Die liechtensteinische Regierung sichert die Rückstellung von flüchtigen Internierten an die Schweiz zu


Handschriftliches Konzeptschreiben von Landesverweser Leopold von Imhof, gez. ders., an die fürstliche Hofkanzlei [1]

20.8.1917

Hochlöbl. Hofkanzlei!

In Erledigung der geschätzten Note vom 16. August l. J., Nro. 9191, [2] beehrt sich die f. R. [fürstliche Regierung] mitzuteilen, dass bisher noch keine Ansuchen um Auslieferung von aus der Schweiz nach Liechtenstein entwichener Internierter oder Hospitalisierter [3] hieramts anhängig gemacht worden sind. Im Laufe dieses Frühjahres haben sich 2 solche Individuen vorübergehend im Fürstentum aufgehalten, deren Auslieferung oder Ausweisung jedoch mangels einer gesetzlichen oder vertragsmässigen Grundlage nicht verfügt wurde.

Seither hat die f. R. die in einem Exemplare zuliegende Verordnung vom 5. Juli 1917, Z. 2804, [4] erlassen, wonach die Aufnahme von Personen, welche sich nicht mit legalen Heimatschriften auszuweisen vermögen, untersagt ist, und die an der schweizerischen Grenze postierten Zollorgane noch speziell angewiesen, Personen ohne solche Dokumente den Übertritt in das Fürstentum zu verweigern. Hiernach erscheint Überläufern der gedachten Art, die diese Heimatdokumente ja kaum besitzen, eine Schranke gesetzt.

Sollte des ungeachtet künftig einer der in der Schweiz Internierten und Hospitalisierten, sei es mit oder ohne Dokumente, den Weg in das Fürstentum finden, so ist die f. R. über Verlangen der berufenen Stelle gerne bereit, den Schlussabsatz der erwähnten Verordnung dahin zu handhaben, dass der Überläufer an einer zu bezeichnender Stelle wieder nach der Schweiz überstellt wird, wo der selbe dann von schweizerischen Organen übernommen und zurückgebracht werden kann.

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[1] LI LA RE 1917/3394 Revers. Reingeschrieben von David Strub am 20.8.1917.
[2] Mit Telegramm vom 12.8.1917 ersuchte der k.u.k. Gesandte in Bern, Alexander Musulin von Gomirje, um Auskunft, ob nach Liechtenstein entwichene Internierte bzw. Hospitalisierte nach der Schweiz ausgeliefert würden und ob Mittel und Wege vorhanden seien, bei den liechtensteinischen Behörden die Auslieferung solcher „Überläufer" zu erwirken (Beilage zu LI LA RE 1917/3394 (Aktenzeichen 77425/11)). Das Telegramm wurde vom k.u.k. Aussenministerium an die fürstliche Hofkanzlei gesandt und von Hofkanzleileiter Hermann von Hampe am 16.8.1917 der liechtensteinischen Regierung zur Erledigung und Berichterstattung übermittelt (LI LA RE 1917/3394 Avers).
[3] Die Schweiz nahm ab 1916 ca. 12'000 Kriegsgefangene verschiedener Nationalität auf. Als Kriegsverletzte wurden sie in schweizerischen Luftkurorten untergebracht.
[4] Nach dieser nicht im Landesgesetzblatt publizierten Regierungsverordnung, die sich auf § 9 der Polizeiordnung vom 14.9.1843 berief, durften Personen ohne gültige Ausweispapiere weder in Gasthäusern noch in Privathäusern beherbergt werden. Darüberhinaus durften nun auch Personen mit gültigen Heimatschriften ohne Bewilligung der Ortsvorstehung nicht länger als einen Tag beherbergt werden. Die Ortsvorstehung musste umgehend der Regierung über solche Personen berichten, welche sich die Landesverweisung vorbehielt. - Die Verordnung ist unter der Signatur LI LA RE 1917/2804 nicht aufzufinden.