Reisebericht, nicht gez. [1]
4.10.1912
Unsere Landsleute in Wien.(Schluss.) Auf Samstag war die Fahrt nach Eisgrub u. Feldsberg angesetzt. Früh 7 Uhr stand die ganze Karawane zirka 115 Personen stark, am Nordbahnhof zur Abfahrt parat. Der Herr Sektionsrat [Zdenko Hussa] war auch hier wieder erschienen, um mit seiner Kasse uns zu begleiten. Er besorgte die Bilette für Hin- und Rückfahrt. Die Fahrt nach Eisgrub dauerte etwa drei Stunden; leider regnete es immer noch. In Eisgrub konnten wir die herrlichen Anlagen, Gärten, den Palmgarten, die Schlosskirche und die schönsten Zimmer des Schlosses sehen. Das grösste Erstaunen erweckte das Palmenhaus mit den schönen Palmen und dem reichen Blumenflor, der das ganze Jahr in schönster Fülle blüht. Hier in Eisgrub wurde Fürst Johann II. geboren. Von Eisgrub brachte man uns per Wagen in einstündiger Fahrt nach Feldsberg. Dort erwartete uns ein solenes Mittagsmahl; nach dem vorher die Augen sich geweidet hatten, kam hierauf der Magen reichlich auf seine Rechnung. Dann wurde die prachtvoll restaurierte Kirche angesehen. Und nun gings hinauf ins fürstliche Schloss, dessen innerer Glanz alle in Staunen setzte.
Jetzt aber sollte uns die grösste Überraschung bevorstehen. In die fürstliche Kellerei! hiess es. Man führte uns hinab in unterirdische Gewölbe, die lebhaft an die Katakomben in Rom erinnern. Es war ein etwa 80 Meter langer Gang, zu dessen beiden Seiten Weinfässer von gleicher Grösse lagen. Vor jedem Fass brannte eine Kerze. Ein ebenso langes und ebenso mit Fässern angefülltes und mit Kerzen erleuchtetes Gewölbe kreuzte mit diesem Gewölbe. Im Hintergrunde liegt ein Fass, das nicht weniger als 56,000 Liter fasst. — Da, wo die beiden Gewölbe sich kreuzen, waren Tische aufgestellt mit Flaschen vom Besten und mit Schinken, Zungen, Käse und Brot! — Nun stieg der Jubel aufs Höchste. Ein vom Herrn Kabinettsrat [Karl von In der Maur] ausgebrachtes „Hoch" auf den Durchlauchtigsten, allverehrten Gastgeber löste Salven der Begeisterung aus. Begeistert erscholl in diesen- Gewölben wohl zum erstenmal das Vaterlandslied: „Oben am deutschen Rhein!" — Herr Kanonikus [Johann Baptist Büchel] dankte bei diesem Anlasse dem Herrn fürstlichen Sektionsrat Husza für sein liebevolles Bemühen um uns Liechtensteiner und das begeisterte Hochrufen erfreute den greisen Beamten sichtlich. Aber auch diese frohe Stunde flog rasch vorüber und es hiess: Auf zur Bahn! Einigen soll der Abschied so schwer gefallen sein, dass sie den Zug nicht mehr erreichten. Die Hauptmacht aber eroberte im Laufschritt die Station, als der Zug eben angefahren war. In heiterster Stimmung langten wir abends 7 Uhr in Wien an.
Am Sonntag fand der grossartige Umzug statt, von dem die freundlichen Leser in den Zeitungen gelesen haben werden. Unsere Gruppe, 96 Mann hoch, marschierte mit der Landesfahne im ersten Treffen, das 41,000 Mann zählte, zwischen den Spaniern und Ungarn. Führer dieses ersten Treffens war Prinz Eduard Liechtenstein. Als er an den Liechtensteinern vorüber ritt, rief er ihnen laut zu: „Seid mir herzlich gegrüsst, liebe Liechtensteiner!" — Hinter den Liechtensteinern kamen im 1. Treffen die Ungarn und dann die Tiroler und Vorarlberger. Im ganzen waren im Zuge 85,000 Mann, 6000 Priester, über hundert Bischöfe, 10 Kardinäle, dann eine grosse Zahl Fürsten und Grafen, dann der Kaiser [Franz Josef I.] mit dem Thronfolger [Franz Ferdinand], sämtliche Erzherzoge mit ihrem Gefolge in goldstrotzenden Galawagen und reichvergoldeten Gewändern. Das Allerheiligste war in kostbarster Monstranz im schönsten Wagen, von 8 spanischen Rappen feierlich langsam gezogen. Im Wagen knieten zwei Kardinäle. Hinter dem Allerheiligsten folgten entblössten Hauptes in einem von 8 Schimmeln gezogenen Wagen der greise Kaiser mit dem Thronfolger. Ein ungeheurer Jubel erhob sich, beim Anblick des Kaisers. Das Ganze war ein Schauspiel von solcher Grösse, wie Wien noch keines gesehen hatte.
Des Nachmittags wurde die Kaisergruft, der Stephansdom und anderes besucht. Aber auf abends halb 8 Uhr war in unserem Hauptquartzier Generalversammlung aller Liechtensteiner angesagt. Da erschien zur allgemeinen Freude auch der Bischof [Georg Schmid von Grüneck] von Chur. Wieder entwickelte sich eine fröhlich patriotische Feststimmung. Herr Kabinettsrat toastete auf den Bischof Georgius; der Bischof hielt eine längere, freudig aufgenommene Ansprache; Oberlehrer [Josef] Frommelt toastierte auf die Herren Kabinettsrat und Kanonikus, letzterer auf den General der liechtensteinischen Armee, Professor Sch. Abermals stieg „Oben am deutschen Rhein“, eingeleitet durch Herr Lehrer [Georg] Minst, der beim Aufmarsch die Liechtensteiner geführt hatte.
Der Montag Vormittag war zur freien Verfügung überlassen. Des Nachmittags konnten wir das fürstliche Majoratspalais besichtigen, dessen innere Herrlichkeit und Pracht alles bisher Gesehene übertrifft. Dann sahen wir noch die Stallungen, Pferde und Wagen des Kaisers, die einen ungeheuren Wert repräsentieren. Damit war das allgemeine Programm abgewickelt.
Am Dienstag morgens verliessen wir die Kaiserstadt. Nur einige unserer Damen blieben noch daselbst auf kurze Zeit zurück. „Wien ist schön und wir haben herrliches gesehen, aber da bleiben möchte ich nicht," so hiess es allgemein. In der Tat kann sich der Ländler in diesem Lärm und Gewirre und Gedränge einer Weltstadt nicht heimisch fühlen. Die Gegend zwischen Wien und Salzburg ist reizend und reich an schönen Landschaftsbildern.
Um 2 Uhr nachmittags langten wir in Salzburg an, wo die meisten übernachteten, während einige die Heimfahrt fortsetzten. Salzburg hat allen ausgezeichnet gefallen. Die herrliche Lage, die schmucken Bauten und das gemütliche Verkehrsleben der Stadt hat allen das Bekenntnis abgenötigt: „Hier ist es schön, da gefällt es mir."
Endlich kam der glückliche Mittwoch der uns zu den heimatlichen Penaten zurückbrachte. Gottlob lief alles ohne Unfall ab; alle kehrten wohlbehalten zurück und werden gewiss diese Wienerreise Zeitlebens in gutem Andenken behalten.
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[1] L.Vo. 4.10.1912, S. 1 f.