Passagiere an Bord nahm. Der nächste Tag führte uns die englische Küste vor Augen; nachts warfen Scheinwerfer ihre blauen Strahlen in weiten Bogen über die Fluten von der Küste her. Andern Morgens war auch die Küste ausser Sicht. Unterdessen hatte ein unheimlicher Gast sich unter den Passagieren eingeschlichen - die Seekrankheit. Es wurde merklich stiller in den Räumen und leerer auf dem Verdeck; hie und da ein leises Gurgeln und Würgen, um alsbald einen oder den andern an Deck taumeln zu sehen, sich weit über das Geländer beugend, um sein innerstes Wesen den Fischen auszuschütten, da er bei den Menschen doch kein Verständnis fand. Mich selbst hat der ungebetene Gast noch ziemlich schonend behandelt; ein einziges Mal trat in offener Rebellion wieder zu Tage, was ich meinem Magen an Nährkräften zugeführt. Im grossen Ganzen ist eine Seereise langweilig; die Passagiere vertreiben sich die Zeit mit Karten- und Würfelspielen, Musik u. dgl., soferne sie nicht seekrank im Bette liegen. Bei günstiger Witterung bietet sich jedoch auch Interessantes und wir hatten fortgesetzt schönes Wetter, kaum dass ein Wölkchen den Himmel trübte. Lässt man seinen Blick über die Fluten schweifen, erkennt man, dass sie sich in bestimmtem gleichförmigem Umkreis scharf abgrenzen;- auf einmal scheint sich das Meer zu wölben. Wird ein fremder Dampfer avisiert, sieht man zuerst nichts wie langgezogene Rauchlinien, dann die Masten und endlich, immer grösser werdend, den Schiffskörper, bis er endlich näher oder entfernter vorübergleitet. Da werden dann gegenseitig die Flaggen gehisst, unter die Passagiere gerät Bewegung. Vorbemerkte Erscheinungen geben Zeugnis von der Kugelgestalt der Erde. Ist die See etwas erregt, bietet sie ein anziehendes Bild; das schäumende Weiss, erzeugt von dem ewigen Spiel der Wogen, spielt sich sehr hübsch zu den tiefdunkeln Fluten. Entzückend, von hinreissender Pracht ist ein Sonnenuntergang auf hoher See, wenigstens wetteifernd an Pracht mit einem Sonnenaufgang von Bergeshöh' aus betrachtet. Wie da der Horizont sich färbt, erst in matten Farben, dann immer heller je näher die Sonne den Wellen kommt, bis sie endlich als ungeheurer Feuerball über den Wellen schwebt, den Horizont in glühendes Rot hüllend, einer brennenden Stadt vergleichbar! Erst lange nachdem sich die Sonne in den Wogen versenkt, verblasst die Erscheinung. Wir konnten uns kaum satt sehen an diesem Bild, das geeignet ist oder wäre, einem auch nur etwas gläubigen Gemüt die Grösse und Allmacht des Erschaffers vor Augen und zu Herzen zu führen. Wir blieben gewöhnlich so lange an Deck, bis uns fröstelte; denn nach-Sonnenuntergang weht Gottes Odem frisch auf hoher See. Von einem Sonnenaufgang weiss ich nichts zu berichten. Täglich zweimal wird den Passagieren der gegenseitige Verkehr auf beiden Decks gestattet, morgens von 10 bis halb 12 Uhr, nachmittags von 3 bis halb 5 Uhr. Hin und wieder stiegen wir auch ins Schiffsinnere hinab, uns die gewaltige Maschinerie und ihre Tätigkeit anzusehen. Ist das ein Pfauchen und Schnauben, Pusten und Keuchen dieser Maschinen! Ewiges Schieben und Stossen dieser schweren messingenen Arme!

(Fortsetzung folgt.)

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[1] L.Vo. 22.3.1907, S. 1 f.