Zeitungsbericht, gez. Franz Roeckle [1]
7.2.1920
Arbeiterbewegung in Liechtenstein.
An den geplanten Zusammenschluss der Liechtensteiner Arbeiter knüpfen sich in den beiden Liechtensteiner Zeitungen bereits Polemiken, die geeignet sind, von vorneherein die an und für sich zu begrüssende Organisation in falsche Bahnen zu lenken. Einer dieser Zankäpfel ist die Frage, ob eine sozialistische Gewerkschaft oder ein konfessioneller Arbeiterverein geschaffen werden soll. Nennen wir die erste rot und die zweite gelb und versuchen wir zu beweisen, dass beide Farben für sich gleich falsch gewählt sind.
Unter der roten Fahne entwickelt sich der Zusammenschluss zu einer Kampforganisation und bedingt, den Aufbau auf einer reinen Klassenschicht, Arbeitnehmer als Nichtproduzenten gegen grosskapitalistische oder staatliche Organisation nach dem Muster von Grossstaaten im Kampfe entgegengesetzter Organisationen. Die Konsequenz dieses Klassenkampfes ist für Arbeiter als Klasse der Kommunismus oder Bolschewismus. Halber Weg ist Zeit- und Kraftverlust, das Ziel die Vernichtung alles Bestehenden, eine Irrlehre, die wieder in Reinkultur nur als Idee leben kann, angewandt, jedoch an der Rasseneigenschaft der lebenden Menschen selbst zerschellen muss. An den vorhandenen Beispielen lässt sich das Ende beschreiben, wie die Ursache zu verstehen ist.
Es ist hier nicht beabsichtigt, so weitgesteckte Ziele und Wege der neuen Organisation zu unterschieben. Vielmehr soll der Verband den Stand heben und stützen; durch Bewirkung von Gesetzen über auskömmliche Löhnung, Krankenkassa, Invalidenkassa, Unfall- und Altersversicherung, Sterbekassa u.s.w. Es ist nichts Neues darin, was in anderen Staaten schon seit Jahrzehnten erreicht und sich bewährt hat. Zusammengefasst bedeutet es eine selbstverständliche Forderung und entbindet den Arbeitgeber seiner patriarchalischen Pflichten, indem sie diese auf breiterer Basis aufbaut und der Entwicklung und grösserer Freizügigkeit Rechnung trägt. Für Arbeitnehmer bedeutet die Einrichtung ein Recht. Und da es kein Recht ohne Pflichten gibt, auch Pflichten. Jede Aufstellung einer Forderung bedingt das Vorhandensein des Geforderten. In diesem Falle die Möglichkeit der Arbeit und der dazu zu schaffenden Mittel der Durchführung. Der Zusammenschluss einer Klasse ist nach den Verhältnissen in unserm kleinen Ländchen schon ein Unding und bleibt ein Schlag in die Luft. Auch wäre er eine Selbsterniedrigung, wie die Abschliessung Einzelner eine Selbstüberhebung bedeutet, wenn einer lesen will unchristlich oder undemokratisch. Eine reine Arbeiterschicht besitzen wir glücklicherweise im Ländchen nicht, mehr oder weniger sind alles Besitzende oder doch Besitzanstrebende. Für diese kann es sich doch nicht handeln, Überragende nieder zu richten, sondern sich selbst oder ihre Sprösslinge anzuhalten, mehr zu werden, den Weg zu ebnen, dass dies jedem der Ihrigen ermöglicht wird, wenn er sich durch Kraft, Selbstdisziplin und Fleiss aufzuschwingen im Stande ist. Für die Gesundung der Welt im Grossen oder auch eines kleinen Ländchens kann nur beigetragen werden, die Klassen zu vergessen und sich miteinander zu vertragen. An gemeinsamen Zielen gemeinsam frei zu arbeiten, zu dem Jeder durch die Verhältnisse geschaffen ist und dem Tüchtigen freie Bahn lässt. Die rote Fahne wird das Heil nicht bringen. Vielleicht die gelbe?
Fast alle paar Wochen wird hier ein neuer Verein gegründet, um den Stand zu schützen. In Wirklichkeit Zusammenschluss zum Selbstzweck u. Machtentfaltung gegen die Aussenstehenden. Die Bewegung ist eine rein exzentrische (auseinanderstrebende). Darum Missstimmung, Not und Misstrauen überall im Lande. Welche Vorteile oder welchen Zweck eine starke konfessionelle Unterstreichung oder geistliche Führung die Arbeiterorganisation haben soll, ist nicht zu ersehen. Die christlichen Organe stehen dem Chaos der Welt machtlos gegenüber, wie sie nicht zu verhindern wussten, die Ursachen zu vermeiden. Die Lehre Christi muss ins Herz eines Jeden ohne Furcht mit Liebe gepflanzt werden, wie sie sich den Weg zu Beginn in der Welt gebaut hat. Wo dieser Unterton fehlt, hält die gelbe Farbe nicht und wo er vorhanden ist, wird er so durchleuchten.
Wenn es ein Verein sein muss, so bleibe er auf dem Boden, auf welchem er wachsen und gedeihen soll. Das Nächstliegende sind dann die Farben des Landes blau-rot.
Durch Verhetzung und Spaltung ist nun künstlich das Durcheinander erreicht worden. In Wirklichkeit besteht überhaupt keine geordnete Staatsmaschine mehr, sondern Anarchie, weil der Staatsgedanke vernichtet, das Gemeingefühl untergraben ist. An zwei Halmen halten sich die Massen. Die einen, die immer die Rettung in dem Anschluss an die Schweiz, die andern, die das Heil beim Landesvater suchen. Mit bestimmten Rechnungen können keine dienen und an das Nächste denkt niemand. Mit unglaublicher Mache wurde eine Herrenpartei gezeichnet, unter der sich wert- und verdienstvolle Männer finden, die Manchen als Ansporn dienen könnten. Getroffen wurde der Kern nicht, sondern nur erreicht, dass Allen die Röcke ausgezogen sind, die Schar auseinandergetrieben ist. Mit Ideen, die nur voreingenommenen Einseitigwissenden entspringen können, wurden Pläne geschmiedet, Hoffnungen erweckt, die vorweg jedem kühlen Prüfenden nebelhaft erscheinen. Von solchen, die nicht im Tagewerk stehen und es übersehen gelernt. Ein Bruchteil davon kann nur mit äusserster Anspannung vom Lande durchgesetzt werden. Ein Menschenalter Arbeit und Konzentration in guter Eintracht ist dazu nötig.
„Hilf dir selbst: so hilft dir Gott: — der Fürst liesse sich ebenso leicht sagen". Nicht minder gefährlich als die exzentrischen Triebe und das Liebäugeln mit den westlichen Nachbarn sind die gedankenlosen Ausstreuungen blinder Hoffnungen auf die Hilfe des Fürsten. Der Fürst hilft, der liebe Landesvater hilft! sind ebenso einschläfernd wie phrasenhaft, wenn ihm die Möglichkeit zur Hilfe unterbunden wird. Auf solche Phrasen lässt sich weder ein Staat noch eine Wirtschaft aufbauen. Nach erdeschwieliger Hand oder freiem Kopf riechen diese Worte nicht. Ein Stück Brot, das man essen kann, ist mehr wert als ein Braten zum Riechen. Die blinde Hoffnung auf die Schweiz ist ebenso trügerisch. Ohne Arbeit erhält dort niemand Verdienst und ohne Arbeit kann niemand im Lande Franken verdienen. Für die Schweiz ist der Anschluss eine Rechnung, wie er für die Liechtensteiner eine sein sollte. Der Liechtensteiner Arbeiter in der Schweiz findet dort Arbeit, wenn er Werte schafft; einen Teil wird er mit nach Hause nehmen, der Hauptanteil bleibt dem Orte der Arbeit. Wenn er im Lande bleibt, muss die Gelegenheit zur Arbeit geschaffen werden. Diese Arbeit hat doppelten Wert, weil sie die Werte des Landes vermehrt. Die neue Währung ist faktisch im Lande üblich. Das alte Barvermögen vernichtet. Wer die grösste Schuld trägt, mögen dauernd Ansässige beurteilen, ob es zu verhindern, abzuschwächen gewesen wäre auch. Heute sei mit der Tatsache gerechnet, dass ein Arbeiter im Lande, der nicht auch Selbstversorger ist, bald ganz auf Franken angewiesen ist. Die Folge ist natürlich, dass die ganze Produktion auf Frankenwert sich stellt, d. h. dass bald ein Bauer, der einen Stall bauen will, 10.000 Franken ausgeben muss, während vor dem Kriege 5000 Kronen oder nach dem Kurse 500.000 Kronen. Als Tatbestand bis zu einer Umstellung und langsamen Ausgleich bedeutet dies eine Landeskatastrophe, schlimmer als ein Rheinbruch mit dem Unterschied, dass die Tatsache nicht jedem gleich zu Gesicht kommt und deshalb die Folgen vernichtender wirken.
Das Landeskrankenhaus war im Sommer 1919 auf Grund ingehender Unterlagen nach dem damaligen Kronenwert und Arbeiterverhältnissen auf 3.500.000 Kronen veranschlagt. [2]War dies schon eine hohe Summe, so ist sie verantwortlich im Sinne des Volkswohles, das letzten Endes die wertvollste Geldanlage bleibt. Bei einem Taglohn von 100 Kronen und Deckung der möglichen Materialien im Lande, eingerechneten erforderlichen Bezüge von Österreich und Deutschland würde die Ausführung heute mit 15.000.000 Kronen kaum zu decken sein. Auf der Basis der Frankenwährung mit Bezug aus der Schweiz nicht unter 1.200.000 Franken oder zum Kurse 60.000.000 Kronen. Bei einem Bauherrn, dessen Wirtschaft auf Kronenwährung aufgebaut ist, sind die Schwierigkeiten leicht auszumalen. Dieselben Schwierigkeiten ergeben sich bei all den andern Plänen, Kraft, Bahn, Riedentwässerung. -
Liechtenstein den Liechtensteinern ist auch Programmpunkt der Arbeiterorganisation. Für den Liechtensteiner Arbeiter ist leider für die nächste Zeit kein grosses Feld im Lande und die Abwanderung wird einsetzen, vielleicht bleiben nur die Statuten übrig, wenn der neue Verband nicht ein Zweckverband auch im Interesse des Landes und dessen Wirtschaft wird. Wenn er der Anfang ist zum Zusammenschluss Aller für Einen und Einer für Alle, dann werden auch die weitgesteckten Ziele und erweckten Hoffnungen langsam durchführbar. Dazu gehört Einsicht, Verständnis, auf das sich das Gesetz stützt und Macht verleiht, es durchzuführen. Gesetzmässig ist die Schöpfung des Alls und des kleinsten Werdens. Um Gesetzmässigkeit, Ordnung und Stosskraft zu schaffen, wird auch diese Organisation gegründet. Wenn dem lebenden Körper, dem Staat oder Landesgedanken dies abgesprochen wird, ist es nur ein Verein zur Beraubung der Leiche desselben, eine Hyäne, die sich am Aase gütlich tun will und sich dann nach einem andern Aase umsehen muss. Möge die neue Organisation mit gutem Beispiel zum gemeinschaftlichen Aufbau und Gesundung der Wirtschaft dem Wohle des Volkes beitragen als freie Weltenbürger.
Franz Roeckle.
(Wir geben diese Gedanken unter allem Vorbehalt wieder. Welches ist den» das Heilmittel? Red.)