Das Liechtensteiner Volksblatt schlägt vor, dass arme Leute ihre Kinder an anständige Bauern verdingen sollen, womit sowohl das Lebensmittelproblem wie auch der Arbeitskräftemangel behoben werden könnten


Artikel im Liechtensteiner Volksblatt, nicht gez. [1]

24.5.1918

Auch ein Notstand. (-e-) Häufig konnte man seit dem Winter die Klage hören, dass manche Familien in unserem Ländchen wochenlang kein Brot zu essen hatten und wir wissen, dass diese Klagen nicht übertrieben waren. Besonders schwer wurden durch solchen Brotmangel kinderreiche Familien getroffen. Es drängt sich da die Annahme auf, dass solche Leute nicht zuletzt Hilfe dort suchen, wo sie am besten zu holen wäre und in einer Weise, die sie nicht blos zum Empfänger allein, sondern so weit möglich zum Vertragschliessenden macht, nämlich durch Verdingen der arbeitsfähigen Kinder bei Bauern, von denen sie wissen, dass sie ihre Hilfskräfte gut ernähren und die allenfalls den Lohn noch zum Teile in Lebensmitteln bezahlen. Und es ist ja bekannt, dass dieser Weg von manchen begangen wird. Aber ebenfalls manche Eltern ziehen es in ihrer blinden Offenliebe vor, ihre Kinder beschäftigungslos und ohne — Brot um sich zu Hause zu haben oder sogar von gut gedecktem Tische wieder wegzuholen, dann aber recht ergiebig über die Erzeuger und Besitzer von Lebensmitteln zu schimpfen. Derartige Fälle sind mir mehrere bekannt. Durch solches Vorgehen wird mehrfacher Schaden angerichtet. In den Familien, die vorziehen, ihre Kinder ohne Arbeit und ohne Brot bei sich zu behalten, werden sich die Folgen in schlechter körperlicher Entwicklung, in Kränklichkeit und Schwächlichkeit fürs ganze Leben und manchmal auch in anerzogener Tatenlosigkeit äussern. Bei den Bauern, denen die Hilfskräfte fehlen, wird die Anbaumöglichkeit eingeschränkt; sie werden infolge dessen wenige Lebensmittel abgeben können und begreiflicherweise auch verärgert werden. Die Dienstbotennot hat sich ja geradezu zu einer Plage für die Landwirte entwickelt. Komme man ihnen entgegen und sie werden es gewiss auch ihrerseits an Entgegenkommen nicht fehlen lassen.

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[1] L.Vo. 24.5.1918, S. 1-2.