Reisebericht im Liechtensteiner Volksblatt, gez.Elias Wille[1]
15.3.1907
Reiseerinnerungen und Erlebnisse einiger Liechtensteiner
(Erzählt von Elias Willi.)
1. Von Buchs bis New-York.
Ein unvergesslicher Morgen, der Morgen des 19. April 1906. Bildet er doch in unserm Leben einen Wendepunkt von mehr oder weniger einflussreicher Wichtigkeit. Er führte uns aus der Heimat. „Amerikareisende heraus – höchste Zeit - schon einmal gerufen!" Schallte es kräftig durch unser Zimmer morgens drei Uhr im Restaurant „Bahnhof" in Buchs. Ein Sprung aus den Federn, in die Kleider geschlüpft, die Reisetasche zur Hand und zum Bahnhof! Ja, so pressiert hätts gerade nicht, du fürsorglicher Mahner! Gewiss hast du uns das letzte Stündchen Schlaf noch missgönnt und geraubt, bloss deshalb, um dich zu rächen, dass du unsertwegen aus den Federn kriechen musstest, oder um nachher um so ungestörter weiterschnarchen zu können - aus purer Selbstsucht. Grausamer Mensch! Indes die rauhe Wirklichkeit entriss uns bald solch philosophischen Betrachtungen.
Eine dunkle Masse bewegte sich auf dem Perron, hunderte von Emigranten schoben und drängten sich durcheinander, Schreien und Zurufe erschollen, Stimmengewirr in verschiedenen Sprachen drang an unser Ohr. Ein wenig erheiterndes Bild in so früher Morgenstunde! Wir schoben uns alsbald zusammen in ein Coupe und harrten der Abfahrt. Vier Uhr zehn Minuten! Fertig – ein Pfiff der Lokomotive, ein Ruck und langsam, langsam, als zögerte er, soviel Menschenmaterial dem Unbestimmten zu überliefern, setzte der Zug sich in Bewegung. So oft schon mit mechanischer Gleichgültigkeit hatten wir dem Pfiff der Lokomotive gelauscht, diesmal aber verursachte es doch ein eigenartiges, bislang nie gekanntes Gefühl, ein leises Prickeln den Rückgrat hinunter. Was mochte es wohl sein? War’s Gänsehaut? Möglich! Eingestanden in Worten hat es freilich keiner, umsomehr liessen Blick und Mienenspiel auf Bestätigung dieser Vermutung schliessen. Ach, es ist aber auch etwas gar so eigenes um Menschenherz und Heimat, und Scheiden ist so hart, und gar zu gern hätten wir in Trübbach noch einen letzten Blick hinübergeworfen über den Rhein, auf das alte, neuerbaute Gutenberg und auf das an seinem Fuss liegende Dörfchen – die herrschende Dunkelheit gestattete uns den Anblick nicht.
„Ma sieht nüt,“ klang es wehmütig! So leb denn wohl, geliebte Heimat, lebe wohl! Still, ein jeder nur seiner Empfindung lebend, lehnten wir uns wieder in die Coupeecke zurück, träumend von der soeben verlassenen Heimat und dem zu erhoffenden Glück in fernen Landen. Mit Tagesanbruch begann es lebendig zu werden in unserem Abteil; auch wir, einmal der trüben Stimmung entrissen, wurden jetzt munter, das Interesse an der Reise begann sich zu regen. Eben ging’s die Gestade des herrlichen Zürichsees entlang; in den blühenden Ortschaften erwachte das erste Leben. Die Landschaft, vom ersten Frührot vergoldet, bot einen prächtigen Anblick. „6 Uhr 30 Minuten – Zürich – eine Stunde Aufenthalt – Coupe nicht verlassen,“ verordnete uns der Schaffner. Da inzwischen auch der Magen seine Rechte geltend machte, versuchten wir’s mit dem mitgebrachten Morgenimbiss. Die weitere Fahrt führte nun durch fremde Gegenden, unbekannte Lande. Vorerst durch Aargau und Basel! Wohl verliert das schöne Schweizerland hier das Imposante seiner Natur, die hohen Berge; nur weiter unten bildet sich noch ein Höhenzug, teilweise bewaldet, nichtsdestoweniger ist es doch eine schöne Gegend, und um so fruchtbarer, meist welliges Terrain, gut bebaut und von reichem Obstwachs. Die schmucken Ortschaften verraten Wohlstand. Dass rege Industrie herrscht in diesen Landen, bezeugen die vielen Fabrikschornsteine. Ein Anblick aber bot sich hier dem Auge und zwar des öftern, den wir später nicht wieder genossen, ein, zwei oder auch mehrere Häuschen, altersgrau und verwettert, schindeln- oder strohbedeckt, moosbewachsen und steinbeschwert, hineingebettet wie traumverloren mitten in einen Wald von Obstbäumen, ein idyllischer Anblick so recht ein Bild von der Kultur noch unverdorbener Reize.
10 Uhr 15 Minuten trafen wir in Basel ein. Wir hatten nicht viel Zeit, bereits vor 12 Uhr mussten wir die Reise wieder fortsetzen. Die Koffer im Gepäckbureau aufgebend, begaben wir uns in ein nahes Restaurant, ein Mittagsmahl einzunehmen und unsere Angelegenheiten zu ordnen. Alsdann wieder zum Bahnhof! „He! Gepäcksrevision!" rief uns noch ein diensteifriger Zollbeamter nach, als wir an ihm vorbeieilten. „Wir gehen nach Amerika," gaben wir zurück. Gut wars!
Hätte nicht die veränderte Bauart der Waggons es schon getan, das raschere Tempo hätte sie uns verraten - die deutsche Bahn. Noch einmal setzten wir über den Rhein; der liebe Geselle brachte uns wohl noch die letzten Grüsse aus der Heimat; St. Ludwig im Elsass! Wir waren in deutschen Landen; durchwegs ebenes Gelände durch’s Elsass, das die Bahn durchschneidet, schnurgerade Linien, soweit das Auge reicht, rechts und links kleinere Ortschaften liegen lassend, doppelgleisig, ab und zu sauste ein Zug an uns vorbei. Die Landleute waren fleissig bei der Arbeit mit Pflügen und Säen beschäftigt. Auch der Hopfenbau wird hier betrieben. Etwas entfernt zog sich eine lange Hügelkette durchs Land, rebenbewachsen und von einigen Burgruinen gekrönt. Aus dem Badener Ländle grüsste der Schwarzwald herüber; in Mühlhausen, Colmar, Schlettstadt gabs jeweils Aufenthalt. „Strassburg - alles aussteigen." Gerne hätten wir das alte Strassburg und sein berühmtes Münster ein wenig angesehen, leider langte es aber nicht. Eine Erinnerung an Strassburg wollten wir aber doch mitnehmen, so gingen wir in's Bahnhofsrestaurant und tranken Strassburger Bier. Von kurzer Dauer war das Vergnügen! „Nach Mergentheim, Laupheim, Saarburg, Metz einsteigen," schrie schon wieder der Kondukteur zur Tür herein. Ade, Strassburger Bier, du hast uns gemundet, länger noch hätten wir uns vertragen, aber vorwärts! Die alsbald hereinbrechende Nacht deckte nun ihren Schleier über die kommende Landschaft und setzte weiteren Betrachtungen ein Ende. Um 7 Uhr erreichten wir Saarburg in Lothringen; um 10 Uhr Metz, 11 Uhr 30 Minuten Diedenhofen, vorläufig das Ziel unserer Reise. Hier mussten wir den nächsten Morgen abwarten. Gesehen hoben wir von diesen Städten freilich nichts als die Bahnhöfe.
(Fortsetzung folgt.)