Martin Ritter versucht, von Fürst Johann II. die Anerkennung des Vollzugsausschusses zu erlangen


Maschinenschriftlicher Entwurf einer Proklamation von Fürst Johann II., ausgearbeitet von Martin Ritter, Vorsitzender des Vollzugsausschusses [1]

19.11.1918, Wien

An Mein Volk!

Seit mehr als 200 Jahren ist Mein Haus mit dem Geschicke der Bewohner meines heutigen Fürstentums [2] Liechtenstein in Freude und Leid verbunden. In diesen Tagen habe Ich selbst durch Gottes gnädige Fügung Mein 60jähriges Regierungsjubiläum begehen können. Die Kundgebungen der Liebe und Treue, welche Mir aus diesem Anlasse von Meinen Landeskindern und deren Vertretung zugekommen sind, haben Meinem Herzen wahrhaft wohl getan und Mir bewiesen, dass auch in dieser schweren Zeit ein unauflöslich einig Band Fürst und Volk umschlingt. Stets auf sein Wohl bedacht und gesundem Fortschritte zugeneigt, habe Ich Mich entschlossen, dem Volke den weitgehendsten Einfluss auf die Regierung Meines Fürstentums einzuräumen. Ich genehmige daher den von Meinem Landtage gewählten Vollzugs-Ausschuss in Gnaden als Meine Regierung und beauftrage sie, in Übereinstimmung mit dem Landtage die erforderliche Verfassungsänderung auszuarbeiten und Mir zu unterbreiten. Zugleich bestelle ich den Dr. Martin Ritter als Vorsitzenden der Regierung zum Landamanne des Fürstentums. Allen Meinen Landeskindern lege Ich ans Herz, Meiner Regierung, sowie Ich es tue, Vertrauen entgegen zu bringen und einig am Wohle des gemeinsamen Vaterlandes mitzuarbeiten.

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[1] LI LA SF 01/1918/50. Das Dokument langte am 31.12.1918 bei der Regierung ein. Am Kopf der Seite handschriftlicher Vermerk des ehemaligen Landesverwesers Leopold von Imhof: "Von Dr. Martin Ritter ausgearbeiteter und von den Mitgliedern des fürstl. Appellationsgerichtes (Dr. H. [Hermann] von Hampe, Dr. [Josef] Jahoda, Dr. [Julius] Pfeiffer) einstimmig gutgeheissener (!) Entwurf einer fürstl. Proklamation, die jedoch die höchste Sanktion nicht gefunden hat." Ritter unterbreitete den Entwurf am 19.11.1918 dem Fürsten.
[2] Handschriftliche Randbemerkung von Imhof: "morgen nicht mehr!"