Das „Liechtensteiner Volksblatt“ betont, dass der Lehrplan der Landesschule Vaduz besonders auf die Berufspraxis ausgerichtet sein müsse (2)


Abhandlung im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

7.6.1918

Die Landesschule in Vaduz

II.

Es zeigt sich immer mehr, dass gerade in neuester Zeit mehr als früher – wir wollen nicht anzüglich werden und die jetzigen Kriegsverhältnisse nicht allzu sehr in Berechnung ziehen – es zeigt sich stets deutlicher, dass derjenige im Nachteil ist, der sich nur auf seine körperliche Tüchtigkeit verlässt. Er wird es über den Lohnarbeiter, der im Dienste anderer steht, selten hinausbringen. Gesellt sich aber zu dieser körperlichen Befähigung noch eine gute Schulbildung, dann kann es auch der Ärmere zu etwas bringen, auch hierzulande. Vorausgesetzt ist allerdings eine gewisse praktische Veranlagung, die die Schule nicht eintrichtern, wohl aber, wenn sie vorhanden, möglichst ausbilden kann.

Unsere Landwirte z. B. werden bei unseren kleinen Verhältnissen zwar selten Grossbetriebe einrichten können. Aber auch für kleinere Betriebe lohnt sich eine einfache Buchführung. Der Bauer soll rechnen. Je besser er im Rechnen schulmässig eingeübt werden konnte, desto eher wird er bei praktischer Veranlagung nicht nur abschätzen, sondern bis zu einem gewissen Grade vorausberechnen können, wie er dies oder jenes nutzbringend in Angriff nehmen, dieses veraltete Verfahren aufgeben, jenes neue, aber bewährte, einführen kann. Auch seine Ausbildung im Zeichnen wird ihm in einzelnen Fällen zustatten kommen. Die Naturgeschichte und die Naturkunde klären ihn auf über den wunderbaren Zusammenhang, die strenge Gesetzmässigkeit in der Natur und machen ihm die Kinder der Natur, mit denen er ja jeden Tag im Zwiegespräche steht, doppelt lieb und mit ihnen die heimatliche Erde, die sie hervorbringt. Aber auch praktischen Nutzen wird sie ihm bringen, wir denken da an Ausbildung der Baumpflege, der Beeren- und Gemüsekulturen usw. Etwas Chemie wird den jungen angehenden Landwirt aufklären über Bodenarten und Düngerkunde. Er wird lernen, wie nicht jeder Dünger wahllos jeder beliebigen Pflanze oder Bodenart zusagt usw.

Die Geschichte wird ihm Aufschluss geben über ehemalige Verhältnisse im In- und Ausland und ihm dartun, wie deren Kenntnis fruchtbringend auf die Gegenwart angewendet werden kann, für ihn und seine Mitbürger. Geographie und Handelsgeographie werden ihm verständlich machen, dass die Welt nicht mit Brettern verschlagen ist, werden ihm die Schauplätze des geschichtlichen Geschehens vor Augen führen, ihm Absatzgebiete für seine Erzeugnisse zeigen und überhaupt seinen Blick ins praktische Leben erweitern.

Der Unterricht im Deutschen wird ihm ermöglichen, gute Bücher, Zeitschriften und Zeitungen mit Verständnis und Nutzen lesen zu können, ordentliche Briefe zu schreiben und richtige Eingaben, Kaufbriefe usw. abzufassen, ohne die Hilfe anderer in Anspruch nehmen zu müssen. Auch eine fremde Sprache wird sogar einem Landwirte da und dort zustatten kommen. Etwas Bürgerkunde wird ihn instand setzen, am öffentlichen Geschehen und Gebahren im Vaterlande mit mehr Verständnis teilzunehmen und seine Bürgerpflichten und Bürgerrechte ernster zu nehmen. Ein vertiefter Religionsunterricht endlich und Kirchengeschichte sind geeignet, den Jungen gegen Zweifel zu wappnen und sein höchstes Gut, seine Religion und damit seinen Menschenpflichten und seinen Lebensstil höher und heiliger zu halten.

Und wer wollte zweifeln, dass all das hier kurz und unvollständig Gesagte auch zum grossen Teil und teilweise in erhöhtem Masse für unsere andern Bürger gelte? Der Arbeiter, Handwerker, Kaufmann, Gewerbetreibende, der Mann in öffentlicher Stellung, Beamte, Ortsvorsteher, Kassier, Vereinsleiter usw., jeder wird aus besserer Ausbildung in dem oder jenem angeführten Fache einen umso grösseren Nutzen ziehen. Nicht als ob unsere Volksschule dies oder jenes nicht schon in ziemlichen Ausmasse vermittle, aber alles lässt sich dort begreiflicherweise nicht so eingehend behandeln, und für unser Volk soll das Beste gerade gut genug sein.

Ist daher eine bessere Schulbildung für unsere ansässige Bevölkerung nichts weniger als Luxus, so gewinnt sie eine erhöhte Bedeutung für jene, die im Ausland an Fachschulen und höheren Lehranstalten sich weiter ausbilden wollen oder in der Fremde ihr Brot verdienen müssen. – Darüber und über den Schulbetrieb ein andermal.

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[1] L.Vo., Nr. 23, 7.6.1918, S. 1-2. Der 1. Teil dieser Abhandlung findet sich in: L.Vo., Nr. 22, 31.5.1918, S. 1 („Die Landesschule in Vaduz. I.“).