Das "Liechtensteiner Volksblatt" bezichtigt Otto Schädler, Sympathien für den Nationalsozialismus zu hegen


Artikel im "Liechtensteiner Volksblatt", gez. "-l-" [1]

19.5.1937

Unterländer-Brief

Nahezu die ganze Vorderseite widmet das "Vaterland" dem Unterländer Brief in der vorletzten Donnerstag-Nummer. [2] Mit "Religion als politisches Spekulationsobjekt" bezeichnet die Redaktion des "Liechtensteiner Vaterland" diesen gross aufgezogenen Leitartikel. Es scheint, dass es den Herren Oppositionsführern doch etwas heiss geworden ist, als sie die nichtwiderlegbaren Hinweise auf ihren Führer, wie er sich bei der Landtagssitzung selbst nannte, zu Gesicht bekamen.

Sie lassen alle Anschuldigungen gegen den Oppositionspräsidenten, Herrn Dr. [Otto] Schädler, gelten. Ich muss zu diesem Schlusse kommen, da sie dieselben nicht widerlegen. Sie stellen die einzige Behauptung auf, dass Herr Dr. Schädler und die Führer der Union katholisch seien, währenddem es den Führern der Bürgerpartei an Religion fehle.

Wenn je einmal Politiker in Liechtenstein in pharisäerhafter Art und Weise die Religion als politisches Kampfmittel benutzt haben, so waren es die Führer der Union. Ich erinnere an den Abstimmungskampf um die Proporzinitiative. Der Hl. Vater und eine ganze Reihe von Bischöfen wurden in den Kampf gezogen. All jene, welche gegen den Proporz waren, wurden als Papstgegner bezeichnet. Alle Hirtenbriefe, päpstlichen Rundschreiben usw. wurden herangezogen, das Lager der Union glich einem päpstlichen Sekretariate (wenigstens gegen aussen), mit der Religion zog man in den Abstimmungskampf, gleichzeitig hörte man aus der Union Rufe erschallen "die Pfaffen gehören nicht in die Regierung" usw. Die Union hat also zwei Seiten, eine religiöse, wenn man sie dringend braucht, und eine weniger religiöse, wenn man sie nicht braucht.

Wenn ich behaupte, dass die Handlungen und die Einstellung des Oppositionspräsidenten Herrn Dr. Schädler mit unserer Religion nicht im Einklange stehen, so muss ich dies beweisen. Diese Beweisführung wird mir aufgezwungen, da das "Vaterland" behauptet, dass die führenden Mitglieder der Bürgerpartei nicht religiös seien.

Ich bezeichne es deshalb nochmals nicht nur als ungebührend, sondern als geradezu verwerflich, wenn ein katholisch sein wollender Politiker, Abgeordneter und Hüter unserer Demokratie es gestattet, dass in seinem Lager vaterländische Lieder übernommen, eingeübt und bei Produzierungen aufgeführt werden, die infolge ihrer Tendenz in einem gewissen Anruche stehen.

Ich bezeichne es weiter für einen Katholiken und Volksvertreter im Landtage als ungebührlich, wenn er bei seiner Gruppe gestattet, dass dem Symbol unserer hl. Religion, dem Kreuze, Haken angehängt werden. Wir werden unter unserem Zeichen siegen, u. wenn man in anderen Staaten glaubt, dass das Christuszeichen mit Haken versehen werden müsse, so können wir hieran nichts ändern, protestieren aber dagegen, dass solche Ideen in unser Heimatland verpflanzt werden. Herr Oppositionspräsident, Sie selbst sympathisieren mit diesen Ideen einerseits durch die Duldung solcher Vorkommnisse und andererseits durch Ihre persönliche Einstellung für die Vorgänge im Auslande.

Dass aber ein Katholik und Abgeordneter, der in der heutigen "Vaterland"-Nummer zumindest als grosser Bekenner hingestellt wird, [3] im öffentlichen Landtage die freiheitliche Presse aus der Tasche zieht und ins Volk hinaus ruft, dass diese Presse dem Herrn Regierungschef [Josef Hoop] im Vorgehen gegen [Carl von] Vogelsang nicht recht gebe, ist ein Hohn und ein Schandfleck in den Protokollen des Landtages. [4]

Wir alle wissen, dass die freiheitliche Presse unserer Regierung, lediglich aus dem Grunde weil ihre Tätigkeit in katholisch-konservativer Richtung sich erstreckt, weniger gut gesinnt ist. (Das Mehr wird dann schon von liechtensteinischen "Patrioten" besorgt. Die Schr. [Schriftleitung]) Wir wissen, dass unwahre und übertriebene Meldungen über unser katholisches Land von dieser Presse gebracht werden. Es ist keine Ehre für einen Abgeordneten, wenn er im öffentlichen Landtage die freiheitliche Presse aus der Tasche zieht und damit gegen das Vaterland kämpft, und nur, um eine Bestätigung zu erlangen, dass unser Regierungschef bei der Entlarvung eines Verräters nicht mit der nötigen Schonung vorgegangen sei.

Sie bezeichnen denjenigen, der behaupte, dass Dr. Schädler Interesselosigkeit zeige oder Sabotage von wirtschaftlichen Problemen beabsichtigte, als abgefeimten Lügner. Diese Behauptung habe ich in meinem Artikel nicht aufgestellt. Doch kommen ich nicht herum, ihnen zu erklären, was abgefeimt ist.

Wenn man mit einer absterbenden Gruppe, die für sich öffentlich in Anspruch nimmt, dass sie die Lotterie gebracht und wieder entfernt habe und dabei dem Lande jährlich 300’000 Franken Schaden zugefügt hat, [5] eine Union bildet, so ist dies nicht abgefeimt, zeigt aber von einer grenzenlosen Kurzsichtigkeit.

Wenn man in schwerer Zeit wegen Entlarvung eines Verräters mit Absicht eine Regierungskrise herbeiführen und den Regierungschef beseitigen will, so ist dies auch noch nicht abgefeimt, jedoch staatsschädigend und sesselsüchtig.

Wenn man im öffentlichen Landtage die Polizei als Tierbändiger hinstellt, so ist dies nicht abgefeimt, hingegen bewusst die Autorität untergraben und das Volk verhetzt, solche Leute gehören nicht in den Landtage. [6]

Wenn man zuerst für die Bürgerpartei, dann für die Abschaffung der Parteien und als Übergang, wie es die Herren nennen, für den Proporz eintritt, ferner mit diktatorischem Beigeschmack Demokratie heuchelt, so ist dies nicht mehr abgefeimt, sondern derjenige, der solches macht, hält das Volk für grausam dumm.

Abgefeimt ist jedoch derjenige, welcher im Norden der Diktatur zujubelt, im Westen der Freiheit huldigt und vor dem Volke des Heimatlandes als grosser Katholik sich feiern lässt.

Ihr Herren Oppositionsführer, was war eigentlich schöner, eine Landtagssitzung, bei welcher Ihr einen Mann angeekelt habt, der Grosses geleistet hat in unserer Heimat, oder so eine Kanaleröffnung! [7] Letzteres war auch ein Kampf, der Schlusskampf mit einem Landesfeind, dem Wasser, und er wurde besiegt, besiegt von Dr. Hoop. Keiner hat dies zu Wege gebracht, ihm, Dr. Hoop, blieb es vorbehalten, nach zwei ungeheuren Landeskatastrophen, dasjenige in Angriff zu nehmen, u. zu vollführen, was diejenigen, mit denen Ihr einen Bund geschlossen habt, als Unsinn bezeichnet haben. Mit Projekten hat man durch Generationen die Unterländer gefüttert. Als politisches Mittel wurde der Kanal bei Abstimmungen vorgeschoben. Heute ist dieses grosse Werk der Hauptbestimmung zugeführt, ein Feind ist besiegt und im gleichen Monate fasst Ihr Beschlüsse, diesem Manne das Misstrauen auszusprechen und die Ruhe und Ordnung in Frage zu stellen, wenn Dr. Hoop im Amt bleibe. Ich überlasse es der Öffentlichkeit, sich über dieses Vorgehen ein Bild zu machen.

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[1] L.Vo., Nr. 57, 19.5.1937, S. 1. Der Verfasser konnte nicht identifiziert werden.
[2] Vgl. L.Va., Nr. 38, 12.5.1937, S. 1f.; L.Vo., Nr. 52, 5.5.1937, S. 2 ("Unterländer Brief").
[3] Der Artikel, auf den hier Bezug genommen wird, konnte nicht eruiert werden.
[4] Schädler zitierte in der ausserordentlichen Landtagssitzung vom 24. April 1937, die wegen der von der Opposition erhobenen Forderung nach einem Rücktritt von Regierungschef Hoop einberufen worden war, aus der liberalen Schweizer Presse, die die Haltung der Opposition unterstützte. Vgl. LI LA LTP 1937/061.
[5] Anspielung auf die Mutualclub-Lotterie, die im Juli 1934 auf schweizerischen Druck ihren Betrieb einstellen musste.
[6] In der Landtagssitzung 24. April 1937 (vgl. Anm. 3) warf Basil Vogt der Polizei überhartes Vorgehen vor und behauptete, die Polizisten "würden zum Teil besser in eine Menagerie passen". Vgl. LI LA LTP 1937/061.
[7] Am 8. Mai 1937 wurde der Kanalabschnitt von Bendern bis zur Mündung bei der Landesgrenze in Betrieb genommen.