Johann Jakob Gabathuler begründet im Nationalrat die Widerstände im Bezirk Werdenberg gegen den Zollvertrag zwischen Liechtenstein und der Schweiz


Auszug aus dem Protokoll der 19. Sitzung des schweizerischen Nationalrats [1]

21.12.1923, Bern

[Johann Jakob] Gabathuler: In dem Moment, wo Sie eingetreten sind in die Beratung des Vertrages mit Liechtenstein, sind Sie eingetreten in eine Neuordnung grenznachbarlicher Verhältnisse, wie sie zwischen dem Werdenbergerland, jetzt schweizerisch, und dem Nachbarlande seit mehr als einem halben Jahrtausend bestanden haben. Der Rhein ist seit altersher die Grenze gewesen. Schon diese Tatsache bringt es mit sich, dass man schweizerischerseits vorsichtig und kritisch an die Sache, die heute zur Diskussion steht, herangetreten ist.

Sie haben aus den Referaten der beiden Herren Referenten vernommen, dass draussen in Buchs sich eine Opposition gebildet habe. Weil ich in jener Gegend wohne und weil die Opponenten zu meinen Freunden zählen, konnte ich dieser Opposition gegenüber nicht unwissend bleiben; ich konnte dieser Opposition gegenüber nicht taub bleiben, wiewohl ich sage, dass ich mit dem Komitee nur einen "indirekten Zusammenhang" habe. Als Werdenberger fühle ich die Sorgen mit, die meine Landsleute haben.

Ich muss, nachdem hüben und drüben in der Presse Kritik geübt worden ist, zur Rechtfertigung der oppositionellen Kreise draussen an der Grenze Ihnen einige Aufklärung geben.

Einverstanden, die Opposition von Buchs hat ihren direktesten und wichtigsten Ausgangspunkt in der Bahnhofsfrage gehabt. Nun kann man sich ja auf den Boden stellen, der in der Botschaft eingenommen wird, dass diese beiden Dinge nicht zusammen gehören; das kann man von Bern aus sagen. Aber diejenigen, die draussen an der Grenze wohnen, die betroffen werden von der Sache, die es fühlen, wie die Zustände geändert haben, die mussten auf andere Gedanken und zu andern Schlüssen geführt werden. Seit 1914, ein ganzes Jahrzehnt lang, sind die ursprünglichen vertraglichen Zustände nicht mehr geübt worden. Mit 1914 kam die Sperre der Grenze; nach dem Friedensschluss, als man glaubte, der Vertrag von 1870 und das Übereinkommen von 1872 werden nun wieder restlos in Erfüllung gehen, wurde es nicht besser. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, im Gegenteil. In dem Moment, als Liechtenstein sich selbständig erklärte, sich loslöste aus der österreichisch-ungarischen Zollunion, hat Österreich sein Personal zurückgezogen und sich in Feldkirch etabliert, wie man sich in einem internationalen Bahnhof etabliert. So kam man zur Doppelspurigkeit, zur zweimaligen Zollbehandlung und zur zweimaligen peinlichen Passkontrolle, in Buchs und in Feldkirch.

Dann hat man ferner in den Zeitungen gelesen von umfangreichen Bodenexpropriationen in Feldkirch. Man hat an der Grenze draussen - vielleicht ja nicht in Bern, denn das ist ziemlich weit weg von Buchs - von Plänen für eine grosse Bahnhofanlage vernommen, sogar von Plänen für die Erstellung von Zollgebäuden in Feldkirch. All das hat unsere Leute beunruhigt. Es kann für eine grosse, emporblühende Gemeinde an der Grenze nicht gleichgültig sein, ob ihr die bisherigen Zustände erhalten bleiben oder ob ein paar hundert Mann eidgenössischen Personales mit grossem Einkommen, Leute, die dort Gebäude und Liegenschaften besitzen, wegziehen und sich an einem andern Orte einrichten müssen. Das würde die Gemeinde mit ihren Einrichtungen in den Sumpf führen und würde auf alle Zukunft hinaus das Aufblühen der Gemeinde verunmöglichen.

Nicht bloss die Verschiebung selbst kann zur Stagnation führen. Schon die Tatsache der Unsicherheit hat ihre bösen Nachwirkungen sofort gezeigt. Eine grosse Niedergeschlagenheit und Unruhe bemächtigte sich der Bevölkerung, speziell der gewerblichen Kreise und der Handwerker.

Die ganze Frage war auch für die Bundesbahnen sehr wichtig. Mit dem Aufleben des Ost-West-Verkehrs drängte sich die Frage des Ausbaues des Buchser Bahnhofes auf. Wenn bei den Bundesbahninstanzen in dieser Angelegenheit interpelliert wurde, so lautete die Antwort: Wir können einstweilen nichts tun, die Verhältnisse draussen sind unklar, man kann nicht einmal das Notwendigste machen. Man steckt nicht gern Geld hinein an einem Ort, wo man nicht weiss, ob sich nachher das Geschäft entwickeln wird. Dies nur zur Erklärung und zum bessern Verständnis jener Opposition, der die Bahnhoffrage am nächsten lag.

Der Vertrag von 1870 ist klar. Aber wir sind in einer Zeit, wo vieles fliesst, das man früher als absolut fest betrachtete. Die Verhandlungen, die sich über eine lange Zeit hingezogen haben, haben doch auch den Eindruck erweckt, dass es nicht so ganz leicht gegangen ist, die Verträge, die wir als vollgültig zu Recht bestehend erklärten, auf der andern Seite auch vollgültig anerkannt zu sehen. Man hat vielleicht von Bern aus etwas spät sich der ungesetzlichen Zustände in Buchs erinnert; ist es doch seit Friedensschluss ungefähr 4 Jahre gegangen, bis man nur zur Anerkennung jener Verträge seitens des andern Vertragspartners gekommen ist.

Ich sage hier: Ende gut, alles gut, und ich schliesse mich dem Dank des Herrn Kommissionsreferenten [Henri] Calame an, wenn er speziell dem Politischen Departement für seine Initiative und die besorgte Arbeit den Dank ausspricht. Nicht minder aber danke ich auch der nationalrätlichen Kommission, welche durch ihre Festigkeit viel dazu beigetragen hat, den Abschluss der Angelegenheit zu fördern.

Im Anschluss an diese "lokale Angelegenheit", die insofern allerdings allgemeine Bedeutung gewinnt, als die Bundesbahnen daran interessiert sind, möchte ich mich noch mit ein paar Worten dem Vertrag selbst zuwenden und mich dabei speziell mit den Besorgnissen der Bevölkerung des etwas weitern Grenzgebietes beschäftigen, das bisher mit Liechtenstein die Rheingrenze gemeinsam hatte. Es sind das Bedenken, die mir voraussichtlich nicht Veranlassung geben, den Vertrag zu refüsieren, aber solche, die ich hier aufrollen muss und auf die ich einigen Aufschluss erwarte, um vielleicht einen Teil der Bedenken bei meinen Leuten zerstreuen zu können.

Der Rhein war, wie ich schon gesagt habe, nun mehr als ein halbes Jahrtausend lang die Grenze zwischen Liechtenstein und Werdenberg. Wenn eine solche Grenze ins Wanken kommt, wird man beunruhigt. Man schätzt dort draussen den Rhein hoch und betrachtet ihn als eine durchaus solide und gute Grenze. So hat ihn wahrscheinlich auch Österreich aufgefasst. Uns ist die Meinung nicht aus dem Kopf zu bringen, dass wir mit der Verlegung der Grenze, wie sie nun vorgenommen wird, eine schlechtere Grenze erhalten werden. Die Tatsache, dass dem so ist, liegt ja, wenn nicht in direkten Erklärungen der Oberzolldirektion, so doch darin, dass die neue Grenze kürzer ist als die alte und trotzdem ca. ein Dutzend Zolleute mehr erfordert. Nun habe ich allerdings im Ständerat sagen hören, die nasse Grenze sei für den Schmuggel günstiger als die trockene. Damit hat man die ganze Angelegenheit ein bisschen in ein schiefes Licht gerückt. Es handelt sich hier um zwei Dinge, um den Schmuggel und die Einreise unerwünschter Fremder. Der Schmuggel war wichtig in Zeiten einer besonderen Konjunktur, wenn einer mit einer Bürde Stoff den Rhein durchwatend, seine tausend Franken verdiente. Das mochte reizen. Aber der meiste Anreiz dazu lag nicht dort, wo die Grenze zwischen Liechtenstein und Werdenberg liegt, weil das Durchwaten des Rheins dort nicht wohl möglich ist. Der Rhein kann dort auch im Winter nur an ganz wenigen Stellen durchwatet werden; diese Stellen sind jedem Grenzwächter bekannt, im Sommer, Herbst und Frühjahr aber ist der Rhein dort überhaupt nicht zu durchwaten.

Dann das Passieren des Rheins mit Hilfsmitteln. Wir haben keine Schiffahrt. Es müsste ein Schmuggler schon auf die Idee kommen, sich ein Boot zuzulegen. Ich erinnere mich aber eines einzigen Falles, wo ein Schmuggler ein Boot benützt hat und wobei er dann sein Leben gelassen hat. Ich habe da keine grossen Befürchtungen und glaube, dass auch in Zukunft der Rhein eine sehr gute Grenze gewesen wäre. Man sagt, das Hinterland sei mit Gebüsch bewachsen. An der neuen Grenze haben wir auch solche Gebiete, hinter den Büschen der Grenze aber nicht jene übersichtliche Ebene bis zu den Dörfern, die das Passieren der Gegend so leicht kontrollieren lässt. Ich schätze den Rhein und ich verteidige ihn. Wenn ich von Schmuggel rede, dann füge ich bei: Er wird lediglich dann gross, wenn auch die Gewinnchancen grosse sind und dazu reizen. Man findet überall an unserer Grenze Leute, die dieses Gewerbe betreiben würden. Ich will meine Leute nicht besser machen als die andern, ich lasse sie aber auch nicht schlechter machen.

Nun die andere Seite. In letzter Zeit ist die Einreise von Vagabunden viel wichtiger geworden als der Schmuggel; von letzterem spricht man gar nicht mehr. Auf dem andern Gebiet aber haben wir unliebsame Erfahrungen gemacht. Ein Jahr ist es her, dass in Vaduz ein ehrsamer Bürger [Franz Josef Wachter] von einem Vagabunden ums Leben gebracht und ausgeraubt worden ist. Wir lesen fast Tag für Tag, dass an der Schaffhauser Grenze, die ich auch schon habe rühmen hören, weil sie als trockene Grenze besser sei als der Rhein, zahlreiche Leute "schwarz" einreisen und man sie dann in Zürich, Andelfingen oder in Schaffhausen fängt. Diese Leute fürchten wir. Wir fürchten, dass wir mit der neuen Grenze, mit dem vielen Wald und den weiten, unübersichtlichen Gebieten dann mehr solcher Gesellen bekommen werden als bisher. Bisher war die Sache leicht. Da sind 4 Rheinbrücken, und wenn diese besetzt sind, dann kommt keine Maus durch; an der Grenze gegen Graubünden sind die sehr leicht abzuschliessenden Gebiete Fläscherberg, Luziensteig und der steile Felshang des Falknis.

Nun ist sehr leicht denkbar und sehr wahrscheinlich, (das befürchten wir) dass zahlreiche Leute diese neue Gelegenheit benützen werden, dass sie sich in die Wälder an der Grenze einschleichen, um zu warten, bis es dunkel ist, und dann den Sprung zu tun hinein ins Liechtenstein und unbehelligt die Brücken zu passieren. Ich habe die Überzeugung, Herr Oberzolldirektor [Arnold] Gassmann, Herr Direktor [Joseph] Vögeli und das treffliche Personal, das ich als durchaus tüchtig und jeder grossen Aufgabe gewachsen betrachte, werden des Schmuggels leicht Herr werden. Aber sie werden sehr schwer dieser unerwünschten Einwanderung Herr werden. Ich muss hier den dringenden Wunsch anbringen, dass man die Grenze so stark bewachen und besetzen möge, dass wir unter allen Umständen auch gegen diese Eindringlinge, gegen diese Vagabunden geschützt werden. Momentan mag man sagen, die Gefahr sei nicht sehr gross; sie sei kleiner, als sie auch schon war. Aber wer garantiert dafür, dass innert 5 Jahren sich nicht wieder Zustände herausbilden jenseits der Grenze, die für die Einreise wieder einen grösseren Anreiz bilden, als er heute besteht? Gegen diese Möglichkeit müssen wir uns von vornherein wappnen.

Noch einige andere Bedenken. Ich erlaube mir, die Frage aufzurollen: Wie denkt man sich den Grenzschutz für den Fall, dass an der Liechtenstein-österreichischen Grenze in Österreich selbst Unruhen, kriegerische Zustände eintreten sollten? Wir glauben heute Österreich ja konsolidiert und freuen uns, dass sich das Land wieder allmählich emporarbeitet. Aber es ist schon von den Herren Bundesräten wiederholt darauf hingewiesen worden, dass die Welt voll Spannungen, voll Zwietracht sei, und es können plötzlich explosionsartig neue Situationen eintreten. Für diesen Fall haben wir gewisse Befürchtungen, gewisse Beunruhigungen. Wir glauben, wir seien weniger gut geschützt, wenn wir unsere Zollwächter nicht mehr an den Rheinbrücken stehen haben. Die Situation wird, so wie ich sie anschaue, ein bisschen kompliziert. Wir haben wohl das Recht, unsere Landsturmsoldaten bei der Mobilisation an die Rheinbrücken zu stellen. Wir haben aber nicht das Recht, das Zollpersonal jenseits des Rheines mit Militär zu verstärken. Wir dürfen kein Militär hinüberstellen, wir müssen das Personal sich selbst überlassen und können höchstens hoffen, dass Reserven, die der Zollverwaltung zur Verfügung stehen, dorthin geworfen werden, Leute des Zollpersonals selber, welche dann die Grenze verstärken. Auf jeden Fall sind wir in einer unsicheren Lage, und besonders unsicher werden unsere braven Zollsoldaten selber daran sein. Hat man daran gedacht, sieht man genügend Verstärkungen vor für den Fall solcher Unruhen?

Ein weiterer Punkt. Wir haben bisher in den Grenzgebieten mit den Arbeitslosen viel Mühe gehabt und grosse Summen ausgegeben. Ich möchte diese Frage nicht weiter ausspinnen. Herr [Georg] Baumberger hat, wie ich vernommen habe, sich mit dieser Frage schon beschäftigt und den Finger etwas auf eine wunde Stelle gelegt. Ich muss nur heute das Verlangen stellen, dass der Schweiz und namentlich den Grenzgemeinden durch die vertragliche Regelung mit Liechtenstein nicht grössere Lasten in der Arbeitslosenfürsorge erwachsen, als sie ohne diesen Vertrag erwachsen wären. Vielleicht ist Herr Bundesrat [Giuseppe] Motta in der Lage, eine kurze Erklärung abzugeben, nachdem Herr [Albert] Mächler erklärt, das sei geregelt. (Dr. Mächler: Die Sache ist geordnet.)

Nun die Seuchenpolizei. Da interessiert es mich, zu erfahren, wie man sich die seuchenpolizeiliche Kontrolle auf den Liechtensteinschen Bahnstationen Schaan und Nendeln denkt. Denn dort wird Vieh eingeführt werden können, es wird Fleisch eingeführt werden können. Da interessiert es mich, zu erfahren, wie man den tierärztlichen Dienst, der ja eigentlich bei jedem Eisenbahnzug versehen werden sollte, zu regeln gedenkt.

Ein weiterer Punkt, der mit der Seuchenpolizei zusammenhängt, ist die Alpensömmerung des Viehes in Vorarlberg. Ich habe nichts gegen die Regelung, wie sie getroffen worden ist. Und ich habe die Überzeugung, dass der Landestierarzt von Liechtenstein zusammen mit unsern schweizerischen Instanzen den Weg finden wird, um den Eintritt der Maul- und Klauenseuche zu verhindern. Ich möchte aber nach einer andern Richtung meine Meinung äussern. Wir schaffen hier offenbar Erleichterungen für die Liechtenstein‘sche Bevölkerung, der wir ermöglichen, ihr Vieh im Vorarlberg zu sömmern. Wir behandeln (es ist dies an einem andern Orte im Vertrage selbst ausdrücklich erklärt) Liechtenstein ganz wie einen schweizerischen Kanton. Da möchte ich im Namen der angrenzenden Bauernsame den Wunsch äussern, dass man die Liechtenstein gegenüber gewährten Erleichterungen auch anwenden möge auf die schweizerischen Grenzgebiete. (Bundesrat Motta: Ich werde es Herrn [Edmund] Schulthess sagen.)

Es ist auch schon die Rede gewesen von der Konkurrenzierung schweizerischer Gewerbe und Industrien. Ich verliere darüber nicht viele Worte, denn von der wirtschaftlichen Seite betrachte ich den Anschluss von Liechtenstein nicht als gefährlich für die Schweiz, nicht einmal für das Grenzgebiet. Das Gebiet Liechtenstein ist ja nicht gross, die Einwohnerzahl ist ja nur halb so gross wie diejenige des benachbarten Bezirkes Werdenberg. Auch die Landwirtschaft kann, wenn wir die 4-500 Stück Vieh in die Schweiz hineinlassen, keinen spürbaren Schaden erleiden; so etwas ist nicht denkbar. Die Befürchtungen der Botschaft kann ich in dieser Richtung gar nicht teilen. Die Grenzbevölkerung erleidet gerade dann Schaden, wenn man es den Liechtensteinern nicht möglich macht, die Preise an die schweizerischen Preise anzupassen. Dann kommt das Unterangebot an Vieh, an Fleisch von Liechtenstein her. Sobald wir die Grenzen öffnen oder die Einfuhr erleichtern, so dass der Austausch leicht möglich ist, hört die Konkurrenz sofort auf. Wir haben dann hüben und drüben die gleichen Preise.

Sowohl von meinen Landsleuten als auch bei der Debatte im Ständerate sind allgemeine schwere Bedenken geltend gemacht worden. Wir tun gewiss einen Schritt ins Ungewisse. Wir schaffen den Vertrag, der eine grosse Zahl von staatsrechtlichen Fragen offen lässt. Unsere Grenze verliert ihre bisherige Festigkeit und Bestimmtheit. Sie verliert sie in wirtschaftlicher Hinsicht, sie verliert sie auch für die Fremdenpolizei, und weiteres Ungewisse werden wir später vielleicht noch erfahren. Man hat nicht ohne Grund auf den Eindruck im Auslande hingewiesen, wenn wir jetzt an der Grenze rütteln. Ich halte es allerdings für möglich, dass die Schweiz, wenn sich die Verhältnisse in Liechtenstein konsolidieren, wie sie sich zu konsolidieren begonnen haben, mit Liechtenstein in einer Zollunion bleiben kann, ohne an den 23. Kanton zu denken.

Eine Frage, die Herr Bundesrat Motta, der in diesen Dingen ja ausserordentlich versiert ist, vielleicht beantworten wird, ist die: Wie steht es mit der Neutralität? Sie steht ein bisschen im Zusammenhang mit dem, was ich über die Grenzbewachung gesagt habe für den Fall, dass kriegerische Verwicklungen in dem neuen Grenzlande, das dort dann anstösst, entstehen.

Mit den allgemeinen schweren Bedenken ist auch die finanzielle Seite des Vertrages angetönt worden. Herr Kommissionspräsident [Theodor] Odinga hat ziemlich deutlich ausgesprochen, dass die Schweiz nicht etwa auf ein gutes Geschäft hoffen dürfe. Das wollte auch ich nicht, dass wir an Liechtenstein ein Geschäft machen. Aber auf der andern Seite müssen wir doch die Situation nehmen, wie sie sich darbietet, und sehen, ob wir der andern Partei ein Opfer bringen oder ob der Andere uns ein Opfer bringt. Ich habe auf Grund der Zahlen in der Botschaft das Ganze nochmals durchgerechnet und vor allem festgestellt, dass eine Unrichtigkeit besteht mit Bezug auf die Bevölkerungszahl. In der Botschaft ist die Rede von 11'000 Einwohnern. Das würde stimmen, wenn man die Liechtensteiner hinzuzählen würde, die sich in Amerika drüben oder an irgend einem andern Ort der Welt aufhalten. Wenn wir aber wie in der Schweiz nur die Wohnbevölkerung rechnen, so beträgt diese nicht einmal 9000 Personen, also mehr als 2000 Personen weniger. Ich weiss nicht genau, wie gross die Bevölkerungszahl ist, ich habe widersprechende Nachrichten darüber erhalten. In der Broschüre des Komitees von Buchs [2] ist von rund 8000 Personen die Rede, die andere Broschüre [3] von Dr. Schöbi in Altstätten spricht von 8800, jedenfalls keiner von 9000 Personen. Das ist wesentlich für die Berechnung einer Quote, die sich nach der Bevölkerungszahl richten soll, ob man rund ein Viertel mehr oder weniger rechnet. Wenn ich nun jene Zahlen annehme und den fünfjährigen Durchschnitt 1917/21 der schweizerischen Zolleinnahmen, wie es in der Botschaft gesagt ist, dann komme ich allerdings nicht auf die 150'000 Fr. Es bleibt, wenn ich den Anteil von Liechtenstein, auch wieder per Kopf berechnet, an den allgemeinen Verwaltungskosten, der Grenzbewachung und den direkten Mehrkosten wegen der ungünstigeren Grenze hinzurechne, nach Schwendener 30'000 Fr., nach Schöbi 40'000 Fr. Wenn wir somit rückschauend die Rechnung machen, ist mit 150'000 Fr. die Rechnung gewiss nicht zu Ungunsten von Liechtenstein entschieden! Nun wird man aber sagen, ja, die Sache wird anders kommen, wir haben unsere Zölle mehr als verdoppelt, und damit muss man rechnen in 3 Jahren. Wir müssen mit jenen Zahlen kalkulieren; die alten Zahlen werden das nächste Mal bei den Verhandlungen in drei Jahren nicht mehr gelten. Aber auch dann, wenn ich das alles in Rechnung stelle, komme ich zu dem Schlusse, dass man, geschäftlich gerechnet, nicht sagen kann, dass die Schweiz etwa besondere Vorteile hätte. Und wenn bei Schweizern und namentlich drüben in Liechtenstein eine andere Anschauung emporgeblüht ist, und sich da und dort äussert, so ist es vor allem das Verdienst der Broschüre des Herrn Dr. Schöbi, diese Ansichten grossgezogen zu haben. Immerhin wird es nie möglich sein, in der ganzen Rechnung zu ganz genauen Zahlen zu kommen. Die Kaufkraft von Liechtenstein gegenüber der Kaufkraft der schweizerischen Bevölkerung wird immer umstritten bleiben. Das kann man gar nicht genau feststellen. Die Oberzolldirektion nimmt 3/4 der schweizerischen Kaufkraft an und legt diese der Rechnung zu Grunde. Aber ob es die Hälfte ist oder ob es drei Viertel sind, wer will das beweisen? Der Eine wird dieses, der andere jenes behaupten, niemand kann die Behauptung beweisen. Immerhin kommt Lorenz in seinem Gutachten auf Zahlen, welche nicht auf 75 %, sondern auf eine niedrigere Grösse zutreffen würden. Die Mehrkosten der Grenzbewachung kennen wir heute ungefähr. Wir stellen ab auf eine bestimmte Zahl von Leuten, die wir voraussichtlich brauchen. Das ist eine Grösse, die sich im Verlaufe der nächsten Jahre abklären wird, heute ist sie noch nicht ganz klar. Nicht zu berechnende, aber tatsächlich existierende Grössen, die in der Rechnung eine Rolle spielen müssen, sind für die Schweiz der Verlust an Zoll, den sie bisher vom Export aus Liechtenstein nach der Schweiz bezogen hat, es waren etwa 35'000 Fr. Es ist aber auch in Rechnung zu stellen, wenn wir rein kaufmännisch rechnen wollen, der Verlust der Schweiz an entgangenem Export, der jetzt schon bei der Einfuhr in die Schweiz den Schweizer Zoll bezahlt hat.

M. le Président: Je fais remarquer à M. Gabathuler que la limite réglementaire de la durée des discours est atteinte.

Gabathuler, fortfahrend: Ich möchte den Herrn Präsidenten bitten, mir noch 5 Minuten Zeit zu lassen, weil ich einzig als Vertreter des Grenzgebietes, das in der Kommission nicht vertreten war, die Anschauungen und Bedenken vorzutragen habe, die das Grenzgebiet drücken. Ich wäre bald zum Schlusse gekommen, auch ohne die Mahnung des Herrn Präsidenten, der allerdings nur seine Pflicht getan hat, und erlaube mir, in einem kurzen Résumé nochmals meine Wünsche anzubringen:

1. Die Garantie vollkommenen Schutzes gegen eindringende Vagabunden und gegen Schmuggel. Je besser man schützt, um so weniger wird geschmuggelt, um so weniger werden Vagabunden über die Grenze kommen. Dann Aufklärung über das geplante Vorgehen bei allfälligen Ruhestörungen an der neuen Landesgrenze und jenseits der liechtensteinisch-österreichischen Grenze. Die Frage der Seuchenpolizei und ihrer Handhabung in Schaan und Nendeln, das Verhältnis der schweizerischen Bauern zu den Vorarlberger Alpen betreffend das gleiche Recht für die Alpsömmerung auf diesen Alpen wie die Liechtensteiner, möchte beantwortet werden.

Ich hätte es mit vielen andern und namentlich mit der Grenzbevölkerung sehr gern gesehen, wenn man schon lange vorher Liechtenstein hätte entgegenkommen können mit einer Zwischenlösung, etwa wie sie niedergelegt war in den Buchser Vorschlägen, wenn man nicht darauf beharrt hätte, Einreise- und Einfuhrverbote und ähnliche Chicanen, die hohen Zölle etc. uneingeschränkt auf Liechtenstein anzuwenden. Man hat damit das kleine Land in eine prekäre Lage gebracht. Es ist seit jeher der aufrichtige Wunsch gewesen und der ehrliche Wille der Bevölkerung diesseits der Grenze, zu helfen, und man hatte gewünscht, dass nach dieser Richtung schon vorher Schritte erfolgt wären, vorbehaltlich einer späteren andern Regelung. Es ist das nicht geschehen, mit der Begründung, es sei sonst ein Verstoss gegen die Meistbegünstigung, die man gegenüber andern Staaten in Zollverträgen eingeräumt habe. Diese Befürchtung habe ich nie gehegt, denn das Land ist in bezug auf sein Gebiet so klein gegenüber andern Staaten, dass gewiss niemand irgend einen Einwand erhohen haben würde. Nachdem wir am Ziele sind, Liechtenstein helfen zu können in einer Art, zu der der liechtensteinische Landtag einstimmig seine Zustimmung gegeben hat, eine Hilfe, die auch in der Kommission nicht bestritten ist, habe ich keinen Grund, weiter zu opponieren. Da wir speziell in den Grenzgebieten Bedenken haben, so will ich hoffen, dass diese Bedenken nach und nach verschwinden und dass der alt-freundnachbarliche Verkehr, den wir mit Liechtenstein seit jeher gepflegt haben, wieder aufblühen werde. Ich werde dem Vertrag keine Opposition machen, aber Sie werden entschuldigen, nachdem wir heute noch unter dem Druck der unsichern Zukunft stehen, die uns der Vertrag bringt, wenn ich mich der Stimmabgabe enthalte.

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[1] Protokolle der Bundesversammlung, 19. Sitzung des Nationalrats vom 21.12.1923. S. 957-968. Online unter http://www.amtsdruckschriften.bar.admin.ch/viewOrigDoc.do?ID=100000331
[2] "Zum Zollvertrag mit Liechtenstein: der Standpunkt der Anschluss-Gegner". Werdenberger Initiativkomitee: Gallus Schwendener, Jakob Vetsch. Buchs 1923, 24 S.
[3] "Zum Zollvertrag mit Liechtenstein: der Standpunkt der Anschlussfreunde". Hrsg. vom Komitee für den Zollanschluss Liechtensteins, Altstätten, 1923, 21 Seiten. Dem Komitee gehörten als prominente Mitglieder Dr. Josef Schöbi und Dr. Karl Weder an.