Handschriftliche Eingabe der Ortsgruppe Feldkirch des Gewerkschaftsverbandes der Postangestellten Deutschösterreichs, gez. Obmann Basil Büchel, Emil Büchel, Karl Riedl, Emil Wolfinger, Hans Hoffmann, Johann Georg Maier, Otto Hasler, Emmerich Paulweber, Theodor Rheinberger, Rudolf Marxer, Josef Marxer, Johann Meier, Gabriel Hermann und Alois Seeger, an die liechtensteinische Regierung [1]
4.5.1920, Feldkirch
An die hohe fürstlich liechtensteinische Regierung in Vaduz
Wie Ihnen bekannt sein wird, führen die jetzigen Verhältnisse im Fürstentum Liechtenstein die Postangestelltenschaft dortselbst vollkommen dem Ruine entgegen. Die Bezahlung, bestehend aus dem Kronengehalte und der Zulage von 40 bezw. 20 Franken, stehen den Teuerungsverhältnissen weit zurück.
Die Postangestelltenschaft sah sich daher genötigt, in einer Vollversammlung (3. Mai 1920) schlüssig zu werden, Forderungen aufzustellen, um wenigstens halbwegs über die schweren Zeiten hinwegzukommen.
Im folgenden geben wir Ihnen die Beschlüsse wort-wörtlich bekannt.
Pkt. 1.) Jedem Postangestellten sind mit erstem eines Monates folgende Beträge in Frankenwährung flüssig zu machen.
a) Den Beamten ein Betrag vom 300 Franken, deren Frauen 50 Franken und für jedes unversorgte Kind 20 Franken.
b) Jedem vollbeschäftigten Landpostdiener bezw. Landbriefträger ein Betrag von 200 Franken, deren Frauen 40 Franken und für jedes unversorgte Kind 15 Franken.
c) Jedem nicht vollbeschäftigten Landpostdiener bezw. Landbriefträger ein Betrag von 100 Franken, deren Frauen 20 Franken und für jedes unversorgte Kind 10 Franken.
(Die Zahl der Postbeamten im Fürstentum Liechtenstein beträgt neun, der vollbeschäftigten Landpostdiener bezw. Landbriefträger sechs und die der nicht vollbeschäftigten drei.)
Pkt. 2.) Dem Fahrtunternehmer Schaan-Balzers ist monatlich ein Betrag von 500 Franken zu überweisen.
Pkt. 3.) Das Amtspauschale hat gegen nachträgliche Rechnungslegung gedeckt zu werden.
Pkt. 4.) Die in Pkt. 1-3 angeführten Forderungen haben rückwirkend mit 1. Mai 1920 zu gelten.
Zu umseitig angeführten Forderungen bemerken wir, dass wir auch auf die finanzielle Lage des Fürstentums Liechtenstein Rücksicht genommen haben und deshalb die niedersten Gebührensätze aufstellten, die angeführten Frankenbeträge braucht man, um leben zu können. Wir brauchen da nur auf die Löhne der schweizerischen Postangestellten hinweisen. Die Teuerungsverhältnisse in der Schweiz sind denen in Liechtenstein zurück und dorten bezieht ja der jüngste Postdiener im Monat 400-500 Franken.
Wir geben der Hoffnung Ausdruck, dass Sie unsere Forderungen voll und ganz einsehen und dieselben im günstigen Sinne erledigen.
Es wurde beschlossen, falls die Forderungen bis (fünfzehnten) 15. Mai 1920 abends 6 h nicht vollwertig bewilligt sind, die Arbeit gänzlich niederzulegen.
Es würde daher mit genanntem Zeitpunkte der ganze Post-, Telegraphen- und Telephondienst ruhen.
Der Streik würde erst als beendigt angesehen werden
1.) Wenn die Forderungen vollwertig bewilligt sind.
2.) Wenn die schriftliche Versicherung gegeben wird, dass keinem der Postangestellten in Liechtenstein nahe getreten wird, bezw. auch Amtshandlungen gegen dieselben eingeleitet werden.
N.B. In allen diesen Fragen nimmt die Antwort entgegen die "Ortsgruppe Feldkirch" des Gewerkschaftsverbandes der Postangestellten Deutschösterreichs mit dem Sitz in Feldkirch. [2]
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[1] LI LA SF 03/1920/2078. Stempel der Ortsgruppe Feldkirch des Gewerkschaftsverbandes der Postangestellten Deutschösterreichs. Eingangsstempel der Regierung vom 5.5.1920. Gemäss undatiertem Vermerk zogen Otto Hasler und Theodor Rheinberger ihre Unterschrift wieder zurück. – Vgl. in diesem Zusammenhang die Forderungen der Eisenbahnbediensteten in Liechtenstein nach Gehaltszuschüssen in Frankenwährung, um angesichts der Inflation der österreichischen Kronenwährung die Versorgung mit Lebensmitteln gewährleisten zu können (Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien an die liechtensteinische Regierung vom 30.1.1920 unter LI LA V 003/0873 (Aktenzeichen der Gesandtschaft: 99/1 1920)). Die Eisenbahner in Liechtenstein waren schliesslich am 19.4.1920 in den Streik getreten (L.Vo., Nr. 32, 21.4.1920, S. 1 ("Eisenbahnerstreik")).
[2] Die liechtensteinische Regierung bemerkte mit Schreiben an die österreichische Postdirektion in Innsbruck vom 7.5.1920, dass "natürlich grundsätzlich nicht" mit der in der Eingabe genannten Ortsgruppe Feldkirch des Gewerkschaftsverbandes der Postangestellten Deutschösterreichs, sondern nur mit im Lande wohnhaften Vertretern der Gesuchsteller bzw. mit letzteren selbst verhandelt werde und dass die Streikdrohung zurückgewiesen werde. Im Übrigen werde der finanzielle Teil der Angelegenheit in der Finanzkommission des Landtags zur Verhandlung kommen, zu der die Postbeamten Johann Georg Maier, Vaduz, und Emil Wolfinger, Balzers, als Vertretung der Gesuchsteller sowie Postkommissär Zingerle als Vertreter der Postverwaltung zugezogen wurden (LI LA SF 03/1920/2078). Vgl. dazu das Schreiben der Ortsgruppe Feldkirch des genannten Gewerkschaftsverbandes an die liechtensteinische Regierung vom 12.5.1920 (LI LA SF 03/1920/2210 ad 2078). Mit Schreiben vom 7.5.1920 informierte die fürstliche Regierung die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien, dass beim Gewerkschaftsverband die Absicht bestehe, in Feldkirch die Annahme der Post aus Liechtenstein bzw. die Weiterleitung der nach Liechtenstein bestimmten Post zu verweigern: "Es wäre vielleicht zweckmässig, wenn seitens der fürstl. Gesandtschaft dahin zu wirken versucht würde, dass die zuständigen österreichischen Behörden ein derartiges Vorgehen in Feldkirch zum Vornherein unterbinden würden" (LI LA SF 03/1920/2078). – Vgl. in weiterer Folge die Entschliessung der Ortsgruppe Feldkirch des Gewerkschaftsverbandes der Postangestellten Deutschösterreichs zuhanden der liechtensteinischen Regierung vom 14.5.1920 (LI LA SF 03/1920/2239 ad 2078). Am 15.5.1920 erklärte sich schliesslich die Gewerkschaft "als im Streike befindlich" (Telegramm an die Regierung unter LI LA SF 03/1920/2250 ad 2078).