Die organisierten Arbeiter verlangen als Anfang einer verbesserten Berufsausbildung die Einführung von Kursen im gewerblichen Zeichnen während des Winters, um so die Chancen der Saisonniers auf dem Schweizer Arbeitsmarkt zu verbessern


Zeitungsbericht, nicht gez.

16.10.1920

Zur Ausbildung unserer Arbeiter und Gewerbetreibenden.

(Eingesandt.)

Längst wurde es in unserem Lande als Übelstand empfunden, dass wir keine gewerblichen Fortbildungsschulen haben, wo sich die Arbeiter und Gewerbetreibenden die in heutiger Zeit so nötige Fachbildung holen können. Zwar wurde schon vielfach über dieses Thema geschrieben und zweimal wurden auch schon Kurse im praktischen Zeichnen gegeben. Allein wer weiss, dass die paar Kronen, die hiefür verausgabt wurden, buchstäblich herausgepresst werden mussten, könnte wohl Bedenken haben, ob je einmal bei uns Ernst gemacht werde mit der beruflichen Ausbildung der arbeitenden Klasse. Dank der Organisation unserer Arbeiter ist jedoch eine Besserung der Einsicht auch an höherer Stelle in Aussicht. Aus Arbeiterkreisen heraus wurde in letzter Zeit die Forderung laut, es sollte im Lande endlich eine Gelegenheit geschaffen werden, dass sich junge Burschen zwischen 15 und 20 Jahren für ihren Beruf während der Wintermonate ausbilden können. Tatsache ist ja, dass von jeher ein sehr beträchtlicher Teil unserer Arbeiterschaft das Brot nicht in Liechtenstein verdienen konnte. Mehrere hundert Arbeiter, darunter viele Verheiratete und selbst ergraute Männer zogen jeweils im Frühling in die Schweiz, um dort für sich und die Familien den Lebensunterhalt zu erwerben. Unsere Leute wurden überall gerne angestellt, konnten aber gewöhnlich nur zu harter Arbeit verwendet werden, weil ihnen eine gute Fachbildung (Zeichnen, Buchführung usw.) fehlte, während viele Arbeiter aus den Nachbarländern mit der gleichen oder sogar mit geringerer geistiger Fähigkeit als Polier u. dgl. Verwendung fanden und besser bezahlt wurden, weil sie eben in der Heimat Gelegenheit zu theoretischer Ausbildung hatten. Aber auch jene Arbeiter und Gewerbetreibenden, die ihr Auskommen in Liechtenstein fanden, vermissten eine fachliche Ausbildung, wenn sie dieselbe nicht im Ausland geholt hatten. Wohl besuchten in den letzten Jahren junge Leute die Zeichenschule Buchs, allein der weite Weg, namentlich bei schlechtem Wetter bedeutete für dieselben ein Opfer. Aus diesen Gründen nun erwartet die liechtensteinische Arbeiterschaft, dass endlich im Lande selbst für eine Bildungsmöglichkeit in obigem Sinn gesorgt werde. Es wäre allerdings sehr wünschenswert, wenn der gleiche Unterricht in mehreren Gemeinden erteilt werden könnte. Allein der hohen Auslagen wegen wird man sich zunächst damit begnügen müssen, dass man nur an einem Orte, am besten in der Landesschule in Vaduz, wo schon ein passendes Lokal zur Verfügung steht, einen Winterkurs im gewerblichen Zeichnen (Samstag-Nachmittag) von anfangs November bis zirka Ostern abhält. Wir vernehmen, dass bereits in dieser Richtung Schritte eingeleitet wurden und dass auch Aussicht besteht, einen sehr tüchtigen Fachmann aus der Nachbarschaft als Lehrperson gewinnen zu können. Allfällig anzuschaffende Materialien und Modelle für den Unterricht könnten dann auch an der Landesschule verwendet werden. Nähere Ausführungen hängen von der Verwirklichung obigen Planes ab. Es wird dann später wohl auch die weitere Frage geprüft werden, ob es sich nicht empfehlen wird, diese Zeichenschule zu einer kleinen gewerblichen Fortbildungsschule zu erweitern. Gerade in dieser Hinsicht ist Liechtenstein weit zurück. Allerdings stehen dergleichen Pläne sehr im Zusammenhange mit dem Ausbau des Verkehrs. Hebung des Verkehrs und Besserung des Schulwesens sind Hauptprogrammpunkte der nächsten Jahre. In einer Hinsicht kann man es verstehen, dass nach Abschaffung des 9. Schuljahres für Knaben gerufen wird. Jedoch wird an irgend einen Ersatz gedacht werden müssen und zwar mit praktischer Bedeutung. Bei der nächstens vorzunehmenden Verfassungsrevision wird auch das Schulwesen an die heutigen Verhältnisse anzupassen sein. Wir brauchen ja nur in den Nachbarstaaten Umschau zu halten, so haben wir Fingerzeige.

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[1] O.N. 16.10.1920, S. 1.