Der Korrespondent der Neuen Zürcher Nachrichten lobt die jahrhundertealten guten Beziehungen zwischen der Ostschweiz und Österreich und die - dank der Freigebigkeit des Fürsten - sehr ordentlichen Verhältnisse in Liechtenstein


Beitrag des Korrespondenten der Neuen Zürcher Nachrichten[1]

1916

Aus Vorarlberg und Liechtenstein

(Korr. aus St. Gallen)

Soeben erhalte ich von einem befreundeten höchsten Beamten wieder einmal einen Brief über den Rhein. Ich gebe daraus folgende Stelle wieder: "Innig hat mich gefreut, Ihre warme Anerkennung und zum Ausdruck gebrachte Befriedigung und zum Ausdruck über Österreichs spezielle Erfolge und die in der Geschichte einzig dastehenden Kämpfe! Ich weiss, wie teilnahmsvoll gerade die Ostschweizer der altehrwürdigen habsburgischen Monarchie ihre Sympathie entgegenbringen und sind speziell gerade die “Neuen Zürcher Nachrichten“ und die „Ostschweiz“ in dieser Hinsicht tonangebend. Geradezu unbegreiflich erscheinen mir die katholischen Westschweizer. Da sollte doch für gläubige Katholiken, wenn es auch von Geburt und Sprache Franzosen sind, längst jegliche Sympathie mit der – – Republik Frankreich von der Freimaurer Gnaden aufgehört haben. Muss doch schon ein Kind sehen, gegen wen dort seit Jahren die Wortführer der Freimaurer den jetzigen Krieg führen!“

Wir bemerken zu diesen Äusserungen – dass der grössere Teil des Freiburger Volkes nicht mit gewissen sogenannten obern Kreisen identisch zu nehmen ist.

Die Bemerkung im Vorarlberger Brief vom guten Verhältnis Österreichs zu der Schweiz datiert schon aus der Mitte des 15. Jahrhundert. Es ist das Verdienst des Friedensstifters vom Tage zu Stans, des seligen Nikolaus von der Flüe, dass es ihm schon zu Zeiten des Herzogs Sigismund möglich wurde, Österreich und die alte Eidgenossenschaft dauernd zu vereinigen – seit jenen Tagen blieb das Verhältnis Österreichs zu der Schweiz stets ein freundnachbarliches.

Über das stille Fürstentum Liechtenstein schwirren wieder einmal entstellende Berichte, und es wird namentlich die landesväterliche Gesinnung des Fürsten [Johann II. von Liechtenstein] bestritten. Den Kritikern aus dem bekannten Lager empfehlen wir die auf amtlichen Akten aufgebaute Landesbeschreibung und – Geschichte des Herrn Landesverwesers und fürstlichen Kabinettsrates. Dr. [Karl] von In der Maur zur Einsicht zu nehmen. Wer übrigens nur einen einzigen Blick über das Ländchen von bloss zehn Gemeinden und rund 10‘000 Einwohnern wirft und die lange Strecke der Rheinregulierung, das Entwässerungs- und Bewässerungskanalnetz, die Wildbachverbauung, die schönen Strassen bis hinauf ins Gebirge überblickt, dem wird ohne weiteres klar, dass diese wenigen Gemeinden solches nicht zustande gebracht hätten, ohne die ausgiebigen Mittel des Fürsten. Und Österreich gibt als Entschädigung aus der für das Ländchen besorgten Zoll- und Postverwaltung Hunderttausende ab. Von Notzuständen Liechtensteins wurde die Aussenwelt wenig behelligt bis zu diesem Weltkrieg, der seine tiefen Spuren auch über die Nachbargebiete Liechtensteins und die übrigen Staaten eingräbt.

Die Brotfrage und dergleichen Sorgen betreffen nicht bloss das isolierte Ländchen, sondern auch die dasselbe umschliessenden Staaten. Österreich, dem von gewissen Kritikern Vorwürfe gemacht werden, befindet sich darin selber in misslicher Lage. Zu normalen Zeiten zeigt Liechtenstein eine beneidenswerte Landesverwaltung und kommunale Ordnung. Schul- und Armenwesen sind so gut bestellt als anderswo – zwar auch unter kräftiger Mithilfe des Fürsten – für die Töchter des Ländchens hat der Fürst ein neu gebautes Schloss in Balzers als Erziehungsinstitut mit entsprechender Fondation zur Verfügung gestellt. Dass der Fürst auch bei Kirchenbauten und Renovationen die Hand öffnet, verdient doch gewiss eher Anerkennung als Tadel!

Klöster hat Liechtenstein nur eines – das Missionskloster auf Schellenberg, das ganz aus eigenen Mitteln und durch den Arbeitsfleiss der Insassen sich erhält und vom Fürsten nichts verlangt und nichts bezieht. Das ist die Wahrheit über Liechtenstein!

______________

[1]Neue Zürcher Nachrichten 1916, Nr.39.