Die liechtensteinische Regierung überträgt die Lebensmittelkontrolle im Fürstentum Liechtenstein der landwirtschaftlich-chemischen Versuchs- und Lebensmitteluntersuchungsanstalt des Landes Vorarlberg


Maschinenschriftlicher Vertrag zwischen dem Vorarlberger Landesausschuss, gez. Landeshauptmann Adolf Rhomberg, und der liechtensteinischen Regierung, gez. Landesverweser Karl von In der Maur [1]

9.12.1910, Bregenz / 13.12.1910, Vaduz

Übereinkommen

zwischen dem vorarlbergischen Landesausschusse [2] und der fürstlich liechtensteinischen Regierung betreffend die Lebensmittelkontrolle im Fürstentum Liechtenstein [3]

Die fürstlich liechtensteinische Regierung verpflichtet sich, der Landes-Lebensmittel-Untersuchungsanstalt in Bregenz [4] für die von derselben durch jährlich dreimalige, sich auf das ganze Landesgebiet erstreckende, unangesagte Revisionen der Lebensmittel-Erzeugungs-, Verkaufs- und Aufbewahrungsstätten, sowie durch Untersuchung der hiebei entnommenen Proben zu besorgende Lebensmittelkontrolle, ferner für die Untersuchung von der fürstlichen Regierung etwa direkt eingesendeter Lebensmittel, sowie für die fachmännische Unterweisung der die Milchkontrolle besorgenden Gemeindeorgane den Betrag von K 300.– Sage! Dreihundert Kronen im Vorhinein zu bezahlen; ferner über Ersuchen des revidierenden Anstaltsbeamten zur Unterstützung desselben ein Polizei-Organ zur Verfügung zu stellen sowie die für die Anstalt kostenlose, ungesäumte Einsendung der bei den Revisionen entnommenen Proben an die Anstalt zu bewirken.

Für die entnommenen Proben ist auf Verlangen der Eigentümer seitens der fürstlich liechtensteinischen Regierung eine Entschädigung in der Höhe des üblichen Kaufpreises dann zu leisten, wenn auf Grund dieser Proben vom Gerichte weder eine bestimmte Person verurteilt, noch auf den Verfall der betreffenden Ware erkannt worden ist.

Eine eventuelle Lösung des Übereinkommens ist nur am Jahresschlusse zulässig, vorausgesetzt, dass die Kündigung bis zum 30. September des betreffenden Jahres erfolgte. [5]

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[1] LI LA RE 1910/2281 ad 0473. Stempel des Vorarlberger Landesausschusses und der Regierung des Fürstentums Liechtenstein.
[2] Der Landesausschuss war das Exekutivorgan des Vorarlberger Landtags mit dem Landeshauptmann an der Spitze. Der Ausschuss führte die autonome Landesverwaltung Vorarlbergs (1861-1918). 
[3] Landesverweser Karl von In der Maur hatte den Vorarlberger Landesausschuss mit Schreiben vom 28.4.1910 um Mitteilung ersucht, unter welchen Bedingungen ein Anschluss Liechtensteins an die Lebensmitteluntersuchungsanstalt in Bregenz möglich wäre (LI LA RE 1910/0777 ad 0473). Der Vorarlberger Landesausschuss begrüsste am 13.8.1910 prinzipiell das Zustandekommen eines Übereinkommens mit Liechtenstein. Es wurde jedoch hervorgehoben, dass ein derartiges Übereinkommen vorläufig nur provisorischen Charakter haben könne, da die Landesanstalt erst im Entwicklungsstadium stehe, weshalb sich der genaue Umfang ihrer Tätigkeit noch nicht genau überblicken lasse und daher dauernd unlösbare Verpflichtungen nicht eingegangen werden könnten (LI LA RE 1910/1503 ad 0473 (Aktenzeichen des Landesausschusses: Zl. 2280)). Die liechtensteinische Regierung erklärte am 21.10.1910 ihre Zustimmung zum übermittelten Vertragsentwurf und ersuchte um die Zusendung des unterfertigten Vertrages (LI LA RE 1910/1503 ad 0473).
[4] Vgl. die Kundmachung der k.k. Statthalterei vom 14.10.1908, Zl. 52.581, betreffend die Statuten der landwirtschaftlich-chemischen Versuchs- und Lebensmitteluntersuchungsanstalt des Landes Vorarlberg in Bregenz, Gesetz- und Verordnungsblatt für die gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg 1909 Nr. 102.
[5] Der liechtensteinische Landtag nahm das vorliegende Übereinkommen in der öffentlichen Landtagssitzung vom 10.12.1910 zur Kenntnis (LI LA LTA 1910/S04/2). Mit Kundmachung vom 11.3.1911 unterrichtete Landesverweser Karl von In der Maur die liechtensteinische Bevölkerung über den Abschluss des Übereinkommens. Ing. Josef Maria Krasser, der Direktor der Lebensmitteluntersuchungsanstalt, sowie dessen Assistent Dr. Ignaz Greisenegger wurden ermächtigt und angewiesen, in allen Erzeugungs-, Verkaufs- und Aufbewahrungsstätten von Lebensmitteln in Liechtenstein unangesagte Revisionen vorzunehmen und gegen Ausfertigung einer Empfangsbestätigung nach freier Wahl Proben zum Zweck der Untersuchung zu entnehmen. Die Inhaber und Leiter der der Lebensmittelkontrolle unterstellten Betriebe wie etwa Gastwirte, Gemischtwarenhändler, Metzger, Bäcker, Weinhändler, Syphonerzeuger, Müller und Mehlhändler wurden darauf aufmerksam gemacht, dass bei sonstigen gesetzlichen Straffolgen die revidierenden Beamten nicht in ihren Amtshandlungen behindert werden durften und dass ihnen insbesondere nicht der Eintritt in die Geschäftslokale verweigert werden durfte (L.Vo., Nr. 11, 17.3.1911 ("Kundmachung")). Vgl. auch L.Vo., Nr. 10, 10.3.1911 ("Zur Einführung der Lebensmittelkontrolle in Liechtenstein"). Vgl. weiters LI LA RE 1911/0173 sowie die Verordnung vom 27.6.1911 betreffend den Handel und Verkehr mit Lebensmitteln, LGBl. 1911 Nr. 3.