Zeitungsbericht, nicht gez. [1]
3.3.1923
Auswanderungsfragen. (Einges.)
Unter obiger Marke schrieb ein Korrespondent in Nr. 15 des „L. V.“ in gediegener und anregender Weise. Mancher, der in der gegenwärtigen Wirtschaftskrisis daheim sein Brot ehrlich nicht verdienen kann, denkt, in welchem Lande will ich mein Glück suchen. Nicht zuletzt kommt für viele Amerika in Betracht, dieses Land des Glückes. Dem ist nicht immer so. Auch dort ist nicht alles Gold, was glänzt. Vor wenigen Tagen wurde der Redaktion des „Nidwaldner Volksblatt" ein Brief eines Unterwaldners in Amerika zugestellt, dem wir folgendes entnehmen, zur Warnung für solche, die sich, ohne die Verhältnisse „ennet dem grossen Wasser" zu kennen, zur Auswanderung entschliessen: „Ganz erstaunt waren wir darüber, dass ein so junger Bursche, wie Euer Sohn, seine lieben Eltern und das schöne Schweizerland verlassen will. Hoffentlich werdet Ihr nicht böse, wenn wir Euch die Wahrheit schreiben. Ich habe mit dem Meister darüber gesprochen, der ein erfahrener Mann ist, er gab mir aber schlechte Aussichten, und nach allem, was ich selbst gesehen und erfahren habe, muss ich sagen, dass er noch zu jung ist, dies Wagnis zu unternehmen. Schaut, meine Lieben, Amerika ist halt eben Amerika. Das beste Handwerk für einen Schweizer ist hier das Melken. Für andere Handwerker ist [es] sehr schwer, Arbeit zu bekommen, da die Einheimischen überall den Vorzug haben. Überdies ist die Gefahr gross, dass ein junger Bursche, wenn er noch Arbeit findet, über kurz oder lang durch schlechte Gesellschaft an Leib und Seele zu Grunde geht. Ein Melker ist angebunden einen Tag wie den andern. Für junge, lustige Leute wahrlich ein ödes Leben! Da gibt es keine Versammlungen, Trinkgelage, Tänze, Vorstellungen, ohne das sauer verdiente Geld alles wieder opfern zu müssen. Dass man immer bei den eigenen Leuten sein kann, muss man nicht denken; denn hier wird schnell gewechselt. Es kann ein anderer während der Arbeit deine Stelle übernehmen, dann bist du auf der Strasse: kein Brot, kein Verdienst, vielleicht wenige Dollar im Sack. Dann kommt der Hunger, das Heimweh; der Gedanke, wär ich doch daheim geblieben, martert das junge Herz. Man geht in die Stadt, sucht wieder eine Stelle, manchmal geht es wochenlang. Das Geld wird verzehrt. Vielleicht bekommt er dann 3-5 schlechte Plätze hintereinander. Gefällt das einem jungen Burschen?
Es herrscht hier grosse Arbeitslosigkeit. Tausende finden namentlich im Winter keine Arbeit. Diese armen Leute sind wirklich zu bedauern. Hier ist man übler dran als in der Schweiz. Da gibt es keine Unterstützung, kein Almosen. Ein jeder sorgt für sich, keiner bekümmert sich um den andern. Traurig, aber wahr ist, dass viele tausend Schweizer nicht einmal das nötige Geld haben, um wieder in die Heimat zurückzukehren."
Das ist wirklich auch für einen Liechtensteiner nicht sehr verlockend.
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[1] L.Vo. 3.3.1923, S. 2.