Die "Kronen-Zeitung" berichtet, dass ein Liechtensteiner Kriegsfreiwilliger auf Veranlassung der liechtensteinischen Regierung aus der deutschen Armee habe ausscheiden müssen


Karikatur mit Kommentar in der "Illustrierten Kronen-Zeitung" [1]

7.7.1915

Unser Titelbild [2]

Zu Beginn des grossen Krieges hat das "souveräne Fürstentum Liechtenstein" allen beteiligten Mächten seine strengste Neutralität mitgeteilt – notgedrungen, da das 12'000 Einwohner zählende Ländchen seit 1866 den Militärzwang aufgehoben hat und nur noch einen einzigen Soldaten besitzt, der – ausgestopft – im Rittersaal des Schlosses Hohenliechtenstein [3] steht. Wie streng die fürstliche Regierung die Neutralität handhabt, beweist folgender Vorfall.

Ein in der Schweiz in Stellung befindlicher, wagemutiger junger Liechtensteiner folgte dem Beispiel einiger deutscher Arbeitsgenossen, die dem Rufe zu den Fahnen folgten, und meldete sich freiwillig zum deutschen Heeresdienst. [4] Er wurde angenommen, einige Monate im Kriegshandwerk ausgebildet und befand sich auf dem Wege nach der Westfront, als ihn die fürsorgliche Hand seines neutralen Vaterlandes erwischte und ihn unsanft aus seinen Träumen von Ruhm und Siegeslorbeern riss. Die Liechtensteinische Regierung hatte nämlich durch Verrat die Absicht ihres kriegslustigen Untertanen erfahren und forderte nun schleunigst und nachdrücklich unter Berufung auf ihre Neutralität dessen sofortige Ausschaltung aus dem deutschen Heeresverband.

Die deutsche Reichsregierung erliess den Befehl an das betreffende Regiment, den angehenden Krieger heimzuschicken.

In Frankfurt am Main ereilte ihn sein Schicksal, als er gerade im Bahnwagen unter seinen Waffenbrüdern sass und mit ihnen im Chor Soldatenlieder sang. Sie waren gerade beim "Gloria Viktoria!" angelangt, als die rauhe Kompagniemutter die Wagentür aufriss und den Liechtensteiner Krieger herausholte. Auf dem Bahnsteig wurde ihm der Befehl der Vaduzer Regierung vorgelegt, die Erledigung der deutschen Militärbehörde bekanntgegeben und sodann seine Neutralisierung vorgenommen – er musste Wehr und Waffen abgeben und wurde so seinem Vaterland erhalten; unter allgemeinem Bedauern und grossem Hallo schied er von seinen Kameraden. [5]

______________

[1] Illustrierte Kronen-Zeitung, Nr. 5573, 7.7.1915, S. 1 (Karikatur) und S. 9f. (Kommentar). Ein Exemplar der Zeitung in LI LA SF 01/1915/046. Die Zeitung wurde der Regierung von Gottlieb Kron, Sektionsrat in der fürstlichen Hofkanzlei, übersandt (LI LA SF 01/1915/046, Kron an Leopold von Imhof, 8.7.1915).
[2] Das Titelbild zeigt über der Bildunterschrift "Er darf nicht an die Front. Weil er Liechtensteiner ist" einen auf dem Bahnsteig vor einem abfahrbereiten Zug stehenden Soldaten, dem von Offizieren befohlen wird, seine Ausrüstung abzugeben.
[3] Hohenliechtenstein: Im 18. Jahrhundert verwendete Bezeichnung für Schloss Vaduz.
[4] Es handelt sich um die etwas dramatisierte Schilderung der Geschichte von Albert Vogt aus Balzers. Dieser hatte seinen Angehörigen am 7.8.1914 mit einer Feldpostkarte mitgeteilt, dass er in Freiburg i.Br. zum Soldaten ausgebildet werde. In drei Wochen gehe es "auf das Schlachtfeld" (LI LA RE 1914/2539 ad 2131/2291). Der Vormund des verwaisten, noch minderjährigen Vogt bat darauf die Regierung um eine Intervention. Diese ersuchte am 24.8.1914 das österreichisch-ungarische Konsulat in Karlsruhe, "wenn tunlich wegen der Bewirkung der Rückkehr des Albert Vogt in seine Heimat das Nötige veranlassen zu wollen" (LI LA RE 1914/2539 ad 2131/2291). Vogt wurde aufgrund dieser Intervention am 18.9.1914 aus der deutschen Armee entlassen (LI LA RE 1914/2539 ad 2131/2291, Leutnant Leinweber an den Civilvorsitzenden der Ersatzcommission des Aushebungsbezirks Freiburg i.B., 18.9.1914).
[5] Landesverweser Leopold von Imhof informierte Gottlieb Kron und die Kronen-Zeitung über den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse. Dabei stellte er klar, dass die Intervention der Regierung nur auf Wunsch der Angehörigen Vogts erfolgt sei. Von einem Befehl der Regierung oder einer Berufung auf die liechtensteinische Neutralität könne keine Rede sein. Im Schreiben an Kron wies er zudem darauf hin, dass sich mehrere Liechtensteiner freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hätten und ihnen bescheinigt worden sei, dass dagegen seitens der Regierung "kein Hindernis obwalte" (LI LA SF 01/1915/046, Imhof an Kron sowie an die Kronen-Zeitung, 10.7.1915). Die "Kronen-Zeitung" druckte die Richtigstellung Imhofs in Nr. 5579, 13.7.1915, S. 12 ab (ein Exemplar des Artikels unter LI LA PA 001/0021/05).